Haus mit Haltung
Ein Haus ohne Beton zu bauen, klingt sehr unkonventionell, eigenwillig und auch fast unmöglich. Was sich im ersten Moment wie ein Experiment anhört, ist im niederösterreichischen Breitenfurt bei Wien Gestalt geworden. Architekturschaffender und Lehmbauexperte Andi Breuss baute dort ein wegweisendes Wohnhaus ohne Beton, ohne Chemie und ohne Emissionen. Mit Holz und Lehm findet stattdessen etwas zusammen, das für Behaglichkeit und Anpassungsfähigkeit plädiert.
Ein Haus ohne Beton zu bauen, klingt sehr unkonventionell, eigenwillig und auch fast unmöglich. Was sich im ersten Moment wie ein Experiment anhört, ist im niederösterreichischen Breitenfurt bei Wien Gestalt geworden. Architekturschaffender und Lehmbauexperte Andi Breuss baute dort ein wegweisendes Wohnhaus ohne Beton, ohne Chemie und ohne Emissionen. Mit Holz und Lehm findet stattdessen etwas zusammen, das für Behaglichkeit und Anpassungsfähigkeit plädiert.
Ein Haus ohne Beton zu bauen und es auch noch danach zu benennen, zeugt von einer nachhaltigen Grundhaltung. Ein unkonventioneller Weg wird bei diesem Wohnhaus eingeschlagen, indem es fast vollständig auf die natürlichen Baustoffe Holz und Lehm zurückgreift. Als Holzleichtbau ist es aus unverleimtem Brettstapelholz mit einer hinterlüfteten Fassade konstruiert. Die Innenwände sind mittels Holzständerkonstruktion aus Tannenholz aufgebaut. Bemerkenswert ist, dass das verwendete Holz und der Lehm in ihrem natürlichen Zustand belassen und mit keiner Oberflächenbehandlung versehen werden. Es lebt sich hier naturnah ohne Öle, ohne Lacke, ohne Lasuren. Selbst das Holz des Fußbodens ist nur gelaugt, geseift und anschließend gebürstet. Zur Behaglichkeit der Innenräume mit ihrer warmen Atmosphäre trägt vor allem der Lehmputz mit seiner Eigenschaft bei, die das Raumklima reguliert. Seine strukturierte Oberfläche wirkt sich positiv auf die Raumakustik aus und er bindet obendrein unangenehme Gerüche. Der Lehm ist als dicke Schicht auf der Innenseite der Außenwände aufgetragen und integriert eine Wandheizung. Durch ihre Strahlungswärme schafft sie zusätzlichen Komfort zu der ebenfalls vorhandenen Fußbodenheizung. Letztere wird vom Lehmestrich aufgenommen, der hier anstatt des üblicherweise ausgeführten Zementestrichs zur Anwendung kommt. Das Haus ohne Beton verzichtet auf Chemie und synthetische Baustoffe – wie Gipskartonplatten, Mineralwolle oder Klebebänder. Sie sind allesamt durch Lehm ersetzt. Das Gebäude ist nicht luftdicht verpackt, sondern setzt auf Diffusionsoffenheit, lässt also das Zirkulieren von Feuchtigkeit zu. Mehr noch arbeiten das Holz und der Lehm wie selbstverständlich damit zusammen. So ist es möglich, mit der hinterlüfteten Fassade mitunter auch eine Holzdusche zu verwirklichen. CO2-Emissionen werden mit diesem Wohnbau nicht nur vermieden, sie werden durch beide Materialien sogar gebunden.
So weit, so gut und naturnah. Der Clou des Hauses liegt im Weiteren darin, dass offensichtlich auch das Fundament ohne Beton auskommt. Die Bauherren haben für das Haus einen Keller als nicht notwendig befunden. Das hat die Möglichkeit eröffnet, auf unterirdische Bauteile zu verzichten. Anstatt das Haus auf einer Fundamentplatte aufzusetzen, ist es angehoben und mit dem Boden verschraubt. Die Verbindung zwischen Haus und Erdboden erfolgt durch Stahlschrauben, die in Löchern mit einem Durchmesser von 15 cm zwischen zwei bis fünf Meter tief hinein geschraubt sind. Bei einer Grundfläche von 108 m² sind es so nur etwa 0,4 m² an denen das Haus durch seine Schraubfundamente tatsächlich mit der Erde in Berührung kommt. Am Grundstück ist für das Haus somit keine Fläche versiegelt worden, das Regenwasser kann nach wie vor uneingeschränkt im Boden versickern. Das Weglassen des Kellers sorgt auch dafür, dass es kein Erdmaterial gibt, das man hätte ausheben und abtransportieren müssen.
