Eine Berghütte als Zufluchtsort
Mit ihrer Skigard Hytte nahe Lillehammer haben die norwegischen Architekten Mork-Ulnes die einheimische und landschaftsspezifische Bauweise neu erfunden. Die Berghütte für die eigene Familie darf in ihrem Design und ihrer Funktion als ortsspezifische Antwort auf den Kontext und die Kulturlandschaft gesehen werden. Nachhaltiger und sanfter kann Bauen für Mensch, Tier und Natur kaum sein. Der Beitrag Eine Berghütte als Zufluchtsort erschien zuerst auf architektur-online.
Mit ihrer Skigard Hytte nahe Lillehammer haben die norwegischen Architekten Mork-Ulnes die einheimische und landschaftsspezifische Bauweise neu erfunden. Die Berghütte für die eigene Familie darf in ihrem Design und ihrer Funktion als ortsspezifische Antwort auf den Kontext und die Kulturlandschaft gesehen werden. Nachhaltiger und sanfter kann Bauen für Mensch, Tier und Natur kaum sein.
Wenn Architekten (für sich selber) bauen, geht es oftmals darum, sich ein Denkmal zu setzen. Nicht so bei Casper und Lexie Mork-Ulnes (Mork-Ulnes Architects), die kürzlich im norwegischen Skiresort Kvitfjell eine Berghütte für sich und ihre Kinder fertigstellen konnten. Wenn ein Anspruch hingegen zur Gänze für das Architektengespann mit Sitz in Oslo und San Francisco gilt, dann der, Grenzen auszuloten, Materialien innovativ einzusetzen und neue Formen von Lebensräumen zu gestalten. So haben Mork-Ulnes mit ihrem Zufluchtsort eine moderne ortsspezifische Antwort auf den Kontext und die Kulturlandschaft Norwegens gefunden.
Die Skigard Hytte ist das erste “eigene” Projekt des Architektenpaares und spiegelt den Wunsch nach einem Rückzugsort in der Heimat wider. So thront die einsam gelegene Hütte auf knapp 1.000 Metern auf einem Felsvorsprung eines steilen Berges und bietet einen herrlichen Panoramablick auf das darunter gelegene Tal mitsamt Fluss. Die Besonderheit der Hütte liegt in ihrer schlichten und dennoch anmutigen Konstruktion, welche durch das Anheben des Gebäudes auf schlanke Stützen aus Brettschichtholz noch unterstützt wird. Auf diese Weise fungiert das Gebäude nicht nur im Inneren als Zufluchtsort für seine Besucher, auch die Schafe finden im Sommer Schutz vor Sonne, Wind und Wetter unter der Hütte, wo gleichzeitig saftiges Gras wächst. Genauso grün wie unter dem Bauwerk geht es auch auf dem Dach zu – eine Anlehnung an traditionelle Bauweisen der Region. In Kombination mit der rauen Außenhaut aus Skigard (das sind drei Meter lange, geviertelte Holzstämme, die von Landwirten der Region sonst für den Bau von Zäunen eingesetzt werden) fügt sich das Gebäude bestens in die ländliche Umgebung ein. Im Sommer wiegen sich die langen Grashalme auf dem Dach sachte im Wind, im Winter verschmilzt das Bauwerk nahezu mit der Schneelandschaft, wenn die Lücken des Skigard sich langsam mit den weißen Flocken füllen.
Im Interview erzählen Lexie und Casper Mork-Ulnes, welche Aspekte die Skigard Hytte zu einem so nachhaltigen Bauwerk machen – und das in gleich mehrerer Hinsicht.
Wie haben Sie den Bauplatz gefunden? Gibt es eine persönliche Verbindung oder Geschichte?
Caspers Cousine lebt auf einem Bauernhof im Tal unterhalb des Skigebiets, weshalb wir ihre Familie dort oft zum Skifahren besuchten. So haben wir uns schließlich in den Skiberg – und die Region Gudbrandsdal – verliebt. Als regionale Landplanerin mit lokalen Kenntnissen hat uns Caspers Cousine schließlich auf das Grundstück aufmerksam gemacht.
Wie haben Sie die ländliche Bauweise als Inspirationsquelle in dieses zeitgemäße und zeitlose Design übertragen? War es ein Prozess oder kam es ganz natürlich?
Die Hütte ist in vielerlei Hinsicht eine ortsspezifische Antwort auf die lokale Kulturlandschaft. Das Design wird durch ländliche Gebäudetypen und unser Verständnis davon beeinflusst, wie funktionale, historische Strukturen die lokale Architekturkultur prägen. Auf Reisen betrachten wir immer die einheimische Architektur – und insbesondere, wenn wir das Glück haben, in einem Gebiet zu arbeiten, das eine Geschichte hat, aus der wir schöpfen können. Wir finden, dass es immer viel zu lernen gibt von bewährten einheimischen Gebäuden, die dem Lauf der Zeit getrotzt haben.
