Bauthermografie-Praxis: Mehr als bunte Bilder
Gebäude und Fassaden sind schwierige Thermografie-“Motive“ – quasi an jeder Gebäudeecke lauern potenzielle Fehlerquellen. Die Aufnahme, Auswertung und Interpretation von Wärmebildern setzt deshalb Fachwissen und Erfahrung voraus.
Gebäude und Fassaden sind schwierige Thermografie-“Motive“ – quasi an jeder Gebäudeecke lauern potenzielle Fehlerquellen. Die Aufnahme, Auswertung und Interpretation von Wärmebildern setzt deshalb Fachwissen und Erfahrung voraus.
Mit der Infrarot-(IR-)Kamera aufgenommene Wärmebilder, auch Thermogramme genannt, decken Wärmebrücken in Heizkörpernischen, an Rolladenkästen, im Dachbereich oder potenzielle Schimmelstellen an Fensterlaibungen, Fensterstürzen oder in Raumecken auf. Die Einsatzmöglichkeiten der Thermografie sind sehr vielseitig. Doch „rote“ oder „blaue“ Bereiche auf dem Kamera-Display müssen nicht immer „schlecht“ sein, deshalb setzt jeder Einsatzbereich spezialisiertes Wissen voraus. Sollen Objekte thermografisch korrekt erfasst werden, spielen gleich mehrere Faktoren eine Rolle: die Randbedingungen, die Kamera, das Messpersonal, das jeweilige Messobjekt, die Aufnahme sowie die Auswertung und Interpretation der Thermogramme.
Hinterlüftete Fassaden oder Dachkonstruktionen führen zu Messfehlern – deshalb sollten Außenthermografien stets mit Innenthermografien ergänzt werden. © Verband Privater Bauherren, Regionalbüro Emsland, Deeters
Die Randbedingungen
Zu den Grundvoraussetzungen korrekter bauthermografischer Aufnahmen zählt bei der passiven Gebäudethermografie eine Temperaturdifferenz zwischen innen und außen von etwa 15 Kelvin über einen Zeitraum von 12 bis 24 Stunden. Der Messzeitpunkt sollte so gewählt werden, dass eine vorhergehende Sonneneinstrahlung auf das Messobjekt keinen Einfluss mehr auf das Messergebnis hat. Thermografische Untersuchungen sollten am besten in den Wintermonaten November bis März in den frühen Morgenstunden durchgeführt werden. Diese Zeit ist optimal, da noch keine störende Sonneneinwirkung das Messergebnis verfälschen, respektive sich die Fassade über Nacht abkühlen kann. Eine dichte Wolkendecke verhindert einen zu starken Kontrast zwischen dem Messobjekt und dem eiskalten Nachthimmel sowie ein Auskühlen von Oberflächen, die umso stärker auskühlen, je mehr sie dem Himmel zugeneigt sind. Abgeschirmte Bereiche wie Fensterlaibungen, Balkon- oder Dachüberstände etc. kühlen vergleichsweise weniger aus und werden dadurch wärmer dargestellt, was zu Fehlinterpretationen führen kann, weil dort vermeintliche Wärmeverluste vermutet werden. Die Messung sollte ferner nicht durch Umwelteinflüsse wie Wind, Regen, Schnee, Nebel etc. beeinträchtigt werden. Bei Wind kühlt sich die Objektoberfläche stark ab, stärkerer Regen, Schneefall oder Nebel senken den Transmissionsfaktor der Luft, weshalb die am Kameradisplay angezeigte Temperatur nicht der tatsächlichen Oberflächentemperatur des Messobjekts entspricht. Sollten die Messaufgabe, Termine oder andere Umstände es erfordern, von obigen Regeln abzuweichen, muss dies bei der Auswertung berücksichtigt und dokumentiert werden. Andere Randbedingungen, wie besondere Bauweisen des Objekts – etwa hinterlüftete Wand- oder Dachkonstruktionen – eine Fassadenbegrünung oder eine enge Straßenflucht können korrekte Messungen erschweren oder gänzlich vereiteln. In solchen Fällen sollte man Außen- durch Innenaufnahmen ergänzen oder gegenüberliegende Gebäude als erhöhten Aufnahmestandpunkt nutzen. Alle Räume des Gebäudes sollten, je nach Bauart, über mehrere Stunden gleichmäßig beheizt werden, um möglichst homogene Messbedingungen zu schaffen.
