Im Lauf der Zeit
Unter dem Namen "Het College" ist es Studio Farris Architects gelungen, eine urbane Insel im Stadtzentrum der belgischen Stadt Zottegem zu revitalisieren. Das entstandene Wohnbauprojekt verbindet modernen Zeitgeist und historische Relikte, die nur noch ansatzweise den vormals verwahrlosten Zustand und die durch einen Brand entstandenen Wunden des Bestandsareals erahnen lässt.
Unter dem Namen „Het College“ ist es Studio Farris Architects gelungen, eine urbane Insel im Stadtzentrum der belgischen Stadt Zottegem zu revitalisieren. Das entstandene Wohnbauprojekt verbindet modernen Zeitgeist und historische Relikte, die nur noch ansatzweise den vormals verwahrlosten Zustand und die durch einen Brand entstandenen Wunden des Bestandsareals erahnen lässt.
2008 gründete der italienische Architekt Giuseppe Farris sein Studio im belgischen Antwerpen mit dem Ziel, das jedem Projekt innewohnende Potenzial freizulegen, indem er das Offensichtliche hinterfragt und die Umgebung und das kulturelle Erbe erforscht. So auch beim Entwurf des Masterplans für ein neues Wohnprojekt und eine öffentliche Tiefgarage für die Stadt Zottegem auf dem Areal des ehemaligen O-L-V Deinsbekecollege – Kollegium Unserer Lieben Frau von Deinsbeke – aus dem 19. Jahrhundert. Der im neugotischen Still errichtete Komplex mit den Ausmaßen eines Stadtviertels hinterließ nach Einstellung des Schulbetriebs sowie infolge eines verheerenden Brandes im Jahr 2012 eine große städtebauliche Lücke, die ein Sanierungsprojekt dringend erforderlich machte.
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Ein neues Kapitel
Nachdem der Entwickler Vanhout Studio Farris Architects 2017 damit beauftragt hatte, einen Masterplan für das O-L-V-Gelände zu entwerfen, bestand die Vision der Architekten darin, das Viertel einerseits durch eine Anbindung an das Stadtzentrum wiederzubeleben und andererseits eine zeitgenössische Intervention vorzunehmen. In diesem Sinne diente den Planern das alte Bestandsmauerwerk sozusagen als rustikale Kulisse für einen zeitgenössischen Zubau. Der Hauptaugenmerk des Konzepts lag auf einem weitgehenden Erhalt der neugotischen Bausubstanz auf den beiden angrenzenden Seiten des Grundstücks sowie die Planung neuer Gebäudetrakte zu Wohnzwecken. Insgesamt ergibt sich somit ein Abschluss des Innenhofes, der Alt und Neu fasst und ein Zentrum des städtischen Lebens schafft, das sowohl als öffentliche Begegnungszone als auch als privater Ruheort genutzt werden darf.
Als besonders spannend erweist sich die Tatsache, dass die beiden vorderen Straßenseiten die alte rote Backsteinfassade mit neugotischen Elementen aufweisen, wohingegen der hintere Teil des Hofes durch ein System moderner, stufenförmig angeordneter Gebäudetypen ergänzt wurde, die jeder Wohnung eine eigene Terrasse mit Blick auf die Stadt ermöglichen. So ergeben sich 65 Wohneinheiten, die sich auf Bestand und Neubau aufteilen. Die Fertigstellung des Projekts markiert ein neues Kapitel in der Geschichte von Zottegem, in dem im Sinne einer nachhaltigen Zukunft alten Strukturen neues Leben eingehaucht wurde.
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Nachhaltig gedacht für den Lauf der Zeit
Im Sinne eines langfristig nachhaltig gestalteten Systems haben Studio Farris Architects die Konfiguration des Projekts so konzipiert, dass dieses über rein technische Lösungen hinausgeht. Die Architektur kann an technologische Weiterentwicklungen flexibel adaptiert werden, soll damit nicht veralten und einen drohenden Abriss und Wiederaufbau auf lange Sicht vermeiden. Dieser Grundgedanke soll eine längere Lebensdauer für die Architektur ermöglichen, die weit über den modernen technischen Fortschritt hinausgeht. Damit dies gelingen kann, muss das Areal aber zuallererst von seinen Bewohner:innen angenommen werden. Das Collegium will in diesem Bestreben tiefgehende Beziehungen zwischen dem Bestehenden und dem Zukünftigen schaffen und gleichzeitig respektvoll Rücksicht auf die Umgebung nehmen. „Wenn Gemeinschaften und Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit haben, sind sie offener für die Zukunft“, so Farris.
Im Zeichen der Konnektivität
Neben dem Schaffen von lebenswertem, inklusivem und nachhaltig konzipiertem Wohnraum fungiert das Projekt auch als neue Verbindung zwischen zwei Seiten der Stadt und bietet Zugang zu neu geschaffenen öffentlichen Parkplätzen. Der intime Charakter und die ruhige Wohnatmosphäre sorgen für eine kleine innerstädtische Oase ähnlich einem Klosterhof, die den Standort offen und grün gestaltet. Zahlreiche Zugänge fördern den fußläufigen Verkehr. Dort, wo Ziegel aus der bestehenden Fassade entfernt wurden, können nun Vögel nisten oder andere tierische Bewohner Schutz bei den klimabedingt zunehmenden ungünstigen Witterungsbedingungen finden.
Als städtebauliches Sanierungs- und Regenerationsprojekt, das sich mit großer Subtilität in einen historischen Kontext einfügt, darf das Collegium in Zottegem als Vorbild für andere Städte dienen, wie sich innerstädtische Brachen nachhaltig und zum Wohle der Gemeinschaft in den urbanen Raum reintegrieren lassen.
Collegium
Zottegem, Belgien
Bauherr: Vanhout Projects
Planung: Studio Farris Architects
Statik: Establis
Grundstücksfläche: 4.990 m2
Nutzfläche: 16.000 m2
Planungsbeginn: 10/2016
Baubeginn: 08/2018
Fertigstellung: 11/2021 (inkl. Außenflächen 09/2022)
Text: Linda Pezzei
Fotos: Martino Pietropoli