Quantität und Qualität von Freiräumen

Nach Wien zog es Carla Lo einst für ihr Studium. Inzwischen gibt die Landschaftsarchitektin ihr Wissen selbst - an der BOKU, der TU und der FH Wien sowie als Gastprofessorin an der Universität in Kassel - an Studierende weiter. 2009 gründete die gebürtige Heidelbergerin mit Carla Lo Landschaftsarchitektur in der neuen Wahlheimat ihr eigenes Büro, mit dem sie sich der Objektplanung im städtischen und ländlichen Kontext widmet. Im Gespräch erläutert die Ingenieurkonsulentin für Landschaftsplanung und Landschaftspflege, warum Landschaftsarchitektur nicht nur im urbanen Raum wichtig ist. Außerdem thematisiert sie die Grundlagen einer gelungenen Freiraumplanung und verrät, in welchen Bereichen in Österreich Aufholbedarf besteht.

Quantität und Qualität von Freiräumen

Nach Wien zog es Carla Lo einst für ihr Studium. Inzwischen gibt die Landschaftsarchitektin ihr Wissen selbst – an der BOKU, der TU und der FH Wien sowie als Gastprofessorin an der Universität in Kassel – an Studierende weiter. 2009 gründete die gebürtige Heidelbergerin mit Carla Lo Landschaftsarchitektur in der neuen Wahlheimat ihr eigenes Büro, mit dem sie sich der Objektplanung im städtischen und ländlichen Kontext widmet. Im Gespräch erläutert die Ingenieurkonsulentin für Landschaftsplanung und Landschaftspflege, warum Landschaftsarchitektur nicht nur im urbanen Raum wichtig ist. Außerdem thematisiert sie die Grundlagen einer gelungenen Freiraumplanung und verrät, in welchen Bereichen in Österreich Aufholbedarf besteht.

 


© Johannes Kernmayer

 

Gibt es genügend Bewusstsein und Wertschätzung für Landschaftsarchitektur?

 Die Wertschätzung für Landschaftsarchitektur ist, denke ich, stark gestiegen. Wurde man früher oft belächelt, wenn man Parkplätze durch Grünflächen oder Bäume ersetzen wollte, merkt man heute ein Umdenken – auch wenn in manchen Bereichen nach wie vor das Bewusstsein fehlt und immer noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden.

Viele denken beim Begriff Landschaftsarchitektur eher an Städte. Warum ist sie auch am Land wichtig?

 Diese Thematik finde ich persönlich sehr spannend. Tatsächlich sind die meisten Werkzeuge und Strategien in der Landschaftsarchitektur auf den urbanen Raum ausgelegt, obwohl es sie insbesondere am Land brauchen würde. In ländlichen Gebieten gibt es zwar viele private Freibereiche und landwirtschaftliche Flächen, öffentliche Räume mit einer hohen Nutzungs- und Aufenthaltsqualität fehlen aber oft. Hier gilt es, gezielt ordnungsplanerische Maßnahmen zu ergreifen, um Landschaftsräume besser zu vernetzen und ein ansprechendes Angebot zu schaffen. In meiner Heimat gibt es mit den – vom SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp initiierten – alla hopp!-Spielplätzen z.B. generationenübergreifende Bewegungs- und Begegnungsräume. Diese sind sehr gut ausgestattet und zeigen aufgrund ihrer Beliebtheit den Bedarf solcher Flächen auf. Abgesehen davon sehe ich in Hinblick auf den Klimawandel eine Menge Potenzial in stadtnahen Forstwäldern. Diese könnte man verstärkt als urbane Ausweichflächen nutzen.

Wo liegt im urbanen Raum das größte Potenzial für Freiraumplanung?

 Meines Erachtens liegt im städtischen Raum das größte Potenzial in der Umnutzung. Da unsere Städte zu 95 % bebaut sind, geht es verstärkt darum, sich mit neuen Aufgaben – wie dem Umbau bzw. der Neugestaltung und besseren Vernetzung von bestehenden Frei- bzw. Straßenräumen und Parkanlagen – auseinanderzusetzen. Damit beschäftigt sich auch unser Büro aktuell: In unserem Projekt in der Schleifgasse, einem klassischen Straßenraum zwischen Franz-Jonas-Platz und Schlingermarkt, sollen Gehsteig, Fahrbahn und Grünraum neu kombiniert werden. Auch die Gumpendorfer Straße wird in einem Beteiligungsverfahren fit für die Zukunft gemacht. Hier geht es darum, die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Ein weiteres, zentrales Thema stellt natürlich der Klimaschutz dar. Jahrelang stand im öffentlichen Raum das Auto im Vordergrund und ganze Straßenzüge wurden ohne Gehölz gebaut. Diese Versäumnisse müssen wir jetzt aufholen, indem wir großkronige Bäume in den Straßenräumen pflanzen – Fassadenbegrünung allein wird nicht ausreichen.