Die Kamera
Thermografiekameras (siehe architektur 1/2022: Highend-Thermografie: Profis sehen mehr) sollten für Gebäudeanalysen geeignet sein, d.h. über einen Temperaturmessbereich zwischen – 20°C und + 100°C sowie einen Spektralbereich von 8 bis 14 µm verfügen. Der Detektor sollte eine IR-Bildauflösung von mindestens 320 x 240 oder besser 640 x 480 Messpunkten oder mehr haben. Die thermische Auflösung (NETD) sollte mindestens 0,06 Kelvin (bei 30°C) betragen, bei einer Messgenauigkeit von +/- 2 %. Präzisere Messergebnisse ermöglichen Kameras mit einem kleineren NETD-Wert, z.B. 0,03 Kelvin und weniger. Auch die geometrische Auflösung (IFOV) entscheidet über die Bildqualität und Messgenauigkeit. Sie ist abhängig vom Kameraobjektiv, definiert die kleinstmögliche „Messfleckgröße“ und sollte 3,3 mrad und weniger betragen. Die Messfleckgröße ist jene Fläche auf dem Messobjekt, die aus einem Meter Entfernung einer einzelnen Detektorzelle in einem Wärmebild zugeordnet werden kann. Zu den Einstellmöglichkeiten einer IR-Kamera sollten mindestens eine Eingabe des materialspezifischen Wärmeabstrahl-Kennwerts (Emissionsgrad) und der reflektierten Temperatur gehören. Personen, die thermografische Messungen und Auswertungen selbstständig und im Auftrag eines Kunden durchführen, müssen potenzielle Fehlerquellen und Grenzen der Thermografie kennen sowie Messergebnisse korrekt interpretieren können. Sie sollten zudem nach IR-ÖNORM EN ISO 9712 in den Stufen 2 oder 3 zertifiziert sein (siehe auch www.thermografie.co.at, Menü „Zertifizierungen“).
Je nach Messaufgabe sollten weitere Messverfahren herangezogen werden, beispielsweise Luft-/Bauteilfeuchtemesser etc. © Testo
Das Messobjekt
Vor der Aufnahme sollte man möglichst viele Informationen über das Messobjekt in Erfahrung bringen. Kenntnisse etwa über die verwendeten Materialien und den konstruktiven Aufbau unterstützen eine korrekte Deutung thermischer Auffälligkeiten. Auch möglichen Fehlerquellen wie Mess-, Auswertungs- oder Interpretationsfehler kann man durch eine genaue Kenntnis des konstruktiven Objektaufbaus und baulicher Besonderheiten vorbeugen. Verfügt ein Gebäude etwa über eine Vorhangfassade, Holz-Vorsatzschale, ein mehrschaliges Mauerwerk oder über einen hinterlüfteten Dachaubau, sind von außen keine thermografischen Analysen möglich, weil die Hinterlüftung mit Kaltluft einen konstanten Wärmetransport nach außen unterbindet. Auch Informationen über die Gebäudeausrichtung, Hauptwindrichtung, die umgebende Bebauung oder das Nutzungsprofil können bei der Bewertung und Interpretation nützlich sein. Es ist deshalb sehr hilfreich, wenn der Eigentümer für Fragen zur Verfügung steht und aktuelle Bestandsgrundrisse, Schnitte, Detailpläne und Baubeschreibungen eingesehen und für eine Verwendung im Thermografie-Bericht kopiert werden können. Dann kann man Faktoren des Messobjekts, die das Messergebnis beeinflussen, besser einschätzen und bei der Auswertung und Interpretation berücksichtigen. Luftundichtigkeiten im Gebäude lassen sich am besten mit einer kombinierten Differenzdruck- (Blower-Door) und Thermografie-Messung lokalisieren und dokumentieren (siehe architektur 08/2018: Differenzdruck-Thermografie: Leckagen lokalisieren und dokumentieren).
