Das Recht auf Grün

Interview mit Landschaftsplanerin Vera Enzi - Als CEO des Innovationslabors grünstattgrau setzt sich die Landschaftsplanerin Vera Enzi für Bauwerksbegrünungen ein, die sie als Notwendigkeit sieht, um mit dem Klimawandel umgehen zu können. Sie möchte in der Stadt eine grüne Infrastruktur entstehen lassen und der Landschaftsplanung mehr Bedeutung zuschreiben. Stadtverwaltungen, Investoren, sowie Planerinnen und Planer werden von grünstattgrau zum Thema Bauwerksbegrünung weitervernetzt und in der Ausführung ihrer Projekte unterstützt. Der Beitrag Das Recht auf Grün erschien zuerst auf architektur-online.

Das Recht auf Grün

Interview mit Landschaftsplanerin Vera Enzi – Als CEO des Innovationslabors grünstattgrau setzt sich die Landschaftsplanerin Vera Enzi für Bauwerksbegrünungen ein, die sie als Notwendigkeit sieht, um mit dem Klimawandel umgehen zu können. Sie möchte in der Stadt eine grüne Infrastruktur entstehen lassen und der Landschaftsplanung mehr Bedeutung zuschreiben. Stadtverwaltungen, Investoren, sowie Planerinnen und Planer werden von grünstattgrau zum Thema Bauwerksbegrünung weitervernetzt und in der Ausführung ihrer Projekte unterstützt.

 

grünstattgrau Vera Enzi
© grünstattgrau

 

Was macht eine Stadt aus?
Dazu möchte ich ein paar Schlagworte nennen: Lebensqualität, Wasser und Mikroklima, Ökologie und Umwelt, Energie und Ökonomie als auch Innovation.

Wofür stehen für Sie die Farben Grau und Grün?
Die Farbe Grau steht für etwas, das veraltet und nicht mehr zeitgemäß ist, vor allem in Zeiten des Klimawandels. Es geht um die Her­angehensweise, wie wir Städte als Siedlungen und als unser Umfeld gestalten. Da gibt es eine Notwendigkeit für eine Transformation von Grau zu Grün. Grün steht für Innovation und Leistung. Begrünung muss als strategisches Instrument für eine nachhaltige und an den Klimawandel angepasste Stadttransformation eingesetzt werden.

Wie sieht Ihre Vision einer grünen Stadt der Zukunft aus?
Die grüne Stadt der Zukunft vereint das Alte mit dem Neuen. Grau soll man dabei nicht wegdenken, denn Grau ist auch die Gebäude- und die Infrastruktur. Aber auch Grün ist Infrastruktur. Die grüne Stadt der Zukunft beinhaltet, dass wir Begrünungen als notwendigen Infrastrukturausbau für die Gesellschaft und unseren Naturhaushalt verstehen. Dabei geht es nicht um eine grüne Decke, die alles überwuchert, sondern ein grünes Netzwerk, das höchst effizient die geforderten Leistungen erbringt.

Wie unterscheidet sich die Umsetzung von Begrünung beim Bestandsbau und Neubau?
Begrünung beim Neubau mitzudenken ist eine ziemlich simple Angelegenheit. Wenn das Grün im Planungsprozess sehr früh eingebunden ist, haben wir alle Möglichkeiten, um sehr kostenoptimiert Anpassungsmaßnahmen zu setzen. Im Unterschied dazu ist im Bestand schon vieles vorgegeben, oft jedoch hier der Leidensdruck am höchsten. Da muss man genau überprüfen, was technisch möglich und sinnvoll ist. Wichtig ist es, das Gebäude immer im Kontext seiner Wechselwirkung mit der Umgebung zu betrachten.

 

Bauwerksbegrünung - Dachbegrünung auf einem Wiener Gebäude von 1870
Dachbegrünungen sind eine Möglichkeit die Stadt grüner zu machen, dafür bieten auch historische Gebäude Potenzial. Hier eine extensive bis intensive Dachbegrünung auf einem Wiener Gebäude von 1870. © grünstattgrau

 

Welche Zusammenhänge bestehen bei der Umsetzung von Begrünungen?
Es gilt den Bestand mit einem nachhaltigen Entwicklungsziel für die Anpassung an den Klimawandel zu erschließen. Das hängt mit Sanierungen, Energie, Mobilität und Digitalisierung zusammen. Es geht aber auch um die Nachbarschaft und sehr viele soziale Aspekte, mit dem Ziel, lebenswerte Umstände zu schaffen, die uns auch helfen mit den bereits stattfindenden Auswirkungen des Klimawandels besser umgehen zu können. Das muss diskriminierungsfrei sein, denn eine Stadt bedeutet ja auch, dass sehr viele unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Hintergründen zusammenkommen. Meistens wird Begrünung da am meisten gebraucht, wo das Geld knapp ist. Begrünung ist also auch eine Art von Recht und sollte dementsprechend Jedem und Jeder zur Verfügung stehen.