 


Die Schwimmenden Gärten machen den Donaukanal im Bereich der ehemaligen Kaiserbadschleuse zu einem beliebten, urbanen Freizeit- und Erholungsraum inmitten von Wien. © Johannes Hloch

 

Was sind die größten Unterschiede bzw. Herausforderungen bei der Freiraumplanung im Bestand?

 Im Bestand stellen vorhandene Bäume die größte Herausforderung dar. Aufgrund strikter Vorgaben z.B. bzgl. des Wurzelraum-Schutzbereichs (der sich ca. 2 m über den Kronenbereich hinauserstreckt), gilt es naturräumliche Gegebenheiten von Anfang an ernst zu nehmen. Sollen Bestandsbäume erhalten werden, müssen die Voraussetzungen dafür auch frühzeitig in der Planung geschaffen werden. Dies geht bis zur Berücksichtigung in städtebaulichen Projekten.

Welche Verantwortung hat man als Landschaftsarchitekt:in im öffentlichen Raum und wie wird man dieser gerecht?

 Bei der Gestaltung des öffentlichen Raums liegt es in unserer Verantwortung, alle Nutzer:innen zu berücksichtigen und auch weniger repräsentierte bzw. marginalisierte Gruppen wie z.B. Obdach- und Wohnungslose wahrzunehmen. Auch auf Jugendliche wird oft vergessen. Unsere Aufgabe als Landschaftsarchitekt: innen ist es, Freiräume zu schaffen, in denen nebeneinander alles Platz findet. Öffentlicher Raum muss ein breites Angebot für alle bieten.

Welche Disziplinen ergänzen die Landschaftsarchitektur neben der Architektur noch?

 Landschaftsarchitektur und Architektur können durch eine enge Zusammenarbeit viel erreichen. Neben diesen beiden Disziplinen spielt die Verkehrsplanung in vielen Projekten eine zentrale Rolle. Auch die Expertise der Wasserwirtschaft ist essenziell. Während es inzwischen Gang und Gebe ist, dass Kulturtechniker:innen in die Planung miteinbezogen und Regenwassermanagement bzw. Versickerung von Beginn an mitbedacht werden, gibt es noch Aufholbedarf bei innovativen Konzepten. Anstatt das Wasser versteckt abzuleiten, lässt es sich sichtbar und gezielt einsetzen. Bei einem unserer Projekte in der Wiener Gundackergasse haben wir uns für eine oberirdische Entwässerung mit Tiefbeeten, Sickermulden und Wasserläufen entschieden und das Regenwasser so in den Fokus gerückt. Generell bietet Regenwasser jede Menge gestalterische Möglichkeiten, die wir stärker ausschöpfen sollten. Während es in vielen skandinavischen Ländern z.B. für Wasserspiele genutzt wird, lassen die Normen dies bei uns noch nicht zu.

Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um mehr Grün in die Städte zu bringen?

 Hauptsächlich geht es um eine gute Zusammenarbeit der unterschiedlichen Disziplinen. Als Landschaftsarchitekt: innen sind wir nicht nur für die Gestaltung von Grünräumen verantwortlich, sondern auch dafür, frühzeitig die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Baumpflanzungen müssen von allen Projektbeteiligten von Anfang an einkalkuliert werden, ansonsten fehlt am Ende der nötige Spielraum.

 


Den Esterházypark, den grünen Vorplatz zum Haus des Meeres, statteten Carla Lo und ihr Team mit Wasser- und Nebeldüsen aus. Diese sorgen in den heißen Sommermonaten für angenehme Abkühlung. © Johannes Hloch

 

Welche Komponenten sind für eine erfolgreiche Freiraumplanung essenziell?

