Frei von Überfluss
Interview: "Wir bauen mit lokalen Materialien, mit lokalen Handwerker:innen und den Charakteren der Menschen, die hier leben. Es ist keine intellektuelle, sondern eine emotionale Angelegenheit: Wir wollen unseren Projekten die Möglichkeit geben, in Würde zu altern." Für pedevilla architekten bedeutet das Bauen einen bewussten Umgang mit sozialen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Komponenten des alltäglichen Lebens. Dabei spielt die Einbindung eines Gebäudes in vorhandene örtliche Strukturen eine ebenso große Rolle, wie das Eingehen auf die jeweiligen Temperatur- und Klimaeinflüsse. In diesem Zusammenhang wird das Thema der Konsistenz zum wichtigen Faktor bei planerischen Entscheidungen.
„Wir bauen mit lokalen Materialien, mit lokalen Handwerker:innen und den Charakteren der Menschen, die hier leben. Es ist keine intellektuelle, sondern eine emotionale Angelegenheit: Wir wollen unseren Projekten die Möglichkeit geben, in Würde zu altern.“ Für pedevilla architekten bedeutet das Bauen einen bewussten Umgang mit sozialen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Komponenten des alltäglichen Lebens. Dabei spielt die Einbindung eines Gebäudes in vorhandene örtliche Strukturen eine ebenso große Rolle, wie das Eingehen auf die jeweiligen Temperatur- und Klimaeinflüsse. In diesem Zusammenhang wird das Thema der Konsistenz zum wichtigen Faktor bei planerischen Entscheidungen.
„Uns geht es um die Kreisläufe der verwendeten Materialien, deren Haltbarkeit und Lebensdauer, aber auch um überlieferte Methoden der traditionellen Handwerkskunst, um verloren geglaubtes Wissen; vor allem aber darum, dass Materialien leben.“ Armin und Alexander Pedevilla betreiben ein international ausgerichtetes Architekturbüro in einem Ansitz aus dem 15. Jahrhundert im Zentrum der Stadt Bruneck. Mit ihrem Schaffen verfolgen die Architekten das Prinzip der Konsistenz, das auf der Wertbeständigkeit und -erhaltung von vorhandenen Strukturen oder lokalen Gegebenheiten beruht. Die daraus resultierenden Entwürfe stehen jeweils für sich und werden zurecht regelmäßig mit international anerkannten Architekturpreisen ausgezeichnet.
Haben Sie schon immer gewusst, dass Sie Architekten sein wollen bzw. wann und wie wurde der Beruf zur Berufung?
Alexander Pedevilla: Tatsächlich hatte ich schon als Kind die fixe Idee, Architekt zu werden, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ein Architekt ist. Während meiner Schulzeit entwickelte sich diese anfängliche Idee zu der festen Überzeugung, Architektur zu studieren. Vor allem während meiner Pflichtschulzeit hatten wir Lehrer, die meinen Enthusiasmus und meine Begeisterung für das Bauen bestärkt haben.
Armin Pedevilla: Ich komme ja eigentlich aus dem Maschinenbau. Als Alex dann Architektur in Graz studierte, hat mich das schlussendlich dazu inspiriert, denselben Weg einzuschlagen.
Sie haben nach Ihrem Studium in Graz eigene Büros in Österreich eröffnet – was hat den Ausschlag gegeben, in der Heimat Südtirol gemeinsame Sache zu machen?
Armin Pedevilla: 2004, während eines Urlaubs in der Heimat, hatten Alex und ich die Chance, an einem öffentlichen Wettbewerb teilzunehmen – den wir dann auch gewinnen konnten. Das war der Beginn unserer gemeinsamen Reise. Vielleicht war es vorherbestimmt, genau zu dieser Zeit am selben Ort zu sein und die Gelegenheit zu ergreifen, gemeinsam an diesem Wettbewerb zu arbeiten. Oder vielleicht haben wir, ohne es zu wissen, einfach nur das Potenzial gespürt, das wir als Team haben, und uns auf diese besondere Reise begeben.
Alexander Pedevilla: Ich würde auch sagen, dass die Zeit einfach reif war, es gemeinsam zu versuchen.
Sie bauen bevorzugt mit lokalen Materialien und lokalen Handwerksbetrieben – welche Herausforderungen und Chancen bringt das mit sich?