Wieso gehört Begrünung nicht längst zum Standard?
In Österreich haben wir da teilweise einen ganz unterschiedlichen Entwicklungsstand. Es gibt Verwaltungen, die Grün bereits im Bebauungsplan vorsehen und auch Bauordnungen sowie Förderzuschüsse dementsprechend angepasst haben. Andere stecken gerade erst in diesem Prozess drinnen. Ganz wenige haben die Problemstellung noch gar nicht erkannt und starten erst jetzt. Aus meiner Sicht liegt das Problem dabei, dass auch Länder und Bund Maßnahmen setzen müssten und nicht nur die einzelnen Stadtverwaltungen. Es geht um ein gemeinsames Herangehen an Ziele, Gesetzgebung und Förderung, was wir durch unseren Green Market Report festgestellt haben.

Ist Ihr Green Market Report Ihre wichtigste Grundlage?
Er ist sehr wichtig, weil er untersucht hat, wie die städtische Vision in diesem Zusammenhang zu schärfen ist und wie man sie umsetzen kann. Er hat gezeigt, dass Bauwerksbegrünung ein marktwirtschaftliches Potenzial besitzt. Das ist in den vergangenen Jahrzehnten entstanden und ist ein Teil der Bauwirtschaft. Es ist eine sehr große Palette an planenden, produzierenden Unternehmen und auch an ausführenden Unternehmen. Diese können Bauwerksbegrünungen umsetzen und auch pflegen. Darüber hinaus gibt es in Österreich auch eine sehr bunte Forschungslandschaft von unterschiedlichen Institutionen, die wir auch laufend begleiten. Eines der größten Hindernisse ist, dass viele öffentliche Apparate noch keine sehr umfassende Datengrundlage zum Thema haben.

 

Fassadenbegrünung Regalkonstruktion auf einem öffentlichen Gebäude in Wien
Fassadenbegrünungen leisten nicht nur einen wichtigen Beitrag um den Straßenraum attraktiver zu gestalten, sie dienen auch als natürliche Beschattung. Hier ausgeführt als eine Regalkonstruktion auf einem öffentlichen Gebäude in Wien. © grünstattgrau

 

Inwiefern muss Bauwerksbegrünung Grenzen überschreiten?
Natürlich ist es ein sehr starkes Schnittstellenthema, weil Bauwerksbegrünung nicht nur am Bauwerk oder in einer Eigentümerschaft stattfindet. Wenn man an eine typische zur Straße orientierte Fassadenbegrünung denkt, dann befinden sich die Wurzeln der Pflanze im Bodenraum auf öffentlichem Gut, die Fassade selbst ist aber privates Eigentum. Es bedarf eigentümer- und liegenschaftsübergreifende Umsetzungsmaßnahmen, auch passender Vertragsgestaltung. Auch innerhalb der Stadt sehen wir, dass Begrünungen innerhalb der Verwaltung zunächst in der Grünraumabteilung verankert sind. Dabei bleibt es aber im Falle der Bauwerksbegrünung fast nie. Eine interdisziplinäre Herangehensweise und eine sehr gute Kooperation zwischen den unterschiedlichen Dienststellen sind daher gefragt.

Welche anderen städtischen Komponenten müssen aktiv werden, um die Stadt grüner zu machen?
Raumplanung, Verkehrsplanung und Lichtplanung, sowie auch die Was­serwirtschaft. Auch Förderungen, Zuschüsse, steuerliche Erleichterungen und Finanzierungen sind sehr wichtig. Es geht darum, alles mit den Entwicklungsstrategien der Stadt in Einklang zu bringen.  Konkret denke ich dabei an erneuerbare Energie und alternative Mobilitätskonzepte in Kombination mit Begrünung. Durch die kann eine Änderung im Straßenquerschnitt erzielt werden und Platz für Bäume geschaffen werden. Flächen müssen multifunktional genutzt werden, Fotovoltaik kann mit Begrünung auch am Dach einfach kombiniert werden. Die Energieraumplanung einer Stadt ist hier ebenso wichtig. Es geht darum, ein attraktiveres und besseres Mikroklima rund um das Gebäude zu schaffen und Gebäude zuerst einmal zu optimieren, bevor man aktiv technisch kühlt.

