Architektur, die fliegt
Schon wieder ist ein UFO gelandet! Oder bereitet sich ein Vogelschwarm auf den Abflug vor? Es liegt an der Fantasie der Betrachter, welche Assoziationen das „Civic Art Centre“ von Zaha Hadid Architekten (ZHA) hervorruft. Architektur, die fliegt – dafür ist das Büro bekannt und das ist in jedem Fall das Bild, welches das im Vorjahr in der südchinesischen Provinz Guangdong eröffnete Kulturzentrum vermitteln soll.
Schon wieder ist ein UFO gelandet! Oder bereitet sich ein Vogelschwarm auf den Abflug vor? Es liegt an der Fantasie der Betrachter, welche Assoziationen das „Civic Art Centre“ von Zaha Hadid Architekten (ZHA) hervorruft. Architektur, die fliegt – dafür ist das Büro bekannt und das ist in jedem Fall das Bild, welches das im Vorjahr in der südchinesischen Provinz Guangdong eröffnete Kulturzentrum vermitteln soll.
Mitten in einer Bucht liegt das Civic Art Centre, umringt von einem vor vier Jahren geschaffenen Stadtviertel, das der 2,4-Millionenstadt Zhuhai im Bezirk Jinwan zusätzlichen Platz für 100.000 Bewohner samt notwendiger kommerzieller Infrastruktur schafft. Mit dem der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden Kunst- und Kulturzentrum (so könnte man den Begriff „Civic Art Centre“ übersetzen) hat die dynamisch wachsende Region nun auch kulturell etwas zu bieten.
Formalistische Architektur
Architektur als Bildsprache – das ist immer schon ein Wesensmerkmal der verstorbenen irakisch-englischen Architektin Zaha Hadid gewesen. Und auch ihr Büropartner und Nachfolger Patrik Schumacher hat mit puristischem Funktionalismus wenig am Hut. „Form delivers function“ lautet sein Motto – die gewählte Figur bestimmt also erst die Funktion innerhalb eines Gebäudes, im bewussten Gegensatz zu „Form follows function“, dem Mantra der klassischen Moderne, postuliert von Louis Sullivan, das die Form eines Gebäudes ausschließlich als Resultat aus dessen Zweck und Funktion erlaubt.
Formalistische Architektur, vor allem wenn sie mit spektakulären, am Computer generierten dynamischen Formen daherkommt, erregt öffentliches Aufsehen und bringt dem Bauherrn Publicity. Potente Auftraggeber – und auch zweifelhafte Regime – schmücken sich gerne mit „Stararchitekten“ und deren aufsehenerregenden Bauten. Büros wie ZHA oder Coop Himmelb(l)au stehen immer wieder in der Kritik, wenn sie für Katar, die Arabischen Emirate, Aserbeidschan und Russland bauen. Oder eben für China.
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Funktionell durchdacht
Abseits architekturtheoretischer und moralischer Betrachtungen präsentiert sich das Civic Art Centre von ZHA als ein seiner Funktion entsprechendes und auch funktionell durchdachtes Gebäudeensemble. Es vereint auf einer Geschoßfläche von 100.000 m2, symmetrisch entlang einer Mittelachse angeordnet, über eine Spannweite von 170 mal 270 Metern ein in Betonbauweise errichtetes Zentrum für darstellende Kunst samt „Grand Theatre“ mit 1.200 Sitzplätzen, eine multifunktionale „Blackbox“ mit 500 Sitzen, ein interaktives Wissenschaftszentrum sowie ein Kunstmuseum. Erschlossen werden die nach innen und außen voll verglasten einzelnen Bereiche über ein gemeinsames externes Foyer, das über zwei Brücken zu erreichen ist. Von dort führen Rampen und Stiegen zu den einzelnen Veranstaltungsorten. Dieses Element setzt sich in Form von seitlich weiß verkleideten, an der Untersicht schwarz gehaltenen Stiegenläufen in der internen Erschließung fort.
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Flügelpaare
Soweit die funktionelle Ebene des Projekts. Den formalen Part als „Eye Catcher“ übernimmt das Flugdach, welches das gesamte Ensemble nicht nur überspannt, sondern in einer dramatischen Geste dieses so weit und hoch überragt, dass beim Betrachter tatsächlich die beabsichtigte Assoziation sich in die Lüfte erhebender Flügelpaare hervorgerufen wird. Es handelt sich dabei um eine Stahl-Glaskonstruktion auf 22 Stützen. Die einzelnen Glasmodule, aus denen sich die fünf selbsttragenden Dachkonstruktionen zusammensetzen, sind jedes für sich planeben, bilden aber gemeinsam mehrfach gekrümmte, freie Flächen entlang isoparametrischer Kurven.
Das Gitterdach mit doppelt isolierter Verglasung ist zum Schutz vor der Sonneneinstrahlung im subtropischen Klima an der Küste Südchinas außen mit perforierten Metallpaneelen verkleidet. Die Paneele haben unterschiedlich große Löcher und lassen so das Sonnenlicht differenziert nach Bedarf in die darunterliegenden Räume. In der Nacht wird das Licht der künstlichen Beleuchtung von der Dachabdeckung in den Raum reflektiert.
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Ökologie
Das Projekt ist nach dem „Schwammstadt“-Prinzip konzipiert: Mindestens 70 Prozent des Regenwassers werden auf natürliche Weise gespeichert, wobei Schadstoffe und Verunreinigungen mithilfe von Wasserpflanzen und -tieren gefiltert werden. Feuchtigkeits- und Bodensensoren steuern und senken zusätzlich den Frischwasserbedarf. Energieverbrauch und Raumluftqualität des Zentrums lassen sich mithilfe intelligenter Steuerung anpassen und der Warmwasserbedarf wird mithilfe von Abwärme-Rückgewinnung gedeckt. Die Konstruktion der Überdachung wurde zudem vollständig aus recyceltem Stahl realisiert.
Zhuhai Jinwan Civic Art Centre
Zhuhai, China
Bauherr: Zhuhai Huajin Development and Construction
Planung: Zaha Hadid Architects
Leitung Designteam: Zaha Hadid (†2016), Patrik Schumacher
Generalunternehmer: MCC City Investment Holding
Landschaftsplanung/Statik: Beijing Institute of Architecture & Design South China Centre
BIM-Planung: Beijing BIMTechnologie
Fassadenplanung: Zhuhai City Honghai Curtain Wall
Lichtplanung: Shenzhen Global Lighting Technology
Theaterplanung: Shanghai DeYi Engineering Technology
Bruttogeschoßfläche: 48.432 m2 ober Niveau, 51.646 m2 unter Niveau
Höhe: 35 m
Baubeginn: 2017
Fertigstellung: 2023
Text: Roland Kanfer
Fotos: Virgile Simon Bertrand, Seilao Jiong, Cat Optogram Studio