(Un-)durchschaubar
Wie baut man einen gemeinschaftlichen Treffpunkt um, ohne ihm seine charakteristischen Eigenschaften zu nehmen? Dieser Frage stellte sich das Londoner [Y/N] Studio im Nordosten der britischen Hauptstadt bei der Revitalisierung eines Bestandsgebäudes. Unter dem Titel Bradbury Works sanierten die Architekten den Komplex am Gillet Square, erweiterten ihn um eine Aufstockung mit auffälliger Aluminium- und Polycarbonat-Fassade und schufen zugleich dringend benötigte Einzelhandels- und Büroflächen.
Wie baut man einen gemeinschaftlichen Treffpunkt um, ohne ihm seine charakteristischen Eigenschaften zu nehmen? Dieser Frage stellte sich das Londoner [Y/N] Studio im Nordosten der britischen Hauptstadt bei der Revitalisierung eines Bestandsgebäudes. Unter dem Titel Bradbury Works sanierten die Architekten den Komplex am Gillet Square, erweiterten ihn um eine Aufstockung mit auffälliger Aluminium- und Polycarbonat-Fassade und schufen zugleich dringend benötigte Einzelhandels- und Büroflächen.
Community trifft Co-Working
Mit einem bunt gemischten Angebot an Gastronomie, Gewerbe, Kultur und Nachtleben ist der Stadtteil Dalston eine der angesagtesten Gegenden nordöstlich des Zentrums von London. Im Herzen des Quartiers gibt es mit dem Gillet Square einen einstigen Parkplatz, der sich in den letzten 20 Jahren sukzessive in einen öffentlichen Platz und zugleich wichtigen Gemeinschaftsort für die Bewohner verwandelte. Im Norden wird der Gillet Square von einstigen Lagerhallen und im Westen vom 2004 errichteten Dalston Culture House eingefasst. An der Südseite befindet sich parallel zur Bradbury Street eine Reihenhauszeile. Diese ergänzte man um die Jahrtausendwende um eine Laubengangerschließung und eine Rotunde und nutzte sie zu Arbeitsräumen und Einzelhandelsflächen um. Im Auftrag von Hackney Co-operative Developments – einer Agentur, die sich für die soziale Belebung des Viertels, die Förderung lokaler Unternehmen und die Schaffung von leistbaren Büroflächen einsetzt – galt es, das Bestandsgebäude nun erneut zu transformieren. Unter dem Titel Bradbury Works sollte der Komplex künftig noch mehr Raum für lokale Unternehmen bieten. Gleichzeitig wollte man eine Alternativlösung für die mitten auf dem Platz positionierten Container-Kioske finden.
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Altes sanieren, Neues ergänzen
Der Entwurf für die Umgestaltung stammt von [Y/N] Studio und umfasst neben der Renovierung von rund 600 m2 auch eine Aufstockung mit 500 m2 zusätzlicher Nutzfläche. Im ersten Schritt wurde die Reihenhauszeile teilweise zurückgebaut und das alte Dach und die außenliegenden Laubengänge durch einen zweistöckigen An- bzw. Aufbau ersetzt. Die Erweiterung beinhaltet zehn neue Einzelhandelsflächen im Miniformat im Erdgeschoss. In den beiden darüberliegenden Ebenen folgt zunächst eine Erschließungs- und Aufenthaltszone, die an den Bestand andockt, und schließlich ein neuer Dachaufbau.
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Öffentlicher Raum, Bestand & Anbau
Im Sockelbereich wurde beim Umbau von Bradbury Works die künftige Nutzung des angrenzenden Platzes mitbedacht. Dafür planten die Architekten Mikro-Shops mit je 10 m2 ein. Diese lassen sich individuell bespielen und können dank großer Tore zum Gillet Square hin geöffnet werden. Im geschlossenen Zustand gewährleisten die mobilen Wände Schutz und Sicherheit. Die Reihenhäuser sanierte man umfassend und passte sie an neue Anforderungen an. Dabei blieb an der zur Bradbury Street gewandten Südseite das ursprüngliche Aussehen der charakteristischen Backsteinfassaden im viktorianischen Stil bestehen. Auf Straßenniveau wurden die Geschäfte, Bars und Restaurants – wie auch die Rotunde in östlicher Richtung – von den Planern behutsam revitalisiert und ins neue Konzept integriert. Die oberen Stockwerke unterteilte man im Zuge des Umbaus in 10 bis 36 m2 große Büroeinheiten.
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Der neu hinzugefügte Gebäudeteil liegt straßenseitig leicht zurückversetzt auf dem vorhandenen Komplex auf. Wo sich entlang des Gillet Square zuvor die Zugänge zu den einzelnen Ebenen befanden, legt sich nun der vier Meter tiefe Anbau vor die renovierte Häuserzeile. Als Stahlrahmenstruktur ausgeführt, fungiert er als vorgelagerter Pausenbereich bzw. Erschließung. Mit Blick auf den öffentlichen Platz, Sitzgelegenheiten und Begrünung können die unterschiedlichen Mieter auf den geschützten Außenterrassen zusammenkommen und sich austauschen.
Unter dem neuen Satteldach umfasst die Aufstockung ein Vollgeschoss mit größeren Arbeitsbereichen von 40 bis 65 m2 sowie eine weitere, galerieartige Ebene. Beide sind als Holzkonstruktion konzipiert und im Inneren ganz in Weiß gehalten. Im Dachraum gibt der außen gedämmte Aufbau mit den innen unverkleideten Balken Einblick in die Tragstruktur. Dank nichttragender Zwischenwände lassen sich in dem neuen Gebäudeteil sämtliche Bereiche beliebig unterteilen und somit flexibel an verschiedenste Anforderungen anpassen. Ganz oben zog hier nach dem Umbau unter anderem das Architekturbüro selbst ein.
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Vielschichtige Gebäudehülle
Der neue An- bzw. Aufbau fällt vor allem durch seine Materialität auf. Mit Metall und Polycarbonat wollten die Architekten nach eigenen Angaben die unterschiedlichen Zeitschichten des Bestands modern interpretieren und so an vergangene Tage erinnern. Das Eingangsniveau ist – aufgrund seiner Widerstandsfähigkeit – in profiliertes Aluminiumblech gehüllt. Eine natürliche Patina soll die Optik des silbrig schimmernden Sockelbereichs mit der Zeit verändern. Die darüberliegenden Stockwerke erhalten durch transluzente Polycarbonatpaneele einen einheitlichen Look. Als geschosshohe
Platten mit je 50 cm Breite bilden sie einen witterungsbeständigen, äußeren Abschluss. Die isolierenden Multiwall-Stegplatten setzen sich jeweils aus mehreren, dünnen Thermoplast-Schichten zusammen und garantieren eine optimale, thermische Performance des Gebäudes. Außerdem verfügt das Material über gute Brandschutzeigenschaften und lässt sich vollständig recyceln. Als Unterbau für die leichte Polycarbonat-Fassade dient eine vorgefertigte Struktur aus verzinkten Stahlrahmen. Je nach Tageszeit reflektieren die semitransparenten Oberflächen das einfallende Licht, lassen subtile Einblicke in die Konstruktion und die dahinterliegenden Funktionen zu, oder machen Bradbury Works bei Dunkelheit selbst zum diffusen Leuchtkörper. In den Innenräumen sorgen die Paneele den ganzen Tag über für ein helles und freundliches Ambiente. Fensterbänke und Einfassungen aus Aluminium sowie Geländer aus pulverbeschichteten Stahlrohrprofilen komplettieren die funktionale Außenhülle und verleihen dem Einzelhandels- und Bürogebäude inmitten von London einen industriellen, zeitgemäßen Charakter.
„Bradbury Works ist ein einzigartiger neuer Arbeitsplatz im Herzen von Dalston. Mit lichtdurchlässigem Polycarbonat konnten wir die bestehenden Verkehrsflächen in nutzbare Terrassen umwandeln und so die Interaktion mit dem Platz verstärken. Gleichzeitig bleibt das bestehende Gebäude vom Gillett Square aus sichtbar und seine Qualitäten erhalten.“
[Y/N] Studio, Architekten und Mieter von Bradbury Works
Bradbury Works
Dalston, London
Bauherr: Hackney Co-operative Developments
Planung: [Y/N] Studio
Statik: Engenuiti
TGA: Thornley and Lumb
Gesamtfläche: 1.578 m2
Planungsbeginn: 2017
Bauzeit: 3 Jahre
Fertigstellung: 2022
Baukosten: £ 3.1 Mio.
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Text: Edina Obermoser
Fotos: French and Tye