Neues Gesicht für den Busverkehr
Das umtriebige Treiben eines Verkehrspunktes wird in der Busstation Vilkaviškis in Litauen als Potenzial genutzt, um urbanen Mehrwert zu schaffen. Die Funktion als Bushaltestelle ist dabei nur eine Facette. Architekt Gintaras Balčytis verlieh der Busstation mit ihrem ungewöhnlichen Erscheinungsbild gleich mehrere wegweisende Gesichter, die allesamt unter der durchlöcherten Betonplatte Zusammenschluss finden.
Das umtriebige Treiben eines Verkehrspunktes wird in der Busstation Vilkaviškis in Litauen als Potenzial genutzt, um urbanen Mehrwert zu schaffen. Die Funktion als Bushaltestelle ist dabei nur eine Facette. Architekt Gintaras Balčytis verlieh der Busstation mit ihrem ungewöhnlichen Erscheinungsbild gleich mehrere wegweisende Gesichter, die allesamt unter der durchlöcherten Betonplatte Zusammenschluss finden.
In der Kleinstadt selbst wohnen etwa 13.000 Menschen. Berechnet man das Einzugsgebiet mit ein, verdreifacht sich diese Zahl. Da die umliegenden kleinen Ortschaften nur wenig Infrastruktur bieten, finden sich die Dinge des täglichen Bedarfs, Schulen und Arbeitsstätten in Vilkaviškis, das als Dreh- und Angelpunkt für den Umkreis fungiert. Ein Netz an regionalen Busverbindungen stellt die Verbindung zwischen Land und Stadt sicher und deren Haltestellen sind für Tausende die Tore zur Versorgung, zur Arbeit und zur Bildung. Im Zentrum dieses öffentlichen Verkehrsnetzes liegt die von Architekt Gintaras Balčytis entworfene Busstation, die unter ihrem markanten Flachdach zeigt, welche Potenziale in einem solchen Verkehrspunkt stecken.
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Zahlreiche Menschen der umliegenden Gemeinden nutzen diesen zentrumsnahen Knotenpunkt mit seinen acht Busterminals, die sich auf der straßenabgewandten Kante des spitz zulaufenden Grundstücks befinden. Die Busparkplätze schmiegen sich in gewohnter Manier aneinander und Passagiere erreichen sie über einen breiten gepflasterten Weg entlang der Fassade. Das prägnante Sichtbeton-Dach bildet für die Wegverbindung und die Warteplätze ein Vordach, indem es gestützt durch filigrane Stahlsäulen beinahe neun Meter über die Fassade herausragt.
Das Stationsgebäude selbst ist eingeschossig und seine Außenhülle komplett mit weißen Aluminiumpaneelen verkleidet. Sie schützen die tragende Betonstruktur vor Nässe und verleihen dem Bau ein kompaktes Erscheinungsbild. An nur zwei Stellen wird dieses durch große Glasflächen aufgebrochen. Sie markieren die beiden Hauptseiten mit ihren Zugängen ins Gebäudeinnere.
Auf der einen Hauptseite wirkt das Gebäude durch die Busterminals wie ein Verkehrsbau. Ein vollkommen anderes Bild zeichnet sich auf der anderen Hauptseite ab. Die 43 mm dicke Betondecke ragt an dieser Stelle noch weiter hervor und lässt einen überdachten Platz entstehen. Sie ruht auf den schlanken weiß lackierten Stahlsäulen, die sich hier ebenso wie auf der Terminalseite wiederfinden.
Einen wesentlichen Anteil am Charme und der Atmosphäre dieser Architektur hat die Integration der am Grundstück vorgefundenen Bäume – für den Architekten eine elementare Komponente seines Entwurfs. Realisiert wurde dieses Vorhaben durch charakteristische Durchlöcherungen in Kreisform, durch die sich die mächtigen Kronen der Bäume hindurch zu winden scheinen. Der Außenraum unter der um 6,58 m erhöhten Betondecke geht schließlich in einen Park über, der sich bis zur äußersten Spitze des Grundstücks zieht. Das Café, das als gläserner Pavillon auf dem Platz steht, ist ebenfalls ein signifikanter Bestandteil des hier entstandenen öffentlichen Raumes. Als Treffpunkt und Veranstaltungsort belebt es die eigentliche Busstation und bringt mit sich, dass nicht nur Buspassagiere, sondern auch Einheimische vom Ort angezogen werden. Auch der öffentlich zugängliche Kräutergarten bei der größten Kreisöffnung in der Decke vermag das zu unterstützen.
Die Busstation trachtet danach ein öffentlicher Raum für alle zu sein. Durch die runden Formen und hellen Oberflächen in Zusammenspiel mit den Bäumen und den Grünflächen entsteht ein Ort, der dieses Vorhaben bestärkt und ermöglicht.
Die beiden Gesichter, die das Stationsgebäude an seinen beiden Hauptseiten – als Busterminal und als öffentlicher Raum – annimmt, könnten unterschiedlicher in ihrem Wesen nicht sein. Das verbindende Element zwischen beiden ist das Stationsgebäude selbst, das sowohl von der einen als auch von der anderen Seite aus zugänglich ist. Die beiden anderen Fassadenseiten präsentieren sich hingegen vollends geschlossen – keinerlei Fensteröffnungen oder Zugangsmöglichkeiten ins Innere sind hier vorhanden. Diese Gestaltungsentscheidung führt dazu, dass die Verbindung zwischen den Busterminals und dem Platz gestärkt wird. Im Gebäude selbst entsteht so eine zentrale Mitte, zu der alle im Raum enthaltenen Geschäfte und Gewerbeflächen hin orientiert sind. Ebenfalls Teil des Raumkonzepts ist ein witterungsgeschützter Wartebereich und die notwendigen Servicebereiche für den Busverkehr.
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Die Busstation in Vilkaviškis ist somit nicht nur Verkehrsknoten und Arbeitsplatz für die Busbediensteten sowie die Beschäftigten in den Läden, sondern auch Teil der Nahversorgungskette. Die lokale Wirtschaft soll so gefördert und die Kleinstadt gestärkt werden. Nicht zu unterschätzen ist auch die touristische Wirkung des Baus. Innerhalb Litauens ist er seit seiner Eröffnung im Jahr 2020 eine kleine Sehenswürdigkeit geworden. Aus dem ganzen Land reisen Menschen an, um seine Architektur zu bewundern.
Die Busstation von Vilkaviškis hinterfragt nicht nur das herkömmliche Wesen von Verkehrshaltestellen. Sie verleiht einem Funktionalbau Charakter und sorgt dafür, dass Menschen sich damit identifizieren können. Über kurz oder lang profitiert die gesamte Stadt davon: Sie bekommt mit der Busstation ein neues Aushängeschild und ihre Bewohnerinnen und Bewohner einen gemeinschaftlichen Raum.
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Busstation Vilkaviškis
Vilkaviškis, Litauen
Bauherr: Transportunternehmen „Kautra“ und Gemeinde Vilkaviškis
Architekt: Gintaras Balčytis/ Balčytis Studija
Statik: UAB Ekointera
Grundstücksfläche: 11.297 m²
Bebaute Fläche: 3.300 m²
Nutzfläche: 2.146 m²
Planungsbeginn: 2017
Bauzeit: 1 Jahr
Fertigstellung: 2020
Text: Alexandra Ullmann
Fotos: Norbert Tukaj