Armin Pedevilla: Ein Haus ist das Ergebnis von Teamarbeit, eines Prozesses, in den viel Fachwissen, Motivation, Hingabe und Stolz aller im Prozess involvierten Menschen mit einfließt. Da die Handwerker:innen einen wichtigen Teil der Südtiroler Gesellschaft ausmachen, drückt ihre Arbeit ein Stück weit jene regionalen Werte und die Kultur aus, die für die Bevölkerung auch identitätsstiftend sind. Es sind die lokalen Charaktere, die das Bauen prägen, aber für uns als Architekturbüro sind es auch die lokalen Charaktere, die ein Bild von vertrauten Räumen, Materialien, Oberflächen, Motiven oder Ausdrücken haben. Es bietet sich die Chance, diese tiefen Bilder und oft unbewussten Erinnerungen zum Leben zu erwecken. „Bauen mit Einheimischen“ bedeutet also, nicht nur physisch zusammenzuarbeiten, sondern auf einer Metaebene zu denken und Kultur mit dem physisch Greifbaren zu verbinden. Soziale Akzeptanz und der Drang, das Gebäude am Ende zu pflegen, werden durch einen emotionalen Zugang über Materialität und Atmosphären geschaffen.
Alexander Pedevilla: Wir arbeiten genau dort, wo sich der deutsche und der italienische Kulturraum treffen und überschneiden. Pedevilla ist ein rätoromanischer Name, unsere Muttersprache ist Deutsch. Unsere Mentalität verbindet kulturell gesehen das Tirolerische und das Italienische. Das manifestiert sich gewissermaßen in der Südtiroler Architekturszene: Sie hat eine eigensinnige und eigenständige Komponente – auch wenn sie nicht mit dem Selbstverständnis der Schweizer zum Beispiel vergleichbar ist. Wirtschaftlich gesehen hat die Alpenregion einen Boom im Bergtourismus und in der Gastronomie erlebt. In Verbindung mit dem großen Unternehmergeist der Bevölkerung hat dies zur Entwicklung des gesamten Gebiets beigetragen. Es hat eine Region, die bis vor fünfzig Jahren sehr arm war, in eine an Möglichkeiten reiche Region verwandelt. Hier wird viel mehr gebaut als in anderen Teilen Italiens. In den Alpen gibt es wunderschöne Dörfer und Schlösser, aber die architektonische Tradition ist nicht so reichhaltig wie im übrigen Italien. Allerdings gibt es eine unglaublich alte Tradition des Handwerks. In vielen Tälern hat man sich auf bestimmte Gewerke spezialisiert und das Wissen über Jahrhunderte hinweg weitergegeben und entwickelt. Das macht sie zu Experten im Bauen und Herstellen. Diese Situation macht uns experimentierfreudig und motiviert uns gleichzeitig, neue Architektur zu schaffen, bei der wir wissen, dass es einige sehr erfahrene und motivierte Teams gibt, die sie bauen können, auch wenn sie ein Stück weit Pionierarbeit bedeutet.
Armin Pedevilla: Für unsere Art, Architektur zu schaffen, sind das Material und seine Ausstrahlung sehr wichtig. Für jedes Projekt versuchen wir herauszufinden, welches das ideale Material ist, das zum Ort, zur Aufgabe und auch zum Charakter des Bauherren passt. Wir versuchen, mit Materialien nach ihren konstruktiven Regeln zu arbeiten, um das Beste aus ihnen herauszuholen und sie zu verstärken, wobei wir immer darauf achten, wie sich die Materialien im Laufe der Zeit verhalten.
Zu welchem Zeitpunkt kommt das Thema Konsistenz im Planungsprozess zum Tragen?
Armin Pedevilla: Die Konsistenz als die Freiheit von Widersprüchen, also im Grunde auch die Konsequenz, begleitet uns als Planungsziel von Anfang an. Wir wollen, dass unsere Bauten im Einklang mit sich selbst, seinen Nutzer:innen, der Kultur und den regionalen Werten, mit der Natur, aber auch mit der Geschichte stehen.
Alexander Pedevilla: Gleichzeitig gilt es, technologische Errungenschaften vernünftig zu nutzen. Dann sehen wir dahinter ein sehr großes Potenzial, wirklich nachhaltig zu bauen. Wenn Technologien intelligent genutzt werden, können sie viele Vorteile haben. Wenn nicht, dann bringen sie mitunter auch viele Nachteile mit sich.