Über die Bildqualität und Messgenauigkeit entscheiden technische Kameraparameter, wie die IR-Auflösung des Detektors sowie die geometrische und thermische Auflösung. (NETD 80, 50, 30 mK, v.l.n.r.) © InfraTec
Die Aufnahme
Thermische Schwachstellen werden in der Regel nur durch eine Kombination aus Außen- und Innenthermografie zweifelsfrei sichtbar. Während Außenaufnahmen eher eine erste Orientierung und Einschätzung ermöglichen, lassen sich viele bauphysikalische Probleme nur durch eine Innenthermografie aufdecken. Zu den wichtigsten, nicht korrigierbaren Faktoren bei der Aufnahme zählen der richtige Bildausschnitt und Objektabstand: Die Aufnahmeposition sollte so gewählt werden, dass eventuelle Reflexionen der Umgebungsstrahlung vermieden werden. Das Messobjekt und eventuell interessante umgebende Details sollten gut sichtbar und nicht verdeckt sein. Bei der Temperaturmessung kleiner Objekte oder Details sollte man darauf achten, dass der oben genannte „Messfleck“ eines einzelnen Detektors der IR-Kamera vom Messobjekt vollständig ausgefüllt ist. Ansonsten ist keine korrekte Temperaturmessung möglich. Da die Messfleckgröße von der Entfernung zum Objekt und der Optik abhängt, muss gegebenenfalls der Objektabstand verringert oder ein Teleobjektiv gewählt werden. Ganz wichtig – und nachträglich ebenfalls nicht korrigierbar – ist eine korrekte Fokussierung. Auf unscharfen Wärmebildern erkennt man Messobjekte oder Problemsstellen schlechter und man macht zwangsläufig Messfehler, die umso gravierender sind, je kleiner das Messobjekt ist. Bei einfachen IR-Kameras ohne Fokussierung bleibt nur die Option, den Aufnahmeabstand zu verändern – sofern das möglich ist. Alle weiteren Parameter, wie die Einstellung des Emissionsgrads, der reflektierten Temperatur, des Temperatur-Messbereichs oder des Temperaturintervalls (Level und Span), lassen sich auch nachträglich korrigieren (siehe auch „Auswertung“). Zu jeder Thermografie-Aufnahme sollte man mit der integrierten Tageslicht-Kamera oder mit einer separaten Digitalkamera ein Tageslicht-Foto anfertigen, um lokalisierte Schwachstellen und Leckagen besser zuordnen und interpretieren zu können.
Neben dem richtigen Bildausschnitt und einer korrekten Fokussierung ist bei kleinen Objekten oder Details die geometrische Detektorauflösung wichtig, sonst sind Messfehler vorprogrammiert. © InfraTec
Die Auswertung
Schon während der Aufnahme sollten die Thermogramme in der Bildvorschau betrachtet werden, um einen ersten Eindruck vom Messobjekt zu erhalten oder Messwerte auf Plausibilität und Vollständigkeit zu prüfen. Je nach Kamera, werden die Temperaturskalierung, die Position und der Wert der Min-/Max-Temperatur, die Temperatur an der aktuellen Cursor-Position oder an individuell definierten Punkten, eine Isothermendarstellung etc. angezeigt. Die eigentliche Auswertung mit Hilfe der zum Lieferumfang gehörenden Auswertesoftware oder einer optionalen, speziell für die Gebäudeanalyse konzipierten Software (z.B. FORNAX von InfraTec), erfolgt in der Regel im Büro. Diese kann Thermogramme anzeigen, modifizieren, optimieren, organisieren, analysieren, Digitalfotos gegenüberstellen bzw. mit diesen überlagern, zu einem nachvollziehbaren Thermografie-Bericht zusammenstellen und als DOC- oder PDF-Datei exportieren. Zu den wichtigsten Parametereinstellungen gehört ein passender Temperatur-Messbereich, der der im Thermogramm erfassten IR-Strahlungsmenge entspricht. Wird er zu niedrig gewählt, wirkt das Bild „überbelichtet“, umgekehrt erscheint es „unterbelichtet“. Ein optimales Ergebnis erhält man mit einem möglichst kleinen Temperatur-Messbereich, der allerdings auch die niedrigsten, bzw. höchsten Temperaturen im Thermogramm abdecken sollte. Eine Feinjustierung von Kontrast und Helligkeit im Wärmebild ermöglicht die Einstellung des Temperaturintervalls (Level und Span). Während im Automatikmodus die kälteste und wärmste Temperatur im Thermogramm als untere und obere Grenze des Temperaturintervalls gewählt wird, lassen sich im manuellen Modus die in der Palette verfügbaren Falschfarben gezielt auf die Temperaturen des Objektes verteilen. Das verbessert den Kontrast und zeigt Problemstellen deutlicher. Auch die Wahl der Farbpalette kann die Bildaussage und Sichtbarkeit von Problemstellen verbessern. Häufig verwendet werden die Eisen-, Regenbogen- und Graupalette. Zu den vielen Auswertefunktionen der Software gehören beispielsweise so genannte ROIs (Regions of Interest). Das sind im Thermogramm mit Hilfe von Punkten, Linien oder Flächen definierte Messbereiche, die in Form von Messreihen und Diagrammen ausgewertet werden können. 2D- oder 3D-Profildiagramme geben dabei den Temperaturverlauf entlang einer Linie oder einer Fläche an, Histogramme zeigen die Häufigkeitsverteilung von Temperaturwerten etc. Sind bauphysikalische Kenngrößen, Material- und Klimadaten bekannt, können Kondensationspunkte und damit schimmelgefährdete Stellen lokalisiert werden.