 Auch hier steht die Interdisziplinarität für mich im Mittelpunkt. Alle Beteiligten brauchen ein offenes Mindset und sollten sich ehrliches Feedback geben. Architekt:innen haben einen wesentlichen Einfluss auf das Bild des öffentlichen Raums, da sie mit der Nutzung und Gestaltung von Erdgeschosszonen den Grundstein für die Freiraumplanung legen. Gibt es nur tote Fassaden mit Tiefgarageneinfahrten und Müllräumen, können wir Landschaftsarchitekt: innen auch nicht zaubern. Darüber hinaus ist die Unterstützung von Auftraggeber:innen essenziell. Sie sollten eine Portion Mut mitbringen, um nicht nur den sicheren Weg zu gehen, sondern individuelle Lösungen umzusetzen. Wichtig ist außerdem eine realistische Budgetplanung. Waren Belagsflächen früher deutlich teurer als Grünflächen, lassen sich diese heute aufgrund komplexerer Rahmenbedingungen – wie z.B. einem erhöhten Substrataufbau, automatischer Bewässerung und Bepflanzung mit größerem Stammumfang bzw. Kronendurchmesser – fast eins zu eins verrechnen. Hochwertiger Freiraum hat seinen Preis.

Was zeichnet einen gelungenen Freiraum aus?

 Bei der Diskussion um den Klimawandel geht es momentan – zurecht – sehr stark um die Quantität von Grünräumen. Abseits der Quantitätsdiskussion geht es aber vor allem um die Identitätsstiftung im öffentlichen Raum. Um gelungene Freiflächen zu schaffen, gilt es, die Nutzer:innen frühzeitig miteinzubeziehen und deren Bedürfnisse und Wünsche zu berücksichtigen. Je eher, desto besser. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass partizipative Prozesse im Freiraum sehr gut funktionieren. Bei der Wohnhausanlage in der Lorenz-Reither- Straße haben wir z.B. mit Partizipation gearbeitet. Heute fühlen sich die Bewohner:innen für die Grünflächen und deren Pflege zuständig und kümmern sich um die Pflanzen – selbst wenn die Bewässerungsanlage einmal ausfällt. Während man sonst als Landschaftsarchitekt:in häufig ein pflegeleichtes Sortiment wählt, kann man in solchen Projekten auch auf eine vielfältigere, empfindlichere Bepflanzung mit Obstbäumen oder ähnlichem setzen.

 


Entlang der Bruno-Marek-Allee im Wiener Nordbahnviertel gestaltete Carla Lo Landschaftsarchitektur einen grünen, halböffentlichen Freiraum. © Johannes Hloch

 

In welchem Bereich besteht in der Landschaftsarchitektur in Österreich Aufholbedarf?

 Generell konnten wir – unter anderem dank der guten Zusammenarbeit verschiedenster Vertreter:innen in unserer Branche – in den letzten Jahren in Österreich sehr aufholen. Es gibt aber trotzdem Bereiche, in denen noch mehr möglich wäre: Im Regenwassermanagement ließe sich durch Anpassung der Normen viel Positives erreichen. Auch bei kostenintensiven Projekten wie Spielplatzgestaltungen fehlt teils noch das notwendige Budget. Ein weiterer Punkt ist das Bewusstsein für größeres Gehölz und Baumschulware im öffentlichen Straßenraum und bei privaten Projekten. Hier vermisse ich in Ausschreibungen oft die Bereitschaft, in Qualität zu investieren. Im interdisziplinären Arbeiten steckt meines Erachtens ebenfalls viel ungenutztes Potenzial. Häufig beschränken wir uns bei Projekten auf eine singuläre Nutzung, anstatt z.B. bei Verkehrsflächen auch Bepflanzung und Versickerung mitzudenken. Hier könnte man durch eine stärkere Vernetzung der einzelnen Disziplinen viele Vorteile in der Gestaltung herausarbeiten.

Was sind Ihre Ziele bzw. Visionen für die Zukunft?

 Den Stellenwert der Landschaftsarchitektur auch über die Grenzen von urbanen Räumen hinaus zu vermitteln, ist eines meiner individuellen Ziele. Des Weiteren sollte man in dichten Städten wie z.B. in Wien neben kleinen Parks auch genügend Platz für größere Freiräume lassen. Abschließend finde ich es wichtig, bei all den Normen und Verordnungen im öffentlichen Raum nicht auf Qualitäten wie Atmosphäre und Individualität zu vergessen.

www.hausderlandschaft.org

 

 

Interview: Edina Obermoser