Armin Pedevilla: Die Tradition lehrt es uns zum Beispiel, dass insbesondere Steinhäuser ein wunderbar konstantes und natürliches Raumklima haben – energetisch gesehen musste den Bauten dabei meist ein mangelhaftes Zeugnis ausgestellt werden. Durch die technologische Entwicklung von Materialien wie Dämmbeton haben wir nun allerdings die Möglichkeit, wieder ein Haus aus Stein zu bauen, dessen große Speichermasse zu aktivieren und es währenddessen trotzdem zu dämmen – energetisch auf dem allerneuesten Stand – und das mit nur einem Material, ohne viele Schichten oder komplizierte Anschlüsse. Noch so ein Beispiel wäre die Sache mit den Verglasungen: Waren Fenster früher energetische Schwachstellen, über die man Wärme verloren hat und die man daher möglichst klein hielt, so haben wir durch die technologische Entwicklung die Möglichkeit bekommen, Fenster heute als etwas ganz anderes zu verstehen und zu nutzen. Wir können heute größere Öffnungen setzen, die das Außen und das Innen viel besser miteinander kommunizieren lassen, viel mehr Licht ins Haus bringen und darüber hinaus noch für einen solaren Wärmeeintrag sorgen – vorausgesetzt, im Inneren ist ausreichend Speichermasse für diese Wärme vorhanden und das Verhältnis zwischen Wand und Öffnung stimmt.
Alexander Pedevilla: Am Ende geht es ja auch darum, sich vom Überfluss zu befreien, das Einfache herauszuholen und das Wertvolle zu präsentieren. Es ist die Suche nach einer Art von Reinheit. Die Konzepte und Themen über das gesamte Projekt nur mehr zu verfeinern, aber nicht zu verwässern. Vielleicht kann man am Ende auch den abgedroschenen Begriff der Nachhaltigkeit als so etwas wie die Konsistenz im Planungsprozess betrachten. Immerhin begleitet er uns als eines der obersten Projektziele von Anfang bis Ende. Für uns bedeutet Nachhaltigkeit allerdings nicht primär, physikalisch berechnete Kennwerte einzuhalten, sondern vielmehr Gebäude zu schaffen, die über lange Zeiträume hinweg erhalten und gepflegt werden. Unsere Philosophie ist es, Bauwerke zu schaffen, die emotional berühren. Denn Wertschätzung bedeutet schlussendlich Werterhaltung. Das ist auch gar nicht neu, sondern entspricht einer uralten bäuerlichen Tradition, die man in Südtirol und an vielen anderen Orten in den Alpen seit Jahrhunderten kennt. Von jeher wurden Häuser für lange Zeiträume entwickelt, von den nachfolgenden Generationen gepflegt und – sofern nötig – angepasst.
Mit alternden Materialien zu bauen erfordert einiges an Erfahrung und Know-how – woraus ziehen Sie Ihr Wissen bzw. arbeiten Sie generell disziplinübergreifend?
Alexander Pedevilla: Wir müssen Traditionen verstehen, sie hinterfragen und schauen, ob die Nachteile historischer Bauweisen schon positive Entwicklungen zur Folge hatten, welche die Baukultur der Gegenwart langfristig beeinflussen könnten. Das gilt es zu verstehen. Dinge, die immer schon gut funktioniert haben und genauso noch funktionieren, sollten erhalten bleiben und nicht zwanghaft mit Industrieprodukten oder beschichteten Oberflächen ersetzt werden. Das tötet die Materialien ab.
Aus kultureller Sicht war ja die Bedeutung der Erhaltung der Landschaft in den Alpen schon immer sehr präsent. Unser Gebiet besteht nicht aus großen städtischen Zentren, sondern aus kleinen Städten und Dörfern, die von der Natur umgeben sind. Dies führt glücklicherweise dazu, dass die Bevölkerung ein großes Gefühl der Verbundenheit und Verantwortung für ihr Gebiet empfindet. Das lässt der Tradition genügend Raum. Der Reichtum an Naturmaterialien und die Tradition des Handwerks stehen doch in einer singulären Beziehung zueinander, sodass wir Architekten auch vom Material-Know-how und der Erfahrung alteingesessener Betriebe profitieren können. Die Handwerker:innen sind wie gesagt oft unglaublich innovativ. Das wirkt sich sicherlich positiv auf die Qualität der architektonischen Produktion der Region aus.