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Das zweigeschossige Haus erhebt sich schließlich über einer 16 cm dicken Bodenplatte aus unbehandeltem Industrie-Sperrholz. Durch ihre dreifache Abtreppung passt sie sich an die leichte Hanglage des Grundstücks an. Ein kleines Podest bildet den Übergang vom Hang nach drinnen und schafft eine ebene Fläche. Im Inneren des Hauses sind im unteren Geschoss die Niveausprünge in der Grundplatte durch eine etwa sechs Meter lange Rampe ausgeglichen. Ein hölzernes Regalsystem fügt sich entlang dieser an. Es ist ein wichtiges räumliches Element, das den Bereich der Rampe in den Wohnbereich integriert. Hinter dem Regal eröffnet sich zur einen Seite die offene Wohnküche mit Zugang zur Terrasse, zur anderen ein Vorbereich, der in ein barrierefrei zugängliches Schlafzimmer führt. Dieses besitzt ein eigenes Bad und auch einen Zugang ins Freie. Drei Stufen führen nach draußen hinab auf den geschotterten Weg des Gartens. Das obere Geschoss des Hauses ist über eine hölzerne Treppe erreichbar, an die hier wiederum ein Regal anschließt. Diesmal funktioniert es auch als Brüstung zu den Stufen hin. Drei Schlafzimmer, ein Arbeitsraum und Sanitärräume schließen an den offenen Aufenthaltsbereich rund um die Stiege an.
Zurzeit ist das Haus als eine 151 m² große zusammenhängende Wohneinheit für eine Familie gestaltet. Das muss aber nicht immer so bleiben, denn aus eins kann hier mit wenig Aufwand zwei werden. So können aus dem derzeitigen Einfamilienhaus auch zwei getrennte Wohneinheiten entstehen. Jedes Geschoss separiert sich dabei zu einer eigenen Wohneinheit, für die jeweils eine eigene Eingangsmöglichkeit miteingeplant ist. Auch die Anzahl der Zimmer ist variabel und kann an die entsprechende Situation angepasst werden. Die hauptsächlich nicht-tragenden Innenwände ermöglichen diese Flexibilität. Mehrere Generationen einer Familie, Geschwister, Freunde oder Wohngemeinschaften können hier ein Zuhause finden. Kurz gesagt: Das Zusammenleben mehrerer diverser Wohnformen ist berücksichtigt. So orientiert sich das Haus an den Bedürfnissen seiner Bewohnerinnen und Bewohner und verändert sich mit ihrer jeweiligen Lebenssituation. Die Architektur verfolgt einen vorausschauenden Ansatz und ist wandlungsfreudig. Sie beschäftigt sich mit Herausforderungen unserer Zeit und fragt sich: Wie möchten wir wohnen? Wieviel Platz brauchen wir? Wie kann sich das Haus an unsere zukünftigen Bedürfnisse anpassen? Was bleibt einmal von unserem Haus übrig?
Das Haus ist vollständig rückbaubar und könnte genauso gut an anderer Stelle – mit ähnlicher Hanglage – wieder aufgebaut werden. Was schließlich später vom Haus zurück bleibt ist ganz einfach abgezählt: es sind die gut zwanzig Löcher der Stahlschrauben des Fundaments im Erdboden. Die vom Gebäude in Anspruch genommene Fläche kann auf diese Weise wieder vollständig der Natur zurückgegeben werden. Bis sprichwörtlich Gras über die Sache gewachsen ist, dauert es dann noch wenige Wochen. Letztendlich ist es dann so, als wäre nie etwas da gewesen.
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Die Lust am Experimentieren mit dieser noch unüblichen und gleichzeitig sehr zeitgemäßen Bauweise ist bei dem Wohnhaus nicht zu übersehen. Um ein Haus ohne Beton zu verwirklichen, braucht es natürlich gewisse Möglichmacher: Offenheit und Unterstützung der Bauherrn, die Abtretung eines Kellers, sowie das Interesse und Engagement des Architekten oder der Architektin. All das eint das Haus ohne Beton glücklicherweise. So ist am Holzbau äußerlich und innerlich die Leidenschaft und Freude an der Beschäftigung mit den Materialien und Oberflächen spürbar. Architekturschaffender Andi Breuss hat so in Breitenfurt bei Wien ein wahrhaftiges Haus mit Haltung umgesetzt.
„Mit dem Bauherren haben wir darüber gesprochen, dass Holz- und Lehmhäuser immer ein Betonfundament haben. Wir haben dann angefangen über Alternativen zu diskutieren. Vorab hat er sich tatsächlich schon mit einem Fundament aus Stahlschrauben beschäftigt, genauso wie ich auch. Das hat dann sehr gut zusammengepasst und wir haben beschlossen das Haus ohne Beton zu realisieren. Die Stahlschrauben waren dabei auch für mich eine neue Erfahrung.“
Andi Breuss
Haus ohne Beton
Breitenfurt bei Wien
Bauherr: privat
Planer: Andi Breuss
Mitarbeiter: DDI Edith Schroll, Florian Kolar BSc
Statik: Zehetgruber+Laister ZT GmbH
Grundstücksfläche: 812 m²
Bebaute Fläche: 108 m²
Nutzfläche: 151,4 m²
Planungsbeginn: 2018
Bauzeit: 1 Jahr
Fertigstellung: 2020
Text: Alexandra Ullmann
Fotos: Romana Fürnkranz