Die Stadt in der es niemals regnet
Verdichtung bedeutet nicht nur Lücken neu zu füllen, sondern auch ungenutzten Bestand zu revitalisieren. Das wird am Beispiel des Gare Maritime schnell eindrucksvoll klar. Neutelings Riedijk Architecten hauchten dem prestigeträchtigen Bau inmitten von Brüssel, der einst ein dynamischer Umschlagplatz für Güter und Waren war, neues Leben ein und verwandelten ihn in „die Stadt, in der es niemals regnet“. Der Beitrag Die Stadt in der es niemals regnet erschien zuerst auf architektur-online.
Verdichtung bedeutet nicht nur Lücken neu zu füllen, sondern auch ungenutzten Bestand zu revitalisieren. Das wird am Beispiel des Gare Maritime schnell eindrucksvoll klar. Neutelings Riedijk Architecten hauchten dem prestigeträchtigen Bau inmitten von Brüssel, der einst ein dynamischer Umschlagplatz für Güter und Waren war, neues Leben ein und verwandelten ihn in „die Stadt, in der es niemals regnet“.
Der in der europäischen Hauptstadt ansässige Immobilienträger Extensa hat seine ganz eigene Vision davon, wie eine neue Stadt auszusehen hat. Unter dem Titel „Tour & Taxis“ transformiert er deshalb ein ganzes Viertel in einen innovativen Campus. Dieser umfasst ein bunt gemischtes Programm mit viel Platz zum Wohnen, Arbeiten, Feiern, Essen und Entspannen und soll zum attraktiven Anlaufpunkt mitten in Brüssel werden.
Der Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute Gare Maritime war zu seiner Blütezeit der größte Güterbahnhof Europas und ein geschäftiger Ort. Nachdem der Gebäudekomplex nicht mehr genutzt wurde, blieb von seinem Glanz wenig übrig. Die drei großen und vier kleineren Hallen verfielen im Laufe der Zeit immer mehr. Im Zuge des urbanen Entwicklungsprojekts von Extensa machen die niederländischen Neutelings Riedijk Architecten aus dem vernachlässigten Bestand das Herzstück des „Tour & Taxis“-Campus. Sie gestalten in Kooperation mit dem Bauingenieurbüro Bureau Bouwtechniek einen multifunktionellen, dynamischen Treffpunkt und funktionieren ihn zur „Stadt, in der es niemals regnet“ um.
Der imposante Komplex misst stolze 280 x 140 m. Er wird nun von zwölf weiteren Trakten ergänzt, so dass sich insgesamt eine Fläche von 45.000 m2 für das durchmischte Programm ergibt. Der neue Entwurf respektiert die bestehende Organisation des ehemaligen Bahnhofs und dessen historische Konstruktion. Durch behutsame Sanierung und Verstärkung der Stahl- und Fachwerkträger bleibt die charakteristische Originalhülle der Eisenbahnschuppen erhalten und wird zum zentralen Gestaltungselement des Mehrzweckbaus. Rote Backsteinwände, Glas und Eichenholzfassaden, im Bereich der neu hinzugefügten Hallen, komplettieren das Bild.
Im Inneren entsteht eine lebendige und abwechslungsreiche Struktur mit Boulevards, Wegen, Plätzen und kleinen Parks. Der Gare Maritime bietet mit Büros und Arbeitsplätzen, Einkaufsmöglichkeiten und Angeboten zur Freizeitgestaltung alles, was es in einer kleinen Stadt ebenfalls gibt – mit einem feinen Unterschied: sämtliche Bereiche sind überdacht und vor der Witterung geschützt. Zum geschäftigen Mittelpunkt des ehemaligen Warenumschlagplatzes wird eine 16 m breite Allee, die nicht nur die einzelnen Lokale und Shops erschließt, sondern auch zum Flanieren einlädt. Sie folgt dem Beispiel der spanischen Ramblas und ist von Bäumen gesäumt. Der zentrale Bereich des Mittelschiffs bleibt gänzlich unbespielt und soll für zukünftige Events und unterschiedliche Veranstaltungen genutzt werden. Zu beiden Seiten fügen sich in den großen Hallen die einzelnen Geschäftsflächen aneinander. Sie beinhalten einen Mix aus Start-ups, Büros, Shops renommierter Marken, Unterhaltungs- und Gastronomieflächen.
