Back to basics

Wenn es nach dem belgischen Büro hé! architectuur geht, müssen Bauprojekte folgende drei Punkte erfüllen: Sie sollten flexibel sein, aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und sich komplett zurückbauen lassen. Wie ein solches zukunftsfähiges Vorhaben aussehen kann, demonstrierten die Architekten mit der Revitalisierung eines Bestandsbaus in Brüssel. Diesen transformierten sie in „Karper“, ein zirkuläres Low-Tech-Haus zum Wohnen und Arbeiten.

Back to basics

Wenn es nach dem belgischen Büro hé! architectuur geht, müssen Bauprojekte folgende drei Punkte erfüllen: Sie sollten flexibel sein, aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und sich komplett zurückbauen lassen. Wie ein solches zukunftsfähiges Vorhaben aussehen kann, demonstrierten die Architekten mit der Revitalisierung eines Bestandsbaus in Brüssel. Diesen transformierten sie in „Karper“, ein zirkuläres Low-Tech-Haus zum Wohnen und Arbeiten.

 

 

Ein Grundstück in Molenbeek, einer Gemeinde im Westen der Brüsseler Altstadt, bot die idealen Voraussetzungen, um die Leitprinzipien des Planerteams in die Praxis umzusetzen. Umgeben von Werkstätten und Lagerhallen galt es hier, ein ehemaliges Industriegebäude zu revitalisieren. Gleichzeitig sollte die urbane Umgebung nachverdichtet und auf diese Weise dringend benötigter Wohnraum geschaffen werden. Anstatt zusätzliche Grünflächen zu verbauen, entschieden sich die Architekten deshalb dafür, nach oben auszuweichen. Sie entwickelten einen Entwurf, der ein neues Haus auf den Bestandsbau setzt und diesen an die Traufhöhe der benachbarten Strukturen anpasst. Mithilfe der Aufstockung gelang es, das Gebäude kostengünstig zu erweitern und den Standort optimal zu nutzen.

 

 

Flexibilität als zentrales Kriterium

Im Zuge der Renovierung sollte dem in die Jahre gekommenen, zweigeschossigen Industriebau nicht nur neues Leben eingehaucht werden, sondern auch neue Funktionen in das Haus einziehen. Neben Wohnungen waren ein Atelier und ein Co-Working-Space vorgesehen. An der Straßenfront bleiben im unteren Teil die historischen Ziegelansichten erhalten. Im oberen Bereich greifen weiße Backsteine die Optik des Bestands auf. Sie interpretieren die Fassaden auf moderne Weise neu und heben die Aufstockung im Stadtgefüge subtil hervor. Im Inneren vereinen fortan auf vier Ebenen flexible Grundrisse das bunte Programm unter einem Dach. Eine unkonventionelle Anordnung wird dabei zum besonderen Clou. Während sich die Arbeitsbereiche mit Büro und Studio im Erdgeschoss befinden, sind die Wohnräume in den darüberliegenden Stockwerken untergebracht. Das Planerteam selbst meint, dass es das Haus mit der alternativen Aufteilung auf den Kopf gestellt hätte. Und das mit gutem Grund: Dank dieser Maßnahme erhalten die privaten Bereiche in den oberen Etagen ein Maximum an Tageslicht und Privatsphäre. Co-Working und Atelier sind hingegen offen und großzügig gestaltet und fördern Kreativität und Austausch. Sämtliche Etagen von Karper wurden in Hinblick auf zukünftige Nutzungsänderungen geplant. So lassen sich beispielsweise die kompakten Studios mit den Wohnungen zusammenschließen, falls diese später mehr Platz benötigen sollten. Der Arbeitsbereich dient bei Bedarf zukünftig auch als Ladenfläche oder Showroom. Terrassen und ein privater Dachgarten ergänzen die hellen Appartements und machen das Wohnhaus inmitten von Molenbeek zu einer kleinen Oase.

 

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Einfach & demontierbar

Bei der Konstruktion stand das Thema Nachhaltigkeit im Fokus. Ein Holzrahmenbau erwies sich als beste Wahl, um die Erweiterung des Hauses möglichst kreislauffähig umzusetzen. Das Tragwerk ist – wie das gesamte Gebäude – simpel, komplett demontierbar und folglich zirkulär ausgeführt. Damit wollte man sicherstellen, dass sich die Werkstoffe bei einer Umnutzung einfach zurückbauen und wiederverwenden lassen. Mit Blick auf die Zukunft zeigt sich die Auswahl der Materialien aufs Wesentliche reduziert. Lose Schraubverbindungen halten Stützen und Träger zusammen und machen sie recycelbar. Ganz oben im aufgestockten Volumen bleiben die Balken unverkleidet und geben Einblick in den Dachaufbau.

 

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Zurück zu den Basics

Neben Flexibilität und Zirkularität konzentrierte man sich bei der Realisierung des Wohnhauses auf die Verwendung von ressourcenschonenden, regionalen Baustoffen mit einem langen Lebenszyklus. Dabei setzte man nicht nur auf Holz, sondern auch auf andere biobasierte Materialien wie Hanf und Stroh. Diese speichern bereits während ihres Wachstums CO2 und fungieren deshalb als natürliche Kohlenstoffsenke. So wurde z.B. das Dach der Aufstockung mit vorgefertigten Holzkassetten eingedeckt und mit Strohballen (von einem nahe gelegenen Bauernhof) gedämmt. An den Fassaden sorgen Dämmsteine aus Kalk und Hanf sowie ein Sand- und Lehm-basierter Putz der lokalen Brüsseler Erdbauindustrie für eine optimale thermische Performance der Außenhülle. Dazu kombinierte das belgische Planungsbüro geobasierte Werkstoffe wie Erde und Lehm, die in unerschöpflichen Mengen zur Verfügung stehen. Vorhandene Böden, Fliesen und Treppen im historischen Gebäudeteil wurden behutsam aufbereitet und ins neue Design mit seiner schlichten Optik integriert. Abschließend kamen auch recycelte Materialien aus zweiter oder dritter Hand zum Einsatz. Sie komplettieren die nachhaltige Palette nach dem Vorbild der Kreislaufwirtschaft. In den Wohn- und Arbeitsbereichen wirken sich die natürlichen Oberflächen ebenfalls positiv aus: Sie schaffen sowohl ein gesundes Raumklima als auch eine angenehme Wohnatmosphäre, in der vom städtischen Treiben nichts zu spüren ist. Darüber hinaus soll Karper mit gutem Beispiel vorangehen und andere Planende und Bauherren laut hé! architectuur inspirieren, im urbanen Raum wieder mehr einfache Baustoffe zu wählen. Es muss nicht immer High-Tech sein. Vielmehr können auch Holz, Lehm und Stroh – intelligent eingesetzt – äußerst effiziente Ergebnisse liefern.

 

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Karper
Molenbeek, Brüssel

Bauherr: Hanne Eckelmans & Nicolas Coeckelberghs
Planung: hé! architectuur
Statik: Tandem ingenieurs
Weitere Projektpartner: buro kiss, EA+

Grundstücksfläche: 176 m2
Bebaute Fläche: 70 m2
Nutzfläche: 330 m2
Planungsbeginn: 01/2018
Bauzeit: 04/2019 – 12/2020
Fertigstellung: 03/2021

www.he-architectuur.be

 


„Unsere Architektur verbindet stets die Wünsche des Auftraggebers mit einer kritischen Betrachtung des Bestands. Unsere Arbeit zeugt immer von einer ausgeprägten ökologischen Ambition. Flexibilität, funktionale Reversibilität und Zerlegbarkeit sind Merkmale des zirkulären Bauens, die wir systematisch umsetzen. Daraus entstehen Materialkombinationen mit einem ausgewogenen Verhältnis von Raum, Licht und Farbe – so auch bei Karper.“

 hé! architectuur

 

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Tim Van de Velde