Zu den wichtigsten Bildeinstellungen zählen passende Temperatur-Messbereiche und intervalle – andernfalls werden schlecht gedämmte Altbauten zu gut gedämmten Neubauten (oben) und umgekehrt (unten). © Dr. Georg Dittié
Die Interpretation
Die Interpretation von Thermogrammen ist wohl der heikelste Teil der Bauthermografie, da sie Wissen, Erfahrung und eine Verknüpfung des Know-hows aller oben genannten Disziplinen erfordert. Thermogramme liefern nur jeweils eine Momentaufnahme der Oberflächentemperaturverteilung eines Gebäudes, die von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren beeinflusst wird. So kann sich das Thermogramm einer scheinbar schlecht gedämmten Außenfassade bei näherer Betrachtung der äußeren Umstände schnell als eine Momentaufnahme einer von der Sonne aufgeheizten Südfassade erweisen und rote Bereiche nur ihr Abstrahlverhalten wiedergeben. Ebenso können dunkelblaue Fensteröffnungen in den Obergeschossen nicht etwa auf gut gedämmte Fenster hinweisen, sondern lediglich die Reflexion des kalten Nachthimmels im Fensterglas wiedergeben. Deshalb müssen bei der Interpretation alle verfügbaren Informationen wie Baupläne und Baubeschreibungen, Digitalfotos, aber auch die Gebäudeausrichtung, Sonneneinstrahlung, Hauptwindrichtung, die umgebende Bebauung, das Nutzungsprofil und andere Faktoren berücksichtigt werden. In kniffeligen Fällen ist nicht selten ein nahezu „kriminalistischer“ Spürsinn erforderlich. Selbst Profis können danebenliegen, wenn nicht alle relevanten Eckdaten bekannt sind, respektive nicht ausreichend berücksichtigt werden. Erst nach einer gründlichen Analyse aller Messergebnisse, der bauphysikalischen Verhältnisse und der Gebäudekonstruktion sollten Vorschläge zur Problembeseitigung gemacht und für das jeweilige Gebäude sinnvolle Maßnahmen beschlossen werden. Temperaturunterschiede im Wärmebild korrekt zu interpretieren, setzt Erfahrung, Fachwissen und fundierte Thermografie-Kenntnisse voraus, die man sich am besten mit Hilfe von Fachliteratur und mehrtägigen Schulungen aneignen sollte (siehe Infokasten und architektur 08/2019: Thermografie-Schulungen: Mehr sehen lernen). Andernfalls sind Thermogramme nur bunte Bilder und damit wertlos.
Während der Bildauswertung können mithilfe spezieller oder zum Kamera-Lieferumfang gehörender Software Probleme dokumentiert werden, etwa potenzielle Schimmelstellen. © InfraTec
Kamera-Anbieter
www.bosch-professional.com, www.catphones.com, www.dostmann-electronic.de, www.nbn.at/teledyne-flir, www.fluke.at, www.guideir.com, www.hikmicrotech.com, www.infratec.de, www.irpod.net, www.milwaukeetool.eu, www.opgal.com, www.pce-instruments.com, www.reichelt.de, www.thermal.com, www.testboy.de, www.testo.at, www.umarex-laserliner.de
Weitere Infos im Web*
www.thech.ch Thermografie Verband Schweiz
www.thermografie.co.at Österr. Gesellschaft für Thermografie
www.thermografie.de Thermografie-Fachwissen von Dr. Dittié
www.vath.de Bundesverband für angew. Thermografie
Literatur und Quellen*
Fouad, N.A./Richter T.: Leitfaden Thermografie im Bauwesen, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, 2012
Wagner, H.: Thermografie – Sicher einsetzen bei der Energieberatung, Bauüberwachung und Schadensanalyse, Verlagsgesellschaft Rudolf Müller, Köln 2011
* Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Text: Marian Behaneck