Baustoff für Kreative

Ob Hochbau, Innenraumdesign oder Landschaftsbau – für anspruchsvolle Gestaltungen ist Naturstein das begehrte Original. Als Werkstoff direkt aus der Natur fasziniert er durch seine Vielfalt und besitzt von Haus aus eine mustergültige Ökobilanz.

Baustoff für Kreative

Ob Hochbau, Innenraumdesign oder Landschaftsbau – für anspruchsvolle Gestaltungen ist Naturstein das begehrte Original. Als Werkstoff direkt aus der Natur fasziniert er durch seine Vielfalt und besitzt von Haus aus eine mustergültige Ökobilanz.

 


Formenspiel: Skulpturaler „Wald“ aus polygonalen Stelen aus Carraramarmor.
Design: CZA Cino Zucchi Architetti / Stefano Goffi

 

Naturstein erlebt im Bauwesen eine Renaissance. In einer globalisierten Welt, in der alles überall auf Knopfdruck verfügbar ist, suchen Menschen wieder nach dem Unverwechselbaren, dem Authentischen. Im privaten Bausektor ist er besonders begehrt im Küchendesign, in der Badgestaltung und in der Ausstattung der Wohnbereiche innen wie außen. Bei hochwertigen Projekten ist in der Regel immer Naturstein anzutreffen, sei es als lebhaft strukturierte Kücheninsel, als aufwendige Dusche oder gespiegelte Badewannenrückwand, als hinterleuchteter Tresen oder als großformatiger Bodenbelag mit durchlaufender Maserung. Wie groß tatsächlich die Wertschätzung für die natürliche Anmutung von Naturstein ist, zeigt die Vielzahl ihrer Nachahmungen. Jeder namhafte Keramikhersteller führt Steinoptiken und sogar Imitate von Oberflächen im Sortiment. Dabei sind nicht nur berühmte Steinklassiker wie Carrara, Nero Portoro oder Bahia Blue Vorbilder, sondern auch ganz allgemein Steine mit einem natürlichen Oberflächenrelief wie spaltrauer Schiefer.

 


Beim Spiegeln von gemaserten Steinplatten entstehen individuelle, weltweit einmalige Muster. Design: Luigi Siard

 

Auf die Eignung achten

Entscheidend für den Charakter eines Steins ist seine Entstehungsgeschichte. Neben der Zusammensetzung der Mineralien bestimmen die Menge und Dauer an Hitze und Druck, aber auch die Zeit und Ruhe, die das neu entstandene Gestein zum Abkühlen und Auskristallisieren hatte, die optische Erscheinung und die Bearbeitbarkeit. Große Kristalle im Granit zeigen zum Beispiel, dass die Mineralien über lange Zeiträume ungestört kristallisieren konnten. Ein vulkanischer Stein wie Basalt hingegen hat nur sehr kleine Kristalle, weil das flüssige Gemenge sehr viel rascher erstarrte. Schiefer und Quarzit entstanden durch schichtenweise Ablagerungen und sind daher leicht in einer Richtung spaltbar. Kalksteine und andere Weichgesteine lassen sich leicht handwerklich und maschinell bearbeiten. Marmor zeigt mit bloßem Auge erkennbare Kristalle, die einzelne Sorten bis zu einer Plattenstärke von zwei Zentimetern transluzent machen. Die Aufzählung lässt sich beliebig fortführen.

 


Ein Material und viele Gesichter: Einen Farben- und Flächenmix wie beim Porphyr erlauben viele Natursteine.

 

Die individuellen Eigenschaften beeinflussen auch die Eignung des jeweiligen Materials: Calciumcarbonat als Grundstoff von Kalkstein und Marmor ist säureempfindlich, eine Politur wird beim Einsatz scharfer Reiniger angegriffen. Travertin ist vergleichsweise weich, aber gerade wegen seines hohen Porenanteils unempfindlich gegenüber Frost, da Wasser aus dem Gesteinsgefüge rasch abtrocknet und Frostsprengungen im Stein vermieden werden. Was bei einem privaten Poolbereich also willkommen ist, würde in einem stark frequentierten Freibad auf lange Sicht kaum funktionieren. Der dort übliche Abrieb setzt dem Sedimentgestein zu und führt zu einer raschen Verschmutzung der Poren. Frostbeständige, dichte Kalksteine hingegen sind pflegeleicht und eignen sich für öffentlich zugängliche Flächen. Sollen stark beanspruchte Flächen zusätzlich noch schwerlasttauglich sein, empfehlen sich Granite, beispielsweise aus dem Mühl- und Waldviertel, die im Vergleich zu den großen Transportdistanzen mancher Industrie-Baustoffe geradezu vor der Haustür liegen.

 


Kreatives Potenzial verwirklichen – immer mehr Industriedesigner entdecken Naturstein als Medium.

 

Handwerk und High-Tech

Dreht sich die Materialauswahl im Privatsektor vorrangig um emotionale Faktoren wie Optik, Image und Haptik, gelten für den Hochbau andere Regeln. Investoren und Architekten streben bei allen Komponenten nach Lösungen, Bauwerke möglichst nachhaltig und mit einem niedrigen CO2-Fußabdruck zu errichten. Um solche Lösungen zu forcieren, lobt der Deutsche Naturwerkstein-Verband DNV alle zwei Jahre den Deutschen Natursteinpreis, DNP, in Kategorien wie Fassadenbau, Massivbau, Innenraumgestaltung und Landschaftsbau aus. Beim diesjährigen Wettbewerb setzte sich das 60 Meter hohe Wohnhochhaus „Drei Horizonte“ in Frankfurt am Main vom Büro O&O Baukunst mit Stefan Forster Architekten & Karl Dudler Architekten, Berlin, als Gesamtsieger durch. Mit seiner Fassade aus feinporigem, weiß-grauem Kalkstein vollendet das Hochhaus als weithin sichtbare Landmarke die Transformation des ehemaligen Industriequartiers im Frankfurter Ostend in ein neues Stadtviertel. Die Auswahl von Kalkstein als Fassadenmaterial ist laut Jurybewertung strategisch: Es soll wartungsarm sein und langfristig eine angenehme Patina entwickeln.

 


Gewinner des Deutschen Natursteinpreises 2024: Wohnhochhaus „Drei Horizonte“ in Frankfurt a.M. © Lisa Farkas, Frankfurt

 

Gewinnerprojekt 2024 in der Kategorie Fassadenbau ist das Kriminaltechnische Institut des LKA Sachsen in Dresden vom Dresdner Architekturbüro heinlewischer. Um das Ziel eines Nachhaltigkeitszertifikates nach BNB im Standard Gold zu erreichen, wählten die Architekten einen regional abgebauten, weiß-grauen Mainsandstein für die 3.200 m2 große, vorwiegend als Vormauerschale ausgeführte Fassade. Nur im Bereich der Fensterbrüstungen und der Blindfenster sind die Steinplatten als vorgehängte, hinterlüftete Fassade eingesetzt. Für den sichtbaren Bezug des Gebäudes zu seiner Nutzung entwarfen die Künstlerinnen Birgit Nadrau und Annie Kuschel das Kunstwerk „Spurensucher“. Dazu wurden 44 Motive dreidimensional gescannt, in erhabener Ausführung CNC-gefräst und als Reliefsteine im Eingangsbereich des Neubaus vermauert.

 


Sieger bei den Fassaden des DNP 2024: Detail der Reliefplatten am Kriminaltechnischen Institut in Dresden. © Brigida González, Stuttgart

 

Einen beispielhaften Weg im Umgang mit Naturstein zeigt auch das ebenfalls beim DNP 2024 in der Kategorie Landschaftsbau ausgezeichnete Projekt der historischen Weinbergmauern bei Karlsruhe-Durlach, geplant durch das Büro Agence Ter.de aus Karlsruhe. Bei der Sanierung der abgetreppten Mauern wurde ein Großteil des Originalmaterials aus rotem Sandstein sorgfältig geborgen und neu eingebracht. Die Integration von Bestandsmaterial zeigt, wie problemlos und ressourcenschonend sich Naturstein wiederverwenden lässt. Zugleich schlägt das ursprüngliche Material eine zeitliche Brücke zwischen altem und neuem Bestand.

 


Gewinner in der Kategorie Landschaftsbau des Deutschen Natursteinpreises 2024 – Sanierte historische Weinbergmauern in Karlsruhe. © Agence Ter.de, Karlsruhe

 

Eine Besondere Anerkennung beim DNP 2024 erhielt das Projekt CasaNova im Rotterdamer Schifffahrtsviertel von Barcode Architects. Der dreieckige, 110 Meter hohe Wohnturm erhebt sich wie eine Skulptur auf einem Sockel. Die Fassade ist aus handgeschliffenem und liniengespaltenem Neckartäler Hartsandstein gefertigt. Dazu wurde die Oberfläche der Steine zuerst in Bahnen eingesägt und die stehengebliebenen Stege anschließend manuell abgeschlagen. Auf diese Weise erhält der Stein aus der Ferne betrachtet ein regelmäßiges Erscheinungsbild, das sich aus der Nähe jedoch als abwechslungsreiches Muster präsentiert. In Kombination mit planen, gesägten Flächen zeichnet sich CasaNova durch das Spiel von Licht, Schatten und Textur aus, welches in dieser Form nur mit Naturstein verwirklicht werden kann.

 


Besondere Anerkennung für die Fassade aus handgeschliffenem Sandstein beim Wohnturm CasaNova in Rotterdam. © Brigida González, Stuttgart

 

 

Text und Fotos: Richard Watzke (wenn nicht anders angegeben)