Eine Kalkputzfassade in Wellen gelegt

Im niederösterreichischen Perchtoldsdorf ließ sich Architekt Jan Proksa auf Herausforderungen ein. In Zusammenarbeit mit Ursula Knappl entwarf er ein Wohnhaus mit außergewöhnlicher Kalkputzfassade, die die Vergangenheit aufleben lässt. Der Beitrag Eine Kalkputzfassade in Wellen gelegt erschien zuerst auf architektur-online.

Eine Kalkputzfassade in Wellen gelegt

Im niederösterreichischen Perchtoldsdorf ließ sich Architekt Jan Proksa auf Herausforderungen ein. In Zusammenarbeit mit Ursula Knappl entwarf er ein Wohnhaus mit außergewöhnlicher Kalkputzfassade, die die Vergangenheit aufleben lässt.

 

Architekt Jan Proksa Wohnhaus mit Kalkputzfassade

 

Zwei Generationen einer Familie sind in ihrem neuen Wohnhaus angekommen und fühlen sich zuhause. Es befindet sich inmitten einer Einfamilienhaussiedlung, umgeben von einigen weiß verputzten würfelförmigen Häusern. Es ist zwar selbst ein solches und doch sticht es heraus. Das vor allem aufgrund der ungewöhnlichen Fassadengestaltung, aber auch durch das Spiel mit dem Baukörper. Unterschiedliche Winkel im Grundriss und ein geschossweises Versetzen der Baumasse erzeugen prägende Vor- und Rücksprünge. An der östlichen Grundstücksgrenze schließt das Gebäude an das nachbarliche Haus an und bildet so gewissermaßen sein Pendant. Das dreigeschossige Wohnhaus nimmt zwei Wohneinheiten in sich auf, die unabhängig voneinander funktionieren. Zu den Eingängen der Wohnungen gelangt man über einen gemeinsamen Zugangsbereich. Die kleinere der beiden Wohnungen befindet sich im Erdgeschoss, die andere erstreckt sich vom ersten in das zweite Obergeschoss. Dadurch besitzt Letztere eine eigene zusätzliche Erschließung im Wohnungsinneren.

 

Architekt Jan Proksa Wohnhaus mit Kalkputzfassade

 

Die Sanitär- und Servicebereiche werden in beiden Wohnungen kompakt zusammengehalten, wodurch die überwiegende Fläche für einen weiträumigen Wohnbereich freigegeben wird. Die Farbe Weiß und das Braun des Holzparketts dominieren im Innenraum und verleihen ihm schlichte Eleganz. Über die jeweils gesamte Nord- und Südseite des Hauses erstrecken sich in allen drei Geschossen großzügige Öffnungen, die den Blick auf die umliegenden Wohnhäuser und die Weinberge freigeben. Punktuell öffnet sich der Bau auch an der Westseite, wodurch er noch transparenter und lichtdurchfluteter wird. Mit einem Blick durch die großflächigen Öffnungen kann man von Innen auch einen Eindruck über die Gestalt der Fassade bekommen, denn deren Profil ist von dort aus ausgezeichnet erkennbar. Die gesamte Wandfläche der Fassade ist in horizontal verlaufende Wellen gelegt. Die vom Architekten gewünschte Tiefe und Plastizität kommt dadurch zum Ausdruck und konnte durch das Verwenden eines Kalkputzes auch Gestalt annehmen.

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Putz ist ein sehr alter und auch vergleichsweise günstiger Baustoff. Er ist in seinem Wesen sehr bescheiden und doch sehr qualitätvoll. Die Art und Weise, wie er an einen Untergrund aufgebracht wird, lässt eine grenzenlose Vielfalt zu. Doch sind viele Putztechniken auch vergessene handwerkliche Techniken. An Fassaden sieht man heute leider immer wieder nur wenig Varianten von Putzoberflächen, diese aber immer wiederkehrend. Das vergessene Handwerk, das hinter einer Putzfassade steckt, und den Variantenreichtum ihrer Ausführungsmöglichkeiten wollte Architekt Jan Proksa hier in Erinnerung rufen. Es galt auf die Fassaden der großbürgerlichen Mietshäuser in Wien zu verweisen, mit ihren vom Historismus geprägten Fassadenschmuck und ihren horizontalen Gesimsbändern. Die traditionelle Technik des gezogenen Gesimses wurde hier neu interpretiert und zeugt von der Kreativität des Architekten, sowie von dessen Wertschätzung für alte handwerkliche Techniken.

