Kann man die Welt mit Gebäuden verbessern?
Im Interview mit dem architektur FACHMAGAZIN erklärt ATP-Vorstand Prof. Thilo Ebert, worauf es beim energieeffizienten Bauen aus Planersicht ankommt und geht dabei auch auf das kürzlich fertiggestellte Vorzeigeprojekt des Seminar- und Vertriebscenters für den Systemanbieter Viega ein: Das von ATP Wien und ATP sustain konsequent integral mit BIM geplante Gebäude weist eine besonders positive Ökobilanz auf.
Prof. Thilo Ebert lehrt seit 2016 als Professor für Nachhaltiges Bauen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München und gilt als Experte für Building Information Modeling (BIM). Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte im Bereich der Gebäudetechnologie und des klimagerechten, energieeffizienten Bauens bzw. Betreibens widmet er ganzheitlichen Planungslösungen, der Optimierung und Qualitätssicherung von Planungsprozessen sowie der Steigerung der Wirtschaftlichkeit in der TGA.
Mit mehr als 1.000 MitarbeiterInnen ist ATP architekten ingenieure eines der größten Büros für Integrale Planung in Europa. 1951 in Innsbruck als reines Architekturbüro gegründet, bietet ATP heute Architektur- und Ingenieurleistungen „aus einer Hand“. Dementsprechende Grundlage ist bereits seit 2012 das „Building Information Modeling“ – kurz BIM –, das standardmäßig in der Planung zum Einsatz kommt und bei ATP stetig weiterentwickelt wird. Gerade wenn es um die Konzeption nachhaltiger und klimaneutraler Bauwerke geht, fungieren innovative Lösungen wie das mit dem Green-BIM Award 2022 ausgezeichnete „CO2-Tool Gebäude“ oder „BIM2FIM“ als hilfreiche Werkzeuge, um eklimafreundliche Gebäude zu konzipieren.
Im Interview mit dem architektur FACHMAGAZIN erklärt ATP-Vorstand Prof. Thilo Ebert, worauf es beim energieeffizienten Bauen aus Planersicht ankommt und geht dabei auch auf das kürzlich fertiggestellte Vorzeigeprojekt des Seminar- und Vertriebscenters für den Systemanbieter Viega ein: Das von ATP Wien und ATP sustain konsequent integral mit BIM geplante Gebäude weist eine besonders positive Ökobilanz auf und erhielt eine Rekordpunktezahl gemäß den Anforderungen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), die sich in dem Zertifikat „Platin“ widerspiegelt. Zukünftig soll das Gebäude mehr Energie erzeugen, als es verbraucht.
Das Viega Seminar- und Vertriebscenter in Attersee gilt als ökologisches Vorzeigeprojekt – zu welchem Zeitpunkt war für Sie klar, dass Sie ein Platin-Zertifikat der DGNB anstreben und welche Maßnahmen wurden dafür ergriffen?
Ausgangspunkt der Integralen Planung des Neubaus war ein detailliertes Lastenheft, in welchem der Auftraggeber seine Anforderungen und Ziele an den Neubau dezidiert beschrieben hatte. Auf dieser Basis haben wir dann bereits in der Wettbewerbsphase das Potenzial für eine Nachhaltigkeitszertifizierung entsprechend den Anforderungen der DGNB bewertet. Mit Beauftragung der Gesamtplanungsleistungen stand dann bereits fest, dass die DGNB-Nachhaltigkeitsstufe Platin für den Neubau erreicht werden kann. Dies wurde schon während der Planungsphase von der DGNB mit einem Vorzertifikat bestätigt.
Als „lebendiges“ Beispielobjekt können Seminar-TeilnehmerInnen künftig die Daten aus einem Monitoring vor Ort bewerten – erwarten Sie sich bzgl. Wasser- und Energiebedarf, externen Wärmeeinträgen und internen Kühllasten sowie Geothermie-Daten relevante Rückschlüsse für kommende Planungsaufgaben?