Armin Pedevilla: Nicht zuletzt konnten wir in der langjährigen Praxis auch selbst beobachten, welche Materialien in welchem Kontext am besten funktionieren. Vor allem die Regeln des materialgerechten Bauens sind uns bei unseren prototypischen Konstruktionen ein guter Freund. Worauf wir uns verlassen können, sind Logiken und Regeln in Bezug auf das Konstruieren mit Naturmaterialien am jeweiligen Ort. Diese Grundsätze basieren auf Erfahrung und sind oft viele Jahrhunderte alt. Man pflegt sie wie eine Sprache mit riesigem Wortschatz. Die Industrie hingegen bietet zunehmend Produkte an – seien es Beschichtungen oder vermeintlich einfachere Konstruktionen –, die nach neuen Regeln spielen, die global beliebig anwendbar werden. Dadurch geht jedoch viel regionales Wissen – und damit ein wichtiges Stück Baukultur – verloren.
pedevilla architekten: das beste Beispiel, dass herausragende und international anerkannte Architektur keine Dependancen rund um den Globus braucht?
Armin Pedevilla: Interessant ist, dass die meisten Studierenden, die vom Land kommen, nach ihrem Studium die großen Büros in der Stadt suchen, weil ein gewisser Drang nach Veränderung da ist. Der Bedarf und viele Potenziale liegen aber unumstritten in der Region, am Land. Kultur und Herkunft nehmen immer mehr an Bedeutung zu. Durch die Globalisierung geht schließlich ein Teil unserer ländlichen Kultur verloren. Dort gezielt einzugreifen und unsere Wurzeln weiterleben zu lassen, erfordert erheblichen Einsatz und bietet viele Möglichkeiten. Wir wollen im Lokalen unserer Arbeit nachgehen, die Menschen vor Ort verstehen, ihre Vergangenheit studieren und ihre Zukunft neu denken. Dass uns das immer wieder gelingt, zeigen uns die vielen Auszeichnungen und Anerkennungen, die wir für unsere Arbeit erhalten dürfen. Das ehrt uns sehr und ermutigt gleichzeitig, mit unserer Haltung weiterzumachen. Wir sind sehr dankbar dafür, diese Erfahrungen machen zu dürfen.
Alexander Pedevilla: Verglichen mit einem Marathonlauf kann man sagen: Die Kunst eines guten Laufs besteht darin, auch auf den letzten Kilometern top zu sein. Wir bringen genau dieses Durchhaltevermögen mit. Wir arbeiten so, dass wir auch noch kurz vor der Fertigstellung eines Projekts genügend Energie haben, um Materialien weiterzuentwickeln. Wir nehmen uns auch am Ende noch viel Zeit für die feinen Details – Zeit, die man sich in großen Büros vielleicht gar nicht nehmen kann.
Armin Pedevilla: Lokal denken und lokal handeln, dabei immer selbst ganz vorne im Prozess dabei sein zu können, das sehen wir als Mehrwert und gewissermaßen auch als Luxus, den wir uns mit unserem 10-köpfigen Team gönnen – um ganz spezielle Projekte entstehen lassen zu können.
Frastanz Hofen Bildungszentrum
Ein Thema, das Sie im Moment beschäftigt? Und worum geht es dabei im Kern?
Armin Pedevilla: Der Holzbau. Trends sind für uns immer sehr fraglich, da sie meistens vergänglich sind. Die Frage beispielsweise, ob eine Bauweise oder Lösung an der jeweiligen Stelle überhaupt Sinn macht, gerät in so mancher Trendwelle in den Hintergrund oder geht ganz verloren. Man bekommt eine Baukultur, in der Dinge vor allem deswegen zur Ausführung kommen, weil der Markt es so will. Das führt inhaltlich oftmals zu falschen Ansätzen. Wir versuchen nicht blind den Trends zu folgen, sondern immer wieder nach der Sinnhaftigkeit zu fragen. Stehen verschiedene Argumente dafür, darf es auch ein Holzbau sein – sonst eben ein Ziegel- oder Betonbau. Jedes Material hat seine Eigenschaften und Qualitäten, deshalb müssen die Materialien so eingesetzt werden, dass sie ihren Charakteristiken entsprechend maximal sinnvoll genutzt werden. Das ist dann Effizienz.
Ein Projekt, das Sie unbedingt in Bruneck verwirklichen möchten?
Armin Pedevilla: Die Stadt neu planen und ordnen, um sie lebenswerter zu machen. Das ist leider nur ein theoretisches Projekt.
Alexander Pedevilla: Brixen beispielsweise hat einen Masterplan, nach dem bestimmte Entscheidungen getroffen werden, um die Stadt langfristig lebenswert zu gestalten – ein Konzept, das offensichtlich aufgeht. Entwicklungen und Energieflüsse können so langfristig geplant werden und die Stadt kann gesund wachsen.
Interview: Linda Pezzei
Fotos: Gustav Willeit