Entlang der Seitenschiffe befinden sich die zwölf neuen Pavillons. Auch hier gibt es auf mehreren Geschossen viel zu entdecken und zu erleben. Für das nötige Grün holte sich das Planerduo Verstärkung ins Boot. Die insgesamt zehn Parks wurden vom Landschaftsarchitekturbüro OMGEVING liebevoll gestaltet. Sie widmen sich als Wald-, Blumen-, Gras- oder Duftgarten jeweils einem von vier Themen und sorgen für ein natürliches, grünes Ambiente. Die großen Mosaike, die die Böden der öffentlichen Plätze schmücken, stammen vom Brüsseler Künstler Henri Jacobs. Ansonsten prägen das Innere der Hallen Holzeinbauten und -oberflächen sowie die genieteten Stützen und Unterzüge der Eisenkonstruktion. Sämtliche Bereiche sind dank der großen Fensterflächen lichtdurchflutet und sorgen für ein weites, offenes Raumgefühl.
Bei der Materialwahl entschieden sich die Architekten für eine Struktur aus Brettsperrholz, kurz CLT, und machen den Gare Maritime damit zum größten CLT-Projekt in Europa. Das Naturmaterial reduziert nicht nur den Betonverbrauch und das Gewicht des Baus um ein Vielfaches, sondern gleichzeitig auch die Bauzeit auf knapp ein Jahr. Sämtliche Elemente wurden als Trockenbauteile vorgefertigt und vor Ort nur noch montiert. Bei den Verbindungen wurde speziell darauf geachtet, dass die Einzelteile zerlegbar sind und im Falle zukünftiger Anpassungen durch das modulare Konzept flexibel verändert werden können. Dadurch ergibt sich ein zirkulärer Ansatz, der auf der Kreislaufwirtschaft aufbaut und den Lebenszyklus von Materialien optimiert.
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Auf das umfassende Energiekonzept des revitalisierten Gebäudeensembles legte das Architektenteam besonderen Wert. Mittels verschiedener Maßnahmen sorgen sie für möglichst viel Nachhaltigkeit. So sind zum Beispiel alle zur südwestlich angrenzenden Rue Picard orientierten Verglasungen mit Solarzellen ausgestattet. Auch auf den Dachflächen fangen Photovoltaikpaneele mit einer gewaltigen Fläche von 17.000 m2
die Sonnenstrahlen ein. Noch ein Stück energieeffizienter wird der Gare Maritime dank Geothermie und Regenwassernutzung, die die Bewässerungsanlage der Gärten speist. All diese Maßnahmen spiegeln den Charakter des Campus wider und verkörpern die Vision der Bauherren für das gesamte Viertel.
Mit der kleinen Stadt revitalisieren Neutelings Riedijk Architecten und Bureau Bouwtechniek den ehemaligen Eisenbahnkomplex auf bravouröse Art und Weise. Sie machen ihn wieder zu einem zentralen Anlaufpunkt in Brüssel, in dem Besucher bei jedem Wetter getrost den Regenschirm zu Hause lassen können. Der ehemalige Güterbahnhof fungiert dadurch als Pilotprojekt für zukünftige Stadtentwicklungsmaßnamen, die vor allem aufgrund steigender Zuwanderung in die Ballungszentren aktueller denn je sind. Mit seinem vielfältigen Angebot aus Gewerbe-, Event- und Gastronomieflächen spricht er Einwohner und Touristen gleichermaßen an. Ganz nebenbei überzeugt das energieneutrale Ensemble auch aus nachhaltiger Sicht.
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Gare Maritime
Brüssel, Belgien
Bauherr: Extensa Group
Planung: Neutelings Riedijk Architecten
Team: Michiel Riedijk, Willem Jan Neutelings, Dieter de Vos, Kenny Tang,Alejandro Mosquera Garcia, Alexey Boev, Anselmo Nižić, Frank Venhorst, Pietro Manara
Gebäudetechnik: Bureau Bouwtechniek
Statik: Ney & Partners BXL / WOW
Landschaftsgestaltung: OMGEVING
Bauphysik: Boydens engineering
Grundstücksfläche: 45.000 m2
Bebaute Fläche: Bestand 140 x 280 m
Planungsbeginn: 1. Quatal 2017
Bauzeit: 1 Jahr
Fertigstellung: 2. Quartal 2019
Text: Edina Obermoser
Fotos: Filip Dujardin, Sarah Blee
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