(K)ein Lückenfüller
Schmale Grundstücke, dichte Bebauung aus dem 19. Jahrhundert und viele Kanäle prägen das urbane Gefüge im belgischen Mechelen. Während das Zentrum mit seiner historischen Struktur unter Touristen als sehenswerter Geheimtipp gehandelt wird, bereitet die gedrungene Bauweise selbst ansässigen Städteplanern und Architekten oftmals Kopfzerbrechen. Das lokale Planungsbüro dmvA stellte sich der komplexen Aufgabe und realisierte mitten in der Stadt ein neues Wohnhaus mit sechs Wohnungen.
Schmale Grundstücke, dichte Bebauung aus dem 19. Jahrhundert und viele Kanäle prägen das urbane Gefüge im belgischen Mechelen. Während das Zentrum mit seiner historischen Struktur unter Touristen als sehenswerter Geheimtipp gehandelt wird, bereitet die gedrungene Bauweise selbst ansässigen Städteplanern und Architekten oftmals Kopfzerbrechen. Das lokale Planungsbüro dmvA stellte sich der komplexen Aufgabe und realisierte mitten in der Stadt ein neues Wohnhaus mit sechs Wohnungen.
Mit seiner flämischen Architektur ist Mechelen nicht nur bei seinen über 85.000 Einwohnern, sondern auch bei Besuchern äußerst beliebt. Bemerkenswert ist dabei vor allem die Dichte des Stadtkerns. In ihm befinden sich auf weniger als drei Quadratkilometern rund 300 denkmalgeschützte Gebäude, von denen viele zum UNESCO-Welterbe zählen. Auch die Sint-Katelijnestraat – eine der Hauptstraßen – wird großteils von eng aneinander gereihten Bauten gesäumt. Mit Ausnahme eines unförmigen, einst unmittelbar an einer Gracht gelegenen Grundstücks, das seit Jahrzehnten brach lag. Auf Wunsch des Bauträgers sollten hier möglichst viele neue Wohneinheiten entstehen. Die ebenfalls in der Stadt ansässigen Architekten lieferten mit einem zeitlosen Gebäude schließlich einen realisierbaren Vorschlag für das unbebaute Gelände.
Der Entwicklung des Entwurfs unter dem treffenden Titel „in de Stad“ (in der Stadt) ging eine ausführliche Analyse voraus, bei der sich das Planerteam Unterstützung von Experten für Archäologie und Kunstgeschichte holte. Dabei beschäftigte man sich intensiv mit der Vergangenheit des Ortes und der Morphologie der angrenzenden Bebauung. Im Zuge der Recherche fand man heraus, dass einst ein Bach entlang des Bauplatzes verlief und dessen Grundgrenzen und Form bestimmte. An der Straße wird die Parzelle von zwei Nachbargebäuden flankiert. Rückseitig läuft sie bis heute unregelmäßig und spitz zu, wo sie damals bündig mit dem angrenzenden Gewässer endete. Um die Lücke im Bestand zu füllen, entschied man sich für einen dreischiffigen Neubau. Während sich zwei der Volumen passgenau zwischen die benachbarten Gebäude schieben und sich an deren Tiefe orientieren, gibt es im Innenhof, nach hinten versetzt, einen dritten Trakt. Oben schließen alle drei mit einem Giebeldach ab. Durch die raffinierte Dreiteilung erscheint der Baukörper schmal und hoch und fügt sich harmonisch in die kleinteilige Umgebung ein.
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An der Straßenfront griffen die Architekten nicht nur die Fluchten der Häuserzeile, sondern auch deren Gestaltung auf. Dafür interpretierten sie die charakteristischen Staffelgiebel der gegenüberliegenden Straßenseite auf abstrakte Art und Weise und verwandelten sie in schlicht-weiße Putzfassaden. Die Dachflächen kleiden ebenfalls Zinkbleche in strahlendem Weiß. Bei der Konstruktion des neuen Wohnhauses fiel die Wahl weitgehend auf Silikatstein. Lediglich bei den Geschossdecken und dem Erschließungskern kam Beton zum Einsatz. Die Gebäudehülle wird rundum von diversen quadratischen Öffnungen in Ansichten und Dach durchbrochen. Sie rahmen entweder als Fenster ausgeführt die Aussicht auf die Stadt oder spannen geschützte Außenbereiche und Loggien auf. Ein breiter Durchgang führt im Erdgeschoss von der Sint-Katelijnestraat aus in den Hof. In diesen gelangt man auch von der anderen Seite über den benachbarten Parkplatz. Der halb-öffentliche Freiraum verfügt über einen galerieartigen Abstellplatz für Fahrräder, bietet Platz zum Spielen und fördert als sozialer Treffpunkt den Austausch der Bewohner.
Das Thema Nachhaltigkeit spielte bei der Umsetzung des Projekts ebenfalls eine große Rolle: Folglich konzipierte man „In de Stad“ als Niedrigstenergiegebäude. Darüber hinaus sollte der Neubau kompakt sein und zugleich möglichst viel neuen Wohnraum schaffen. Zusätzlich galt es, trotz der Lage mitten in der Stadt sowohl höchsten Komfort als auch ausreichend Privatsphäre zu bieten. Für maximale Lebensqualität sorgen in dem Komplex mit 856 m2 Nutzfläche nun unter anderem zweigeschossige Bereiche, hochwertige gemeinschaftliche Außenflächen, private Balkone und Galerien sowie gezielte Ausblicke auf die Altstadt von Mechelen. Die sechs Wohnungen nutzen den begrenzten Platz mit maßgeschneiderten Lösungen optimal bis in den letzten Winkel aus. Anstelle von Standardgrundrissen verteilen sich die drei bis vier Zimmer in jeder Einheit unterschiedlich auf die zur Verfügung stehende Fläche. Abgesehen von einem Apartment im Hofhaus – welches sich über zwei Geschosse erstreckt und einen eigenen Eingang hat – erreicht man alle Wohneinheiten über ein gemeinsames Treppenhaus mit Lift. Dieses ist im straßenseitig positionierten Gebäudeteil untergebracht und wird über die Passage betreten.
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„In de Stad“ ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Verdichtung – selbst im engsten urbanen Kontext – und mit diversen Einschränkungen funktionieren kann. Unter Miteinbeziehung der Umgebung und deren Geschichte gelang es den Architekten von dmvA, das Projekt subtil in das fragmentierte, historische Stadtgefüge zu integrieren und so die Häuserzeile an der beliebten Sint-Katelijnestraat endlich wieder zu komplettieren. Gleichzeitig setzt der nachhaltige Neubau einen zeitgemäßen Kontrapunkt zum alten Bestand, schafft mitten im Zentrum der belgischen Stadt qualitativen Wohnraum und stellt damit weit mehr als bloß einen Lückenfüller dar.
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In de Stad
Mechelen, Belgien
Bauherr: Verelst Projectontwikkeling NV
Planung: dmvA
Projektteam: Tom Verschueren, David Driesen, Rob Naulaers, Gert-Jan Schulte, Jente Bergmans
Statik: ASB
Nutzfläche: 856 m2
Planungsbeginn: Okt. 2016
Baubeginn: Nov. 2019
Fertigstellung: 2021
Text: Edina Obermoser
Fotos: Sergio Pirrone