Das Haus auf dem Haus
Ein über 100 Jahre altes Wohnhaus im Herzen Luzerns wurde von den ortsansässigen Scheitlin Syfrig Architekten um drei Geschosse plus Attikawohnung aufgestockt. Während sich das Gebäude zur Hofseite hin als modernes Bauwerk aus einem Guss präsentiert, tritt der Aufbau zur Straßenseite hin geschickt in den Hintergrund, sodass die stuckverzierte Fassade im Ensemble der Straßenflucht wie gewohnt zur Geltung kommt. Der Beitrag Das Haus auf dem Haus erschien zuerst auf architektur-online.
Ein über 100 Jahre altes Wohnhaus im Herzen Luzerns wurde von den ortsansässigen Scheitlin Syfrig Architekten um drei Geschosse plus Attikawohnung aufgestockt. Während sich das Gebäude zur Hofseite hin als modernes Bauwerk aus einem Guss präsentiert, tritt der Aufbau zur Straßenseite hin geschickt in den Hintergrund, sodass die stuckverzierte Fassade im Ensemble der Straßenflucht wie gewohnt zur Geltung kommt.
Das Luzerner Bauprojekt Lindenhausstraße der ortsansässigen Scheitlin Syfrig Architekten zeigt, wie moderne Nachverdichtung im Herzen von städtischem Raum funktionieren kann. Obwohl dem bestehenden 100 Jahre alten Bau im wahrsten Sinne des Wortes ein moderner Hut aufgesetzt wurde, bleibt der Charakter der stuckverzierten Fassade im Ensemble mit der straßenseitigen Fassadenflucht uneingeschränkt erhalten. Dafür wurden die Architekten auch mit dem Iconic Award: Innovative Architecture 2020 ausgezeichnet.
Allzu schnell kann die Kombination aus Alt und Neu optisch ins Lächerliche abdriften, der Neubau alte Strukturen erdrücken oder erhaltenswerte Substanz kaschieren. Das Team von Scheitlin Syfrig Architekten hat einen anderen Weg gewählt. Das vorgefundene Bestandsgebäude zeigt sich als Teil einer heterogenen Fassadenflucht und erinnert mit seinem Steinsockel, den üppigen weißen Stuckaturen sowie geschwungenen Formen und Ornamenten an frühere Zeiten. Obwohl der Altbau im Inneren saniert und um drei Geschosse sowie ein Dachgeschoss ergänzt werden sollte, wollten die Architekten den ursprünglichen Charakter des Bauwerks erhalten.
Zu diesem Zwecke wählten die Planer für die Aufstockung eine dunkle Fassade aus horizontalen Aluminiumprofilen. Im Kontrast zu dem hellen Bestand drängt sich der Aufbau auf diese Weise nicht in den Vordergrund, sondern nimmt sich bewusst zurück – gleichwohl ohne sich dabei zu verstecken. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Struktur der Fassade auch für die Klapp- und Schiebeläden übernommen wurde. Selbst vor den Fensterfronten umlaufen die horizontalen Lamellen das Gebäude. Dadurch ist das Volumen von Alt und Neu zwar als ein Element lesbar, dennoch scheint der Aufbau wie ein flüchtiger Schatten über dem Bestand zu schweben.
Während straßenseitig ein klar ablesbarer Kontrast zwischen Alt und Neu entsteht, präsentiert sich die hofseitige Gebäudehülle aus einem Guss. Die frontseitige Fassadengestaltung findet sich rückwärtig als selbe ganzflächige Lamellenkonstruktion wieder. Der einheitliche und monolithische Gesamteindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Aluminiumprofile zum einen bis an die Kante des Firstes reichen und zum anderen auch die vorspringenden Balkone ummanteln, welche so mit der Fassade zu einer Einheit verschmelzen.
“Wir wollten das Bestehende erhalten und mit etwas Neuem ergänzen, das sich gestalterisch zurücknimmt.“
Mauritius Carlen, dipl. Architekt MA ZFH SIA.
Partner und Mitglied der Geschäftsleitung bei Scheitlin Syfrig Architekten
Ein weiterer gestalterischer Kniff der Architekten liegt in der Drehung des Giebels des relativ steilen Schrägdaches. Dessen Traufe orientiert sich an der Höhe der angrenzenden Dachfirste und nimmt somit wieder Bezug zur Umgebung auf. Durch die so entstandene Ost-West-Ausrichtung bietet das Dach die idealen Voraussetzungen für die effektive Energiegewinnung mittels großflächiger Photovoltaik-Platten. Ziel der Planer war es, nicht nur raumplanerisch effektiv, sondern auch ökologisch zielführend zu bauen. Luzerns Stimmbevölkerung hat sich im November 2011 zur sogenannten 2000-Watt-Gesellschaft bekannt, die als Sinnbild für eine nachhaltige Energiepolitik steht. Das Konzept basiert auf einer energiepolitischen Vision, die von Forschenden der ETH entwickelt wurde. Laut der Studie können pro Person 2000 Watt Energieleistung beansprucht werden, ohne dass die Erde übernutzt wird. Das Projekt Lindenhausstraße soll neben vielen anderen Vorzeigeprojekten zur Erreichung dieses Umweltzieles beitragen.
Blickt man ins Innere des Gebäudes, so wurden die Wohnungen bis zum 3. Obergeschoss saniert, wobei historische Elemente wie Türrahmen bewusst erhalten und in die neuen Strukturen integriert wurden. Auf diese Weise in Szene gesetzt, konnte der ursprüngliche historische Charakter der Wohnräume in die Neuzeit transportiert werden. Ab dem 4. Obergeschoss hingegen ist das Gebäude im Inneren als reiner Neubau ausgeführt. Räumlich besonders spannend zeigt sich die Attikawohnung mit ihrer großzügigen Galerie sowie der Verkleidung des Dachgiebels mit weiß lasierten 3-Schichtplatten, die in einem einheitlichen Raster verlegt wurden.
Das Treppenhaus wurde in Sichtbeton und darauf abgestimmten Bodenfliesen ausgeführt. Das Farbkonzept zieht sich in einem Guss vom Eingangsbereich bis hinauf in die Attikawohnung. Während das Gebäude in seiner Erscheinungsform von außen von der deutlich sichtbaren Differenzierung von Alt und Neu lebt, verschmelzen historischer Bestand und moderner Aufbau innenräumlich zu einer unzertrennbaren Einheit. Für die Architekten ist dieser Ansatz im Zusammenhang mit der Thematik der innerstädtischen Verdichtung als kontemporäre Antwort auf die damit einhergehenden Herausforderungen in der Planung, Gestaltung und Konzeption zu verstehen.
Lindenhausstraße
Luzern, Schweiz
Bauherr: Privat
Planung: Scheitlin Syfrig Architekten
Mitarbeiter: Mauritius Carlen, Sandra Fellmann, Paula Fischer, Raphael Helfenstein, Dominik Lutz, Milena Marti, Pascal Ming, Gilbert Mühlemann, Johanna Strauss, Marc Syfrig
Grundstücksfläche: 160 m2
Nutzfläche: 1026.1 m2
Planungsbeginn: 02/2016
Bauzeit: 25 Monate
Fertigstellung: 07/2019
Baukosten: 3,8 Mio. €
Text: Linda Pezzei
Fotos: Ben Huggler
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