Vielfältig dichte Städte schaffen
Interview mit Stadtforscherin DI Dr. Ida Pirstinger - In Graz lebend ist Ida Pirstinger als Stadtforscherin tätig und widmet sich als Vorsitzende der IG Architektur auch verschiedenen anderen Themen des aktuellen Architekturdiskurses. Ihre Dissertation an der TU Graz im Jahr 2013 widmete sie der Nachverdichtung von Gründerzeitquartieren. Zum Thema urbane Nachverdichtung, Städtebau und Stadtentwicklung forscht und lehrt sie auch an verschiedenen österreichischen Hochschulen. Der Beitrag Vielfältig dichte Städte schaffen erschien zuerst auf architektur-online.
In Graz lebend ist DI Dr. Ida Pirstinger als Stadtforscherin tätig und widmet sich als Vorsitzende der IG Architektur auch verschiedenen anderen Themen des aktuellen Architekturdiskurses. Ihre Dissertation an der TU Graz im Jahr 2013 widmete sie der Nachverdichtung von Gründerzeitquartieren. Zum Thema urbane Nachverdichtung, Städtebau und Stadtentwicklung forscht und lehrt sie auch an verschiedenen österreichischen Hochschulen.
Was macht eine Stadt aus?
Die Stadt ist ein hochkomplexes menschliches Artefakt als physisch gebaute Struktur und vor allem als soziales Gemeinwesen. Man kann sie am ehesten mit einem lebendigen Metabolismus vergleichen, der fähig ist, sich ständig zu verändern und erneuern. Die Stadt ist ein Möglichkeitsraum für Vieles und für Viele, deshalb ist sie schon seit den Frühzeiten der Menschheit ein Erfolgsmodell. Jede Stadt hat dabei ihren eigenen Charakter und ihren eigenen Code. Auch die Offenheit für Neues und Unbekanntes zeichnet sie aus, ebenso wie ihre Dichte. Die Dichte an Menschen, an Gebautem, an Angeboten und Interaktionen, also in vielerlei Hinsicht. Das alles führt zu einer gewissen Heterogenität, die für ihr Funktionieren wichtig ist.
Wie hängt Urbanität mit Dichte zusammen?
Urbanität steht für das städtische Leben und auch für die Summe aus Gebautem, Sozialräumlichem und Gemeinschaftlichem und dem alltäglich Gelebten. Da gibt es natürlich einen Zusammenhang mit der Dichte, der wieder entsprechend vielschichtig ist. Das fängt schon beim Dichtebegriff an, bei dem wir Architekten zuerst an die Bebauungsdichte in Geschossflächenzahlen denken. Er ist aber nicht wirklich definiert und wird von den unterschiedlichen Fachrichtungen verschieden eingesetzt. Trotzdem entsteht Urbanität aus Dichte, aber nicht bedingungslos. Die Urbanität spüren wir dort, wo sich das Leben abspielt, also auf der Straße im öffentlichen Raum. Nur dicht zu bauen reicht dafür nicht aus. Wir müssen Straßenräume schaffen, die für menschliche Interaktionen attraktiv sind, mithilfe von Durchmischung und Vielfalt.
Ist es problematisch, dass man sich immer nur auf die bauliche Dichte bezieht?
Jede isolierte Betrachtung vermittelt ein unvollständiges Bild. Die statistischen Werte der Dichte beschreiben nicht annähernd die unterschiedlichen Bedürfnisse und Empfindungen hinsichtlich verschiedener Situationen im urbanen Raum. Dichte wird individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen. Andererseits braucht man diese Zahlenkennwerte, um Regeln und Grenzen zu definieren. Ich würde mir wünschen, dass man nicht nur die Grenzen festlegt, sondern auch die Umfeldqualitäten. Menschliche Bedürfnisse sollen erfüllt werden. Stadtentwicklung handelt ja, so wie die Architektur auch, als erstes vom Menschen.
Wien, Barcelona und Manhatten mit ihrer Einwohnerdichte und ihrem Flächenbedarf im Vergleich mit Graz.
© Ida Pirstinger, Michael Renner, Johannes Kerschner, Thierry Draus
Was macht eine dichte Stadt lebenswert?
Dazu trägt Kompaktheit, Heterogenität und Vielfalt bei. Wir brauchen eine Breite und Diversität von Angeboten auf einem relativ engen Raum in kleinen Distanzen. Dazu gehören unterschiedliche Gebäude, Nutzungen und Funktionen, sowie soziale Diversität und Kontaktmöglichkeiten. Man befindet sich in einem offenen sozialen Gefüge, in dem man Kontakt haben oder auch anonym bleiben kann. Natürlich spielt auch das Stadtbild eine Rolle, allerdings nur sekundär. Primär halten sich Menschen dort auf, wo schon Menschen sind. Wichtiger als die optische Gestalt sind dafür die Funktion und das Gefühl der Sicherheit und Sauberkeit. In Zeiten des Klimawandels muss man die Stadt auch viel mehr als Ökosystem verstehen und denken.
Warum sollen Städte verdichtet werden?
Nachverdichtung ist im Hinblick auf den Klimawandel, die Ressourcenverknappung und auch in Verantwortung der nachfolgenden Generationen gegenüber, ein Gebot der Stunde. Wir müssen Bauland verantwortungsbewusst und sparsam einsetzen und auch mehr mit Brachen und der vorhandenen Bausubstanz arbeiten. Durch Verdichtung ist deren Sanierung und Erhalt möglich. Auch was die technische und soziale Infrastruktur betrifft können wir uns weitere Zersiedelung eigentlich nicht leisten. Diese zu Errichten und zu Erhalten kostet extrem viel Geld. Fakt ist, dass Stadtbewohner pro Person weniger als Landbewohner brauchen, besonders was das Mobilitätsverhalten und den Flächenverbrauch betrifft.
Welche urbanen Bereiche betrifft Nachverdichtung?
Sie kann überall dort sinnvoll sein, wo die Bewältigung des Alltags für die Bewohnerinnen und Bewohner einfacher und wo ein Klimaschutzziel adressiert wird.
Den Begriff der Nachverdichtung verwende ich nicht mehr so gerne, denn dieser wird sehr oft nur mit Flächen- und Profitmaximierung verbunden. Eher sollte man über die Aufwertung des Bestehenden sprechen, also Quartiers- oder Gebietsaufwertung. Dabei kann Verdichtung auch bedeuten, dass man mehr öffentliche Freiräume oder kürzere Wege durch Nutzungsmischung innerhalb der Stadt schafft. Nachverdichtung ist nicht nur in wachsenden Städten sinnvoll, sondern auch in schrumpfenden. Das klingt paradox ist aber notwendig, um diese wieder kompakter auf bestimmte Orte zu konzentrieren. Um positive Nachverdichtung schaffen zu können braucht man die Bevölkerung und die Politik. Grundsätzlich sehe ich schon auch ein generelles Umdenken der Menschen hinsichtlich ihrer persönlichen Ansprüche als notwendig an – einen individuellen „Nachverdichtungsbedarf“.
Verschiedene horizontale und vertikale Möglichkeiten der Nachverdichtung, vorgeführt an einem Grazer Gründerzeitblock. Die Zahlen stehen für die damit erreichte Bebauungsdichte.
© Ida Pirstinger
Was sind verfolgenswerte Konzepte, um Städte nachzuverdichten?
Es müssen dabei immer die Aspekte beachtet werden, die eine Stadt lebenswert machen. Die Verdichtung gibt in dieser Hinsicht noch nicht so gut funktionierenden Stadtquartieren die Möglichkeit, sie hochwertiger zu machen. Zum einen sind das Konzepte, die keine bislang unbebauten Bodenflächen beanspruchen, sondern bestehende Strukturen weiterbauen, beispielsweise durch Aufstockung, oder sie auch ersetzen. Zum anderen gehören die Flächen von leerstehenden oder verfallenen Gebäuden neu genutzt oder neu bebaut. Wenn das nicht passiert, gehören sie zumindest abgerissen und der Natur zurückgegeben. Ebenso gehören Baulücken geschlossen. Alles was im Bestand passiert hilft auch, Sanierungsrückstau zu beseitigen, der ohne Nachverdichtung nicht wirtschaftlich umsetzbar wäre, vor allem wenn es sich um kleinteilige Strukturen handelt.
Bieten der innerstädtische oder der periphere Bereich der Stadt mehr Potenzial für Nachverdichtung?
Das kann man sicher nicht verallgemeinern, denn unterschiedliche Städte und Bautypen sind unterschiedlich gut für verschiedene Nachverdichtungsformen geeignet. In unseren Städten ist die Bebauungsdichte zu den Zentren hin üblicherweise höher als in der Peripherie. In der Peripherie wäre also was Quadratmeter und Volumen betrifft mehr möglich, vor allem durch horizontales Verdichten. Allerdings ist die Infrastruktur in Zentrumsnähe viel umfangreicher vorhanden, Urbanität wäre dort also leichter entwickelbar. In der Peripherie ist es schwieriger, lebenswerten und gut strukturierten Stadtraum zu erzeugen. Konzepte zur Transformation von monofunktionalen Wohnsiedlungen wären eine wichtige Zukunftsaufgabe.
Wird es in Städten in Zukunft nur noch um das Bauen im Bestand und seine Nachverdichtung gehen?
Grundsätzlich ist die Stadtentwicklung immer der Umgang mit dem Vorgefundenen. Es könnte für mitteleuropäische Städte ein Ansatzpunkt sein, dass man klare Siedlungsgrenzen festlegt und erst, wenn alles verbraucht ist, über die Ausdehnung in die Breite nachdenkt. Die Realität sieht leider anders aus. Durch das sehr große Wachstum der Städte ist es derzeit schneller und unkomplizierter, diese in die Breite auszudehnen. Global betrachtet entstehen in Asien und Amerika auch viele Reißbrettstädte auf freiem Feld, da geht es also in die umgekehrte Richtung. Im europäischen Kontext reden wir hauptsächlich über die Weiterentwicklung schon bestehender Städte in ökonomischer, finanzieller und verkehrstechnischer Hinsicht. Wir müssen Städte anders denken als bisher. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Fachwelt und die Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen diesbezüglich schon weiter sind als die Politik.
Typische Gründerzeitquartiere aus Berlin, Wien und Graz sind hier einander gegenübergestellt.
© Ida Pirstinger
Wann ist eine Stadt zu dicht?
Ich denke sie ist zu dicht, wenn sie räumlich oder hinsichtlich der anwesenden Personen, die da wohnen oder arbeiten, erschöpft ist und gleichzeitig etwas fehlt, um sie lebenswert zu machen. Das kann Freiräume, Rückzugsmöglichkeiten, Jobs, Perspektiven und Ausweichmöglichkeiten, usw. betreffen. Das ist auch sehr vom individuellen Empfinden abhängig. Im Prinzip geht es darum, dass die Ressourcen ausgeschöpft sind.
Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?
Die Möglichkeitsräume für das Gemeinwesen der Stadt in Bezug auf Chancen, Entwicklungsmöglichkeiten und visionäres Denken sollen immer unbegrenzt sein. In der Umsetzung muss man sich dabei an die Grenzen des Vernünftigen und Machbaren halten. Man muss überlegen, was der Entwicklung des sozialen Gemeinwesens gut tut und was nicht. Die Stadt ist deshalb ein Anziehungspunkt, weil die Menschen in ihr mehr Zukunftshoffnungen sehen. In dem Sinne sollte die Stadt immer als offene Gemeinschaft denken und im Sinne des Gemeinwohls handeln.
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