In diesem speziellen Fall waren wir beide beim Skifahren und Wandern in der Umgebung von der rauen, natürlichen Textur und dem diagonalen Muster einer Art von Zäunen angezogen, die in diesem Gebiet zur Eingrenzung von Weidetieren vorherrscht. Nachdem wir das Grundstück gekauft hatten, campierten wir auf dem Gelände und wurden in unseren Zelten von etwa zehn grasenden Kühen geweckt. Daraufhin keimte der Gedanke, dass das Haus als Dialog mit den auf dem Land koexistierenden Tieren dienen könnte. Im Gegensatz zu den meisten Hütten in der Gegend, welche die Tiere mit Zäunen von den Häusern fernhalten, möchten wir die Tiere mit ihren Glocken im Sommer in der Nähe haben. Wir lieben auch, wie sich die Gestalt der Kabine im Winter verändert, wenn sich das Skigard-Material mit Schnee füllt.
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Ist das Gebäude in Hinsicht auf den starken Bezug auf – und den Respekt für – die umgebende Natur besonders „grün“ und nachhaltig?
Das Gebäude ist nicht nur äußerlich oder in der Art wie es mit dem Boden umgeht nachhaltig, es gibt mehrere Ebenen nachhaltiger Strategien, die bei dem Gesamtkonzept des Projekts zum Einsatz kommen. Das Gebäude ist fast vollständig aus Holz gefertigt. Die Konstruktion basiert auf der nachhaltigen Forstwirtschaft Norwegens und besteht fast ausschließlich aus Holz und Nebenprodukten aus der Region. Alle Außen- und Innenwände, Wanddämmungen (eingeblasene Holzfasern), Badezimmerwände und so viele Details wie möglich bestehen aus regionalen Hölzern: Das Tannenholz im Innenraum sowie die Fassadenstruktur aus Fichte stammen aus den Wäldern, die sich 50 bis 70 km um die Hütte erstrecken.
Das Grasdach reguliert außerdem das Abfließen von Regenwasser und bietet zusätzliche Isolierung gegen Wärmeeinstrahlung im Sommer und -verlust im Winter. Da Strom in Norwegen aufgrund der 100%-igen Wasserkraft relativ günstig ist, haben wir eine elektrische Fußbodenheizung eingebaut, die Kühlung erfolgt durch Querlüftung.
Sie haben das Gebäude auf Holzstützen gestellt – gibt es dazu eine norwegische Bau-Tradition?
Auf jeden Fall – in Norwegen gibt es die Tradition, Stabbur-Gebäude (Hochspeicher) auf Holzpfosten mit Steinfundamenten zu stellen, um den Inhalt vor Nagetieren und Fäulnis zu schützen. Alle Farmen in Norwegen verfügen über einen Stabbur, da sie während der langen Winter zur Lagerung von Lebensmitteln verwendet wurden. Die Stabbur-Typologie wurde zu einem wichtigen Treiber des Projekts, aber für uns ging es weniger um Fäulnis und Nagetiere, als vielmehr darum, das Gelände um einen höheren Blickwinkel zu bereichern. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass die Hütte im Winter nicht im Schnee versinkt.
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Was ist Ihr Lieblingsplatz im Haus?
Der Hauptwohnraum: Dank der zwei raumhohen und sechs Meter breiten Wände sowie der erhöhten Lage besteht eine intensive Verbindung zur Natur. Besonders magisch fühlt sich das im Winter an, wenn wir mit einem Kaffee gemütlich inmitten der verschneiten Landschaft sitzen, obwohl es draußen -20 Grad hat.
Das Beste und das Herausforderndste daran, gleichzeitig Architekt und Bauherr zu sein?
Die Möglichkeit zu haben, mit konzeptionellen und praktischen Designideen zu experimentieren, vor denen einige Kunden möglicherweise zurückschrecken, ist sehr spannend. Es ist allerdings auch schwierig, sich selbst davon abzuhalten, jedes kleinste Detail zu überdenken und entwerfen zu wollen (bis hin zu individuellen Toilettenpapierhaltern) – schließlich möchte man später nicht in einem Haus mit ungelösten Details leben.
Sollte es in der Skigard Hytte wider Erwarten tatsächlich noch ungelöste Details geben, so machen vielleicht gerade die den besonderen Charme dieser speziellen Berghütte aus. In ihrer rauen und gleichzeitig warmen Anmutung fügt sich das Gebäude so selbstverständlich in die norwegische Bergwelt, wie es traditionelle Bauweisen in Verbindung mit heimischen Materialien auf moderne Art interpretiert, ohne dabei laut zu werden. Ein gelungener Zufluchtsort für Mensch und Tier.
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Skigard Hytte
Kvitfjell Resort, Fåvang, Norwegen
Bauherr: Casper and Lexie Mork-Ulnes
Planung: Mork-Ulnes Architects
Mitarbeiter: Lexie Mork-Ulnes, Casper Mork-Ulnes, Phi Van Phan, Auste Cijunelyte, Kristina Line, Monica Lepinska
Statik: Bygg Konsulentene Øst.
Grundstücksfläche: 2.148 m2
Baufläche: 145 m2
Planungsbeginn: 2016
Bauzeit: Sommer 2017
Fertigstellung: Herbst 2019
Text: Linda Pezzei
Fotos: Bruce Damonte
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