Der Auftraggeber hat von Beginn an das Ziel verfolgt, das Gebäude selbst zum Demonstrations- und Schulungsobjekt mit interaktivem Schulungsinhalt zu gestalten. Grundlage für ein optimales Gebäudemonitoring und einen effizienten Gebäudebetrieb ist eine systematische Inbetriebnahme der gebäudetechnischen Anlagen. Bei dieser werden die einzelnen Komponenten der haustechnischen Anlage optimal aufeinander abgestimmt und es wird sichergestellt, dass die in der Planung definierten Betriebsparameter im Gebäudebetrieb eingehalten werden. Die Daten aus dem Monitoring über alle Bereiche ermöglichen eine optimale Betriebsführung der Anlagen und des Gebäudes. Und die Erfahrungen und Analysen aus dem Gebäudebetrieb können so selbstverständlich auch für künftige Planungsaufgaben genutzt werden.
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Ist die Ökobilanzierung von Gebäuden mittlerweile Standard bei ATP und welche Herausforderungen bringt diese mit sich?
ATP hat sich mit einem eigenen ATP Green Deal ambitionierte Ziele gesetzt, wie wir in Zukunft planen wollen. So bilanzieren wir in allen neuen Projekten die CO2-Emissionen bereits im integralen Vorprojekt in Verbindung mit dem BIM-Modell und eigens hierfür entwickelten Werkzeugen, wie dem „CO2-Tool Gebäude“.
Eine vollständige Ökobilanzierung der Gebäude – zum Beispiel auf der Grundlage der Bilanzierungsvorschriften der DIN EN 15978 oder den Anforderungen der DGNB – ist noch keine Standardleistung und wird bei ATP zur Beantwortung spezifischer Fragestellungen, für eine detaillierte Betrachtung der ökologischen Auswirkungen von Gebäuden und beispielsweise zum Nachweis in Zertifizierungsprojekten eingesetzt. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Erstellung einer Ökobilanz beim Bauen zum Nachweis der Einhaltung von Klimaschutzzielen in naher Zukunft Standard jeder Planung sein wird.
Was genau ist BIM2FIM?
Unter „BIM2FIM“ wird die Anwendung des Building Information Modeling im Gebäudebetrieb einer Immobilie verstanden. Dabei steht FIM für Facility Information Management. Grundlage ist das BIM Asset-Informationsmodell, das BIM-Gebäudedatenmodell für die Betriebsphase, welches die zum Betreiben des Gebäudes erforderlichen Informationen enthält und aus dem BIM-Informationsmodell der Planungs- und Ausführungsphase generiert wird.
Dabei werden die Daten übergeben, die für ein erfolgreiches Facility Management erforderlich sind. FIM unterstützt das Facility Management bei der Planung, Ausführung, Überwachung und Optimierung des Betriebs einer Immobilie. Während des Betriebs kann das Asset-Informationsmodell mit den Informationen aus dem Betrieb weiter angereichert werden. Das BIM-Modell unterstützt das Facility Management, Prozesse zu verbessern, den Gebäudebetrieb zu optimieren und Kosten zu reduzieren.
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Eine Sache, die Sie von diesem Projekt für zukünftige Aufgaben gelernt haben?
AuftraggeberInnen und PlanerInnen haben insbesondere während der Bedarfserhebung und mit den ersten Planungsentscheidungen den größten Hebel in der Hand, die Performance des Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus zu optimieren. Somit war die umfangreiche Bedarfsermittlung der Anforderungen des Auftraggebers in einem Lastenheft als Grundlage der Planung ein wesentlicher Grundstein für die erreichte sehr hohe Qualität des Gebäudes.
Der Entwurf eines klimafreundlichen oder klimapositiven Gebäudes erfordert eine Ökobilanzierung des Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus, die bereits in frühen Planungsphasen auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen erstellt und als Entscheidungsgrundlage für die Planungsalternativen dient. Denn nachhaltiges Bauen erfordert eine umfassende Betrachtung ohne „wenn und aber“. Der Neubau von Viega hat sicherlich Leuchtturm-Charakter, bei dem der Lebenszyklusansatz konsequent von Beginn an in der Planung berücksichtigt worden ist. Dabei bedingt diese Lebenszyklusbetrachtung eine Integrale Planung, die durch Building Information Modeling optimal abgebildet wird. Nur so gelingen uns Gebäude für eine klimafreundlichere Zukunft.
Interview: Linda Pezzei
Fotos: ATP/Kuball