 

Jan Proksa Zweifamilienhaus Perchtoldsdorf

 

Um Putzfassaden herstellen zu können, ist man auf handwerkliches Können und Erfahrung angewiesen. Es musste also jemand gefunden werden, der eine derart spezielle Fassade herstellen wollte und konnte. Zuvor mussten auch die Bauherren vom dadurch entstehenden Mehraufwand überzeugt werden. So entstand ein Projekt im Projekt. Die Suche nach ausführenden Firmen gestaltete sich als eine sehr große Herausforderung, ebenso wie der zeitliche Ablauf. So zog sich die Suche über einen ganzen Sommer hindurch, sodass es im Herbst aufgrund der niedrigen Temperaturen nicht möglich war den Wellenputz auf einmal auszuführen. Mit einigen Monaten Verzögerung konnten die Bauherren schließlich in ihrem neuen Zuhause einziehen.

 

Jan Proksa Zweifamilienhaus Perchtoldsdorf

 

Aufgebracht wurde der Kalkputz in zwei Schichten. Auf der unteren 20 mm dicken Schicht befindet sich eine weitere mit einer Stärke von 5 bis 30 mm, die in horizontal verlaufende Wellen gestaltet ist. Um diese herstellen zu können, bediente man sich der Technik des gezogenen Gesimses. Eine Stahlschablone wurde dabei durch die zähflüssige Masse des Kalkputzes gezogen, die ihn in die gewünschte Form brachte. Mithilfe einer Führungsschiene aus Aluminium konnten so immer zwei Wellen gleichzeitig gefertigt werden. Gearbeitet wurde direkt vor Ort, ohne vorgefertigte Elemente, direkt an der Fassade. Wie man die Aluschienen danach entfernen kann, musste herausgefunden werden. Nach mehrmaligem Verwenden der Schablone löste man diese sanft aus dem schon angetrockneten Putz heraus und besserte die dort entstandenen Unebenheiten nach. So entstand ein Wellenpaar nach dem anderen. Der Wellenputz konnte nach den ursprünglichen Vorstellungen des Architekten umgesetzt werden, ohne in seiner Gestalt verändert werden zu müssen.

 

Jan Proksa Zweifamilienhaus Perchtoldsdorf

 

Für die anspruchsvolle Realisierung der Fassade konnten nur sehr schwer Handwerker gefunden werden, die das nötige Können besitzen und noch dazu erschwinglich waren. So musste der mit dem Architekten befreundete tschechische Künstler Zbynek Mergental überzeugt werden, den Wellenputz anzufertigen. Leider ist es heutzutage äußerst schwierig spezielle Gestaltungen und Oberflächen von Putzfassaden umzusetzen. Es ist für die herstellenden und ausführenden Firmen schlicht zu aufwändig und teuer, solche alten handwerklichen Techniken anzuwenden. Stattdessen gibt es Möglichkeiten, diese zu imitieren, etwa durch das zuschneiden und überziehen von Polystyrol. Das hätte dann optisch zwar einen ähnlichen Effekt erzeugt und wäre sicherlich auch weniger herausfordernd gewesen, aber gleichzeitig hätte die Fassade auch weniger atmen können und wäre nicht so langlebig gewesen. Putz und seine verschiedenen Techniken muss man wieder kennenlernen, mit ihnen arbeiten können, ihre Qualitäten schätzen und überhaupt die Anstrengung aufbringen wollen, sie einzusetzen.

Hat sich der Aufwand für diese Kalkputzfassade also gelohnt? Aus der Sicht des Architekten Proksa auf jeden Fall. Es entstand etwas Besonderes, bei dem man das Handwerk dahinter spürt. Putz bietet eine Vielzahl an Variationen und Möglichkeiten an. Durch den für das Wohnhaus in Perchtoldsdorf ausgeführten Wellenputz kommt sogar noch eine weitere hinzu.

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Zweifamilienhaus
Perchtoldsdorf

Bauherr: Vera und Philipp Kravanja, Anna und Hans Fahrngruber
Architekt: Jan Proksa, im Entwurf mit Ursula Knappl
Mitarbeiter: Marija Markovic, Ivana Janosevic
Statik: Neli Rachkova-Anastassova

Grundstücksfläche: 529 m²
Bebaute Fläche: 132 m²
Nutzfläche: 249 m² + 91,5 m² Keller
Planungsbeginn: 2016
Bauzeit: 2017-2020
Fertigstellung: 2020

 

Text: Alexandra Ullmann
Fotos: Jakub Skokan, BoysPlayNice

 

 

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