COVID-19 – Entfall der Verpflichtung zur Bestandzinszahlung?
Die Diskussion über den Entfall oder die Minderung des Bestandzinses in Zeiten der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden „Lock-Downs“ ist derzeit omnipräsent. Selten wurde eine rund 200 Jahre alte Gesetzesbestimmung (§ 1104 ABGB) plötzlich zum Mittelpunkt der juristischen Auseinandersetzung. Aktuelle Gerichtsurteile sowie ein Rechtsgutachten zu diesem Themenkreis zeigen, wie kontrovers die juristische Meinung zu dieser Bestimmung ist. Der Beitrag COVID-19 – Entfall der Verpflichtung zur Bestandzinszahlung? erschien zuerst auf architektur-online.
Die Diskussion über den Entfall oder die Minderung des Bestandzinses in Zeiten der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden „Lock-Downs“ ist derzeit omnipräsent. Selten wurde eine rund 200 Jahre alte Gesetzesbestimmung (§ 1104 ABGB) plötzlich zum Mittelpunkt der juristischen Auseinandersetzung. Aktuelle Gerichtsurteile sowie ein Rechtsgutachten zu diesem Themenkreis zeigen, wie kontrovers die juristische Meinung zu dieser Bestimmung ist.
Im Zusammenhang mit der aktuellen COVID-19-Pandemie wurde am 15.03.2020 im Bundesgesetzblatt das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) kundgemacht. Auf dessen Basis wurden mittlerweile zahlreiche Verordnungen erlassen und kundgemacht, die Betretungsverbote und/oder Betriebsbeschränkungen für gewisse Betriebsstätten des Handels, von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben normierten bzw. normieren.
Die verordneten Betretungsverbote und Betriebsbeschränkungen führten vielerorts zur Schließung von Betriebsstätten oder zumindest zur teilweisen Unbrauchbarkeit der Betriebsstätten. In der Folge hat sich daher eine Diskussion zwischen Bestandgebern und Bestandnehmern entwickelt, welcher Sphäre die Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts zuzurechnen sei. Also, ob der Bestandgeber den vereinbarten Bestandzins in voller Höhe vom Bestandnehmer verlangen kann oder der Bestandnehmer den Bestandzins – allenfalls sogar auf null – mindern kann.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Beantwortung dieser Frage von der jeweiligen konkreten Vertragsgestaltung (Inhalt des Bestandvertrages, Vorliegen eines Miet- oder eines Pachtvertrages, vereinbarter Geschäftszweck, etc.) abhängt. Auch kann für die Beurteilung der Wirksamkeit von Vertragsbestimmungen sowie für die Geltendmachung von allfälligen Ansprüchen entscheidend sein, in welcher Sphäre der jeweilige Bestandvertrag erstellt wurde.
Die zentralen gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Diskussion über die Zahlungsverpflichtung des Bestandnehmers während der COVID-19-Pandemie sind die §§ 1104 ff ABGB. Gemäß § 1104 ABGB ist kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten, wenn die in Bestand genommene Sache wegen außerordentlicher Zufälle gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann. Als außerordentliche Zufälle werden im Gesetz beispielsweise Feuer, Krieg, Seuche, große Überschwemmungen, Wetterschläge oder gänzlicher Misswuchs aufgezählt.
Ein außerordentlicher Zufall liegt nach der Rechtsprechung und Literatur allgemein vor, wenn es sich um elementare Ereignisse handelt, die stets einen größeren Personenkreis treffen und von Menschen nicht beherrschbar sind, sodass für deren Folgen im Allgemeinen von niemand Ersatz erwartet werden kann. Zu den Fällen des außerordentlichen Zufalls werden auch von den Vertragspartnern nicht provozierte hoheitliche Verfügungen gerechnet. Die überwiegende Literatur subsumiert die derzeitige COVID-19-Pandemie und die deswegen verordneten Betretungsverbote und Betriebsbeschränkungen unter den Begriff der „Seuche“.
Eine gänzliche Befreiung von der Bestandzinszahlungsverpflichtung ist daher aufgrund des außerordentlichen Zufalls grundsätzlich denkbar. Die Bestandzinsbefreiung könnte – in Anlehnung an die zu § 1096 ABGB entwickelten Grundsätze – alle Zinsbestandteile, also auch die Betriebs- und Nebenkosten sowie öffentlichen Abgaben umfassen. Im Falle einer nur teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstandes ist allerdings von einem Recht auf angemessene Bestandsminderung, nicht jedoch von einem solchen auf gänzliche Bestandzinsbefreiung auszugehen.
Ob und inwieweit tatsächlich ein Anspruch gemäß § 1104 ABGB besteht, hängt wesentlich von dem im Bestandvertrag vereinbarten Geschäftszweck und dem Unternehmensgegenstand des Bestandnehmers ab. Ist im Bestandvertrag als Geschäftszweck beispielsweise der Betrieb eines Lebensmittelhandels vereinbart, hat der Bestandnehmer weiterhin den vereinbarten Bestandzins in voller Höhe zu entrichten, weil der Lebensmittelhandel vom verordneten Betretungsverbot nicht betroffen war oder ist. Sollte jedoch im Bestandvertrag ein anderer oder ein nicht näher bestimmter Geschäftszweck (zB „jede zulässige gewerbliche Nutzung“) vereinbart sein, wäre je nach tatsächlicher Nutzung des Bestandobjekts ein Anspruch gemäß § 1104 ABGB argumentierbar.