Fassaden, Dächer, Innenräume. Welche weiteren Bereiche können in Zukunft grün werden?
Die Straßenräume schätze ich dabei als absolut wichtig ein. Sie bieten Raum für Baumpflanzungen und das Anlegen von Regengärten. Dabei wird das Regenwasser gezielt genutzt, damit mikroklimatisch wirksame Pflanzen wachsen können. Auch das Kanalsystem wird dadurch entlastet. Es geht aber nicht nur darum Leistung zu schaffen, sondern auch um wertvollen Lebens- und Aufenthaltsraum. In Zukunft werden sicherlich auch Pocket-Parks und Urban Orchards als auch Urban Farming an Bedeutung gewinnen. Ich denke auch, dass hin und wieder temporäre Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung stattfinden können, um sich zu fragen, wieviel Raum man dem ruhenden Verkehr denn noch überlassen möchte. Wie die Wanderbaum­allee, die es in München gibt. Darauf müssen aber Entsiegelung und dauerhafte Baumstandorte folgen.

 

Bauwerksbegrünung - Die Fassade dieses Grazer Gebäudes wird mit Bäumen und Kletterplanzen begrünt
Die Fassade dieses Grazer Gebäudes wird mit Bäumen und Kletterplanzen begrünt. © Oliver Wolf/UNIQA

 

Wie kann man den Menschen und vor allem auch den Planern die Bedeutung von Grün näher bringen?
Das sehen wir als eine Hauptaufgabe unseres Innovationslabors. Seit einem halben Jahr bilden wir Planerinnen und Planer mit unterschiedlichen Hintergründen, sowie auch Stadtverwaltungen zu diesem Thema weiter. Wir möchten sicherstellen, dass die transdisziplinäre Arbeit zwischen den unterschiedlichen Sphären stattfinden kann. Denn Bauwerksbegrünung bedeutet auch, dass unterschiedliche planende Disziplinen miteinander arbeiten müssen. Es braucht ein Umdenken und Respekt füreinander, damit das Fachwissen der Landschaftsplanung auch tatsächlich im Planungsprozess landet. Auch wichtig ist uns die Vermittlung der Standardisierung von Bauwerksbegrünungen aller drei Teilbereiche, die eben noch nicht alle kennen. Die Normen regeln den Minimumstandard. Unser mobiler Ausstellungsraum MUGLI, der von Stadt zu Stadt reist und die Türen für alle Interessierten öffnet, hilft uns, jede/n in Österreich mit dem Thema zu erreichen.

Welche Rolle spielen dabei die Universitäten?
Es ist notwendig, Planerinnen und Planer unterschiedlicher Fachdisziplinen sehr früh miteinander in Austausch zu bringen. Man muss wissen, wo das jeweilige Know-how und wo die Schnittstellen liegen. Bis zu Ende durchdachte Projekte können nur entstehen, wenn an diesen Nahtstellen ordentlich zusammengearbeitet wird. Da gibt es sehr viele spannende Entwicklungen in der Lehre, wie etwa Kooperationslehrveranstaltungen. Wenn viele Köpfe über ein gutes Projekt nachdenken, kommt am Ende des Tages ein viel besseres Projekt heraus, als wenn nur Einer ein paar Details zusammenstellt. Zudem ist es immer wichtig, auch zum Thema lebende Baustoffe den Studierenden den Stand der Forschung zu vermitteln, damit auch Innovation Einzug halten kann in der Planungskultur.

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?
Die Städte in Österreich sind grau und versiegelt genug, ebenso gibt es genug Individualverkehr. Der ruhende Verkehr verhindert sehr stark die Umsetzung eines sinnvollen grünen Infrastrukturnetzwerkes für die Stadt, da muss ein Umdenken erfolgen. Die Städte müssen sich Ziele und Visionen setzen, wo sie langfristig hinwollen. Das muss die Politik dementsprechend aufgreifen. Es geht darum die Stadt lebenswerter zu machen und sinnvoll in Grün zu investieren. Mit Grün sind wir noch heftig unterversorgt. Da dürfen wir uns keine Grenzen setzen, da muss wirklich sehr viel Innovation, Umdenken und gemeinschaftliche Zusammenarbeit her.

www.gruenstattgrau.at

 

 

Interview: Alexandra Ullmann

 

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