Barrierefreiheit in der Bauplanung
Architektur orientiert sich am Nutzer und erleichtert ihm die Alltagsgestaltung. Diese Aussage hat vor allem in Bezug auf die Barrierefreiheit Gewicht. Tatsächlich besteht die Aufgabe der Bauplanung nicht nur darin, Wohnraum zu schaffen – es gilt gleichermaßen, das Umfeld gemäß den Bedürfnissen der Bewohner zu gestalten. Gefragt ist eine solche Herangehensweise an die Bauplanung besonders bei öffentlichen Gebäuden – die Rede ist hier vom sogenannten „Universal Design“.
Architektur orientiert sich am Nutzer und erleichtert ihm die Alltagsgestaltung. Diese Aussage hat vor allem in Bezug auf die Barrierefreiheit Gewicht. Tatsächlich besteht die Aufgabe der Bauplanung nicht nur darin, Wohnraum zu schaffen – es gilt gleichermaßen, das Umfeld gemäß den Bedürfnissen der Bewohner zu gestalten. Gefragt ist eine solche Herangehensweise an die Bauplanung besonders bei öffentlichen Gebäuden – die Rede ist hier vom sogenannten „Universal Design“.
School for Blind and visually impaired Children © Bhagat Odedara
Projekte, die sich an diesem Konzept orientieren, gewährleisten der größtmöglichen Nutzergruppe die Zugänglichkeit zum Bauwerk. Wege und Eingangssituationen sind also für alle Menschen klar erkenn- und sicher betretbar. Leider wird dieser Ansatz heute noch immer unzureichend berücksichtigt. Verantwortlich dafür sind oftmals fehlendes Wissen und die damit verbundene Angst vor hohen Baukosten. Ein integrativer Planungsansatz ist heute aber unverzichtbar: Architekten und Bauherren müssen bedenken, dass sich die Lebenssituation jedes Bewohners schlagartig ändern kann. Das Universal Design wahrt die Autonomie in allen Lebenslagen.
School for Blind and visually impaired Children © Aakash Dave
Eine Investition in die Bewegungsfreiheit
Geht es darum, die Bewegungsfreiheit von Menschen mit Behinderungen zu sichern, spielt die Architektur eine zentrale Rolle. Bauliche Barrieren erschweren nämlich die gesellschaftliche Integration von Personen, die auf Geh- und visuelle Orientierungshilfen angewiesen sind. Architektonische Hindernisse existieren, wenn Bauten und Anlagen für behinderte Menschen nicht oder nur unter großen Umständen nutzbar sind – dies gilt auch für den Fall, dass ein gewisser Bereich nur mit Unterstützung anderer Personen überwindbar ist. Kommt der Planung behindertengerechter Zonen nicht ausreichend Aufmerksamkeit zu, schafft die Architektur auch soziale Barrieren. Problematisch ist eine Stadt vor allem dann, wenn nicht einmal öffentliche Einrichtungen dem Prinzip des Universal Designs entsprechen. Schwierig macht die Teilnahme eines Rollstuhlfahrers am öffentlichen Leben dann die Tatsache, dass er nicht abschätzen kann, welche Hindernisse ihn im Alltag erwarten.
In Bezug auf die Gesetzeslage und die Umsetzung barrierefreier Architektur nehmen die USA zweifelsohne die Vorreiterrolle ein. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die Einführung des „American with Disabilities Act“ (ADA) im Jahr 1990. Ziel des ADA ist die Abschaffung der Diskriminierung behinderter Menschen. Gebäude wie Einkaufszentren, Hotels, Restaurants und Supermärkte sind daher so zu planen, dass diese für alle Personengruppen nutzbar sind. Dies soll die Eingliederung behinderter Menschen in die Gesellschaft erleichtern. Doch auch in den USA halten sich Architekten und Bauherren nicht immer konsequent an alle Vorschriften des ADA.
School for Blind and visually impaired Children © Dhrupad Shukla
Eine Architektur frei von Barrieren – ein realistisches Ziel?
Viele räumliche Hindernisse betreffen in der Bauplanung nur bestimmte Personengruppen. So kommen Rollstuhlfahrer nicht mit einer Zugänglichkeit zurecht, die ausschließlich über Stufen gegeben ist – für blinde Menschen erweisen sich hingegen große Freiflächen, die keinerlei Orientierungspunkte bieten, als Barriere. Darum ist in der Architektur eine universelle Herangehensweise wichtig. Es gilt, eine Lösung zu finden, die von allen nutzbar ist.
Vor allem Eingangsbereiche von Gebäuden bedürfen einer sensiblen Planung – nur so können sie der großen Vielfalt an Anforderungen gerecht werden. Der Eingang muss nicht nur leicht auffindbar, sondern auch unumständlich zu betreten sein – und das aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Ist von Barrierefreiheit die Rede, stehen oft die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrern und gehbehinderten Personen im Vordergrund. Vergessen wird dabei häufig auf die Einschränkungen, die gehörbehinderte Menschen erleben. Fallen Räume beispielsweise zu dunkel aus und ist zu wenig Bezug nach draußen vorhanden, fehlen die Möglichkeiten der Kommunikation. Betroffenen fällt es dann nämlich sehr schwer, Lippen zu lesen oder in Gebärdensprache zu kommunizieren – blenden darf das Licht allerdings nicht. Diese Erfahrungen kann auch Architekt Jan Phillipp Koch bestätigen. Soll ein Raum an die Bedürfnisse Gehörloser angepasst werden, sind vor allem Details zu berücksichtigen. Als vorteilhaft erweisen sich beispielsweise nicht nur große, helle Zimmer, sondern gleichermaßen abgerundete Ecken – Letztere schneiden den Blick nicht abrupt ab. Überhaupt ist es wichtig, dass Sichtbeziehungen nach innen und außen möglichst erhalten bleiben.
Soll Architektur die Bedürfnisse aller Nutzer berücksichtigen, kommt es nicht nur auf die korrekten Raum- und Lichtverhältnisse oder Zugänge an, sondern es sind auch die Materialien mit Bedacht zu wählen. Erfolgt die Kommunikation nämlich vordergründig über Blickbeziehungen, strengen zu starke Kontraste die Augen an. Planer sollten im Gebäudeinneren daher eine visuell entspannende Atmosphäre schaffen. Beruhigend wirken insbesondere erdige und gedeckte Farben. Sie absorbieren zudem Reflexionen. Ähnlich verhält es sich mit rohen Oberflächen wie Beton, Holz, Glas und Stahl. Mit Struktur lässt sich im Raum ebenfalls angenehme Stimmung erzeugen.
Das Architekturbüro SEAlab zeigt mit ihrem Projekt „School for Blind and Visually Impaired Children“ auf, wie ein abwechslungsreiches Zusammenspiel aus Texturen, Volumina und Lichtverhältnissen blinde und sehschwache Menschen durch ein Gebäude leitet. Realisiert wurde die Schule auf 750 Quadratmetern im indischen Gandhinagar, wo sie sehbehinderten Jugendlichen eine Ausbildung ermöglichen und damit deren Integration in die Gesellschaft erleichtern soll. Raumecken werden durch natürlichen und künstlichen Lichteinfall hervorgehoben, während der Korridor entlang des zentralen Platzes an jeder Seite mit unterschiedlichen Volumina aufwartet. An den Wänden wechseln sich raue und glatte Oberflächen ab, die es Schülern erlauben, sich im Raum zu orientieren. Ein Bodenbelag aus Kota-Stein, dessen Textur sich im Gebäude verändert, fungiert als visuelles und akustisches Leitelement – er rundet das sensible Designkonzept der Schule ab.
TrIIIple © YOUNIQ Vienna TrIIIple
Ist Universal Design teuer?
Gemäß Architekt Dirk Michalski erweist sich die Tatsache als großes Problem, dass Barrierefreiheit bei der Gebäudeplanung nicht von Anfang an mitgedacht wird. So käme später gar nicht erst die Frage auf, warum bestimmte Bereiche nicht behindertengerecht gestaltet sind. Wird ein Gebäude erst im Zuge eines Umbaus barrierefrei, resultiert dies zudem automatisch in höheren Kosten.
Viel besser wäre es, wenn Planer das Universal Design nicht etwa als Bonus, sondern als notwendigen Zusatz betrachten. Es handelt sich hier schließlich um ein normales Ausstattungsdetail der heutigen Zeit.
Ein rezentes Positivbeispiel ist diesbezüglich das Projekt Triiiple in Wien. Die Wohntürme in Landstraße wurden mit barrierefreien Wohnungen unterschiedlicher Größe ausgestattet, die allesamt durch einen Aufzug erschlossen sind. Auch die Promenade am Donaukanal ist vom Gebäude aus für Rollstuhlfahrer und gehbehinderte Personen erreichbar.
Julio Navarro Swimming Club © Micael Löfgren
Hindernisfreiheit als Wegweiser
Fakt ist: Barrierefreie Architektur hat in der Bauplanung längst Einzug gefunden. Dies gilt nicht nur für einzelne Bauwerke, sondern auch für ganze Stadtteile. Generell achten Planer immer öfter darauf, dass sämtliche Teile des bebauten Raumes für alle Nutzer frei zugänglich sind – dabei stellt sich lediglich die Frage, ob dieser Aspekt wirklich ausreichend berücksichtigt wird. Tatsächlich gibt es in puncto Barrierefreiheit immer noch starken Aufholbedarf. So werden junge Architekten noch immer nicht ausreichend über die Notwendigkeiten und die Möglichkeiten behindertengerechter Planung aufgeklärt – es mangelt also an der Vorbereitung der Fachkräfte.
In der Architekturszene lässt sich aber gleichzeitig ein positiver Wandel beobachten. So gibt es mittlerweile einige Architekturbüros, die sich der behindertengerechten Planung widmen. Das Lab for Planning and Architecture integrierte ihre Version des Universal Designs in den Stadtraum von Las Palmas de Gran Canaria. Und zwar gewährleisteten sie mit einer geometrisch ausgeklügelten Rampe die barrierefreie Zugänglichkeit des „Julio Navarro Swimming Clubs“. Der Verein engagiert sich für Personen mit besonderen Bedürfnissen und hat sich damit bereits in ganz Spanien einen Namen gemacht. Es war daher an der Zeit, die (zum Teil) veralteten Zugänge um ihn herum in Anlehnung an das Universal Design zu überholen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Eine flache Rampe samt Stiegenaufgang schlängelt sich behutsam zum Gebäude hinunter und greift zugleich die umliegende Landschaft auf. Randbereiche aus verschieden großen Dreiecken verleihen dem Weg ein einzigartiges Aussehen, welches damit das Ortsbild bereichert.
Julio Navarro Swimming Club © Micael Löfgren
Eine barrierefreie Zukunft?
Architektur kann (und muss) Selbstbestimmung und Inklusion fördern – heute mehr, denn je. Und das gelingt ihr nur mit der Umsetzung von Barrierefreiheit. Vor allem im Wohnungsbau und bei öffentlichen Einrichtungen ist es essenziell, Grundrisse zu schaffen, die alle Personengruppen berücksichtigen. Die Bauplanung muss dafür sorgen, dass Menschen in verschiedenen Lebenslagen dazu imstande sind, ihren Alltag im privaten und öffentlichen Raum zu bestreiten – und das möglichst ohne fremde Hilfe.
Text: Dolores Stuttner