Die Rechtsfolge des außerordentlichen Zufalls ist zudem vom Ausmaß der Gebrauchsbeeinträchtigung des Bestandobjekts abhängig. Gemäß § 1105 Satz 1 ABGB wird bloß ein verhältnismäßiger Teil des Mietzinses erlassen, sofern der Mieter trotz eines außergewöhnlichen Zufalls einen beschränkten Gebrauch des Bestandgegenstandes behält. Dies bedeutet, dass bei Mietverträgen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Anwendung gelangt. In der Praxis wird das Ausmaß des Bestandzinsminderungsanspruches daher anhand eines prozentuellen Abschlags je nach dem Grad der (Un-)Brauchbarkeit berechnet.
Im Zusammenhang mit Pachtverträgen stellt sich die derzeitige Rechtslage jedoch differenziert dar. Gemäß § 1105 Satz 2 ABGB gebührt dem Pächter nur dann eine Minderung des Pachtzinses, wenn die Pachtdauer nur ein Jahr beträgt und durch den außerordentlichen Zufall die Nutzung des gepachteten Gutes um mehr als die Hälfte des gewöhnlichen Ertrages fällt.
Im Ergebnis steht dem Pächter daher bei einer Pachtdauer von mehr als einem Jahr kein gesetzliches Minderungsrecht zu. Diese erhebliche Unterscheidung in den Rechtsfolgen zwischen Miet- und Pachtverträgen erfordert daher zunächst eine fundierte Prüfung im Einzelfall, ob ein abgeschlossener Bestandvertrag als Miet- oder als Pachtvertrag zu werten ist.
Die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 1104 ff ABGB sind dispositiv, weshalb die Vertragsparteien eines Bestandvertrages auch davon abweichende Vereinbarungen treffen können. Die konkreten Ansprüche des Bestandnehmers sind daher stets vom Inhalt des jeweiligen Bestandvertrages abhängig. So finden sich in Bestandverträgen nicht selten Klauseln, wonach der Bestandnehmer jegliches Betriebsrisiko übernimmt. Bei solchen Vertragsklauseln stellt sich im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie die Frage, ob auch dieser außerordentliche Zufall dem vom Bestandnehmer übernommenen Betriebsrisiko zuzuordnen ist.
Die bisherige Rechtsprechung geht jedenfalls davon aus, dass der Bestandnehmer selbst bei Übernahme des Betriebsrisikos nicht auch für den zufälligen Untergang der Bestandsache haften wolle. Vielmehr soll auch in diesem Fall der Bestandgeber die Gefahr des zufälligen Untergangs der Bestandsache tragen; dies mit der Folge, dass die Übernahme des Betriebsrisikos durch den Bestandnehmer einen Anspruch gemäß §§ 1104 ff ABGB nicht ausschließt.
Das Bezirksgericht Meidling hat als bisher erstes Gericht im Fall eines Friseursalons (9 C 368/20b) und eines Textilhändlers (9 C 361/20y) entschieden, dass beide Bestandnehmer wegen der derzeitigen COVID-19-Pandemie und der deshalb verordneten Betretungsverbote keinen Bestandzins entrichten müssen. Die Tatsache, dass die Räumlichkeiten auch für das Lagern von Sachen nutzbar waren, reichte für das Gericht nicht aus, um eine Bestandzinsminderung auszuschließen, weil die eigentliche geschäftliche Tätigkeit, welcher die Lagerung diente, gänzlich verunmöglicht war. Diese beiden Urteile sind jedoch grundsätzlich nicht geeignet, bereits von einer gefestigten Rechtsprechung zu §§ 1104 ff ABGB auszugehen.
Ein kürzlich veröffentlichtes Rechtsgutachten, welches im Auftrag des österreichischen Kinoverbandes erstattet wurde, geht sogar so weit, dass ein Bestandzinsminderungsanspruch immer dann bestehen würde, wenn die Besucherzahlen aufgrund der COVID-19-Pandemie rückläufig seien. Dabei mache es keinen Unterschied, ob der – auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zurückzuführende – Besucherzahlenrückgang seine Ursache in einem verordneten Betretungsverbot oder in der bloßen Sorge der Bevölkerung hat. Ob diese sehr weite Auslegung der §§ 1104 ff ABGB tatsächlich in die Rechtsprechung einfließen wird, bleibt abzuwarten.
Zusammengefasst kann somit festgehalten werden, dass Bestandnehmer aufgrund der COVID-19-Pandemie Ansprüche auf Bestandzinsbefreiung bzw. -minderung geltend machen könnten. Jedoch sind solche Ansprüche im Einzelfall anhand des jeweiligen Bestandvertrages zu prüfen.
Text: Ing. Mag. Julia Haumer-Mörzinger und Mag. Matthias Nödl
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