Das Wohnhaus der Zukunft?

“Das Zentrum des Universums für eine junge Familie” - so der Arbeitstitel für das High-Tech-Projekt Villa Sophia in der tschechischen Hauptstadt Prag. So dreht sich in diesem futuristisch anmutenden Wohnhaus des Architektenkollektivs coll coll folgerichtig alles um das gleichberechtigte Wohnen, Arbeiten und Familienleben im Herzen der Stadt, basierend auf Aspekten der künstlichen Intelligenz, integriert durch modernste Technologien in ein autonomes System. Der Beitrag Das Wohnhaus der Zukunft? erschien zuerst auf architektur-online.

Das Wohnhaus der Zukunft?

“Das Zentrum des Universums für eine junge Familie” – so der Arbeitstitel für das High-Tech-Projekt Villa Sophia in der tschechischen Hauptstadt Prag. So dreht sich in diesem futuristisch anmutenden Wohnhaus des Architektenkollektivs coll coll folgerichtig alles um das gleichberechtigte Wohnen, Arbeiten und Familienleben im Herzen der Stadt, basierend auf Aspekten der künstlichen Intelligenz, integriert durch modernste Technologien in ein autonomes System.

 

Villa Sophia - coll coll

 

Was passiert, wenn ein passionierter Kulturwissenschaftler und Informatiker nach einem Auslandsaufenthalt in Kanada in die Heimat zurückkehrt, um sich im Herzen der tschechischen Hauptstadt Prag mit seiner Familie ein Eigenheim zu bauen? Und wenn besagter Informatiker zudem Mitinhaber einer gewissen Firma SYSLOOP ist, die zufälligerweise ein gleichnamiges System zur autonomen Gebäudesteuerung auf Basis künstlicher Intelligenz entwickelt hat? Ganz klar: Unser Rückkehrer wendet sich an das innovative Architektenkollektiv coll coll, um gemeinsam die Vision der VILLA SOPHIA Wirklichkeit werden zu lassen.

 

Villa Sophia - coll coll

 

Kerngedanke des Einfamilienhauses, das Wohnen und Arbeiten nebeneinander wie unabhängig vonein­ander ermöglichen sollte, war es, eine Art Zentrum des Familien-Universums zu kreieren, um das sich das gesamte Leben in Zukunft drehen sollte. Dieses Universum durfte dabei keinesfalls als starres und statisches System konzipiert werden, sondern – ganz im Gegenteil – als flexibler und lernfähiger Organismus. Fast so, als verfüge das Gebäude über ein eigenes Gehirn, dazu da, die Bedürfnisse der Bewohner vorherzusehen und deren Leben zu vereinfachen.

 

Villa Sophia - coll coll

 

Aus architektonischer Sicht schmiegt sich die Villa Sophia in die abfallenden Hänge des naturnahen Stadtteils Troja. Auf diese Weise eröffnen sich den Bewohnern eine Vielzahl an verschiedenen Blickwinkeln in die Natur und über die Stadt, gleichwohl ohne benachbarten Anwohnern deren Aussicht zu nehmen. Die Garage ist nicht nur als ein den Wohnräumen gleichwertiger Teil des Hauses konzipiert, sie dient auch als einladende Eingangshalle in den privaten Wohnbereich. Das Büro hingegen wird von den Besuchern nordseitig separiert betreten. Die räumliche Konzeption basiert auf dem Grundsatz palladianischer Villen: Die quadratische Grundfläche ist in neun Abschnitte unterteilt, welche sich spiralförmig empor winden, um in dem öