Aus dem Vollen schöpfen

Naturstein ist mehr als nur eine Zierde am Bau. Wie kein anderer Baustoff vereint er optische und technische Vorzüge gleichermaßen. Die hohe Wertschätzung von Naturstein zeigt nicht zuletzt ein Blick auf Kollektionen der Keramikindustrie. Kein Hersteller, der nicht mindestens ein Natursteinimitat im Sortiment führt, und doch bevorzugen immer mehr Bauherren statt des schönen Scheins die Authentizität des Originals.

Aus dem Vollen schöpfen

Naturstein ist mehr als nur eine Zierde am Bau. Wie kein anderer Baustoff vereint er optische und technische Vorzüge gleichermaßen. Die hohe Wertschätzung von Naturstein zeigt nicht zuletzt ein Blick auf Kollektionen der Keramikindustrie. Kein Hersteller, der nicht mindestens ein Natursteinimitat im Sortiment führt, und doch bevorzugen immer mehr Bauherren statt des schönen Scheins die Authentizität des Originals.

 


Oben: Bei diesem Projekt schätzen die Bauherren Naturstein nicht nur wegen seiner Robustheit. 

 

Einen wesentlichen Anteil am visuellen und haptischen Erlebnis von Naturstein hat die Oberfläche, und die ist dank innovativer Bearbeitungen vielfältig wie nie zuvor: Alternativ zur klassischen Politur sind matt geschliffene oder gebürstete Flächen im Innenraumdesign immer stärker anzutreffen. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die optische Tiefe. Abhängig von der Zusammensetzung der Mineralien und dem Lichteinfall erzeugt die natürliche Kristallstruktur einen räumlichen Eindruck, den eine geschickte Plattenteilung und über die Kanten durchlaufende Maserung noch verstärkt. Am stärksten vermitteln massive Werkstücke Räumlichkeit. Individuelle, aus dem vollen Material ausgearbeitete Becken, Duschtassen und auch Massivstufen sind Paradebeispiele für Werkstücke, die auch bei den in Sanierungen häufig anzutreffenden Grundrissen ohne rechte Winkel individuell an die räumlichen Gegebenheiten angepasst werden.

 


Drinnen wie draußen: Der einheitliche Bodenbelag erzeugt einen nahtlosen Übergang ins Freie.


Der Kaminsockel wurde aus dem gleichen Kalkstein wie der Boden gefertigt.


Lebhaft strukturierter brasilianischer Quarzit verleiht diesem Bad einen exotischen Touch.


Dank geschickter Plattenteilung erstreckt sich die Maserung über alle Stufen.

 

Ein Haus ganz aus Stein

In Regionen, in denen die klimatischen Bedingungen außergewöhnliche bauliche Maßnahmen erfordern, punktet Naturstein vor allem wegen seiner technischen Eigenschaften. Das vom indischen Büro Malik Architecture entworfene „House of Solid Stone“, ein Einfamilienhaus in Jaipur im Bundesstaat Rajasthan, ist besonders kompromisslos: Bei dem 2019 fertiggestellten Projekt dient ein nur 45 Kilometer vom Standort entfernt gewonnener Sandstein nicht als dekorative Schicht über einer herkömmlichen Tragkonstruktion, sondern als Baustoff und strukturell tragendes Element im ursprünglichsten Sinn. Als Weiterentwicklung traditioneller, massiv aufgemauerter Wände tritt beim Haus in Jaipur ein eigens dafür entwickeltes, hohl ineinandergreifendes Wandsystem auf. Dieses System schafft eine effektivere Wärmeisolierung, bietet in den Hohlräumen Platz für die Infrastruktur wie Strom und Wasserleitungen und reduziert den Materialverbrauch um fast ein Drittel. Das trocken gefügte Mauerwerk wird lediglich durch stählerne Zugstangen und Scherstifte gegen seismische Belastungen gesichert. Zum Schutz vor der tropischen Hitze beschatten Überhänge und bewegliche Steingitter die Verglasungen an der Vorder- und Rückseite. Allein schon dank dieser konstruktiven Details und der hohen thermischen Masse des Natursteinmauerwerks beträgt die Temperaturdifferenz zwischen Außen- und Innenbereich ohne aktive Kühlung bis zu sieben Grad Celsius.

 


Das „House of Solid Stone“ schützt seine Bewohner mit perforierten Steinblenden vor der sengenden Hitze. Der lokale Sandstein ist tragendes und dekoratives Element zugleich. © Malik Architecture

 

So konsequent wie die Bauweise zeigt sich auch das Innenraumdesign. Sämtliche Gänge und Räume sind steinsichtig. Spaltraue Flächen wurden mit Steinen mit gesägter Oberfläche kombiniert. Das Ergebnis ist ein archaisch und modern zugleich anmutendes Raum­erlebnis.

 


„House of Solid Stone“ © Malik Architecture

 

 

Text: Richard Watzke
Fotos: Richard Watzke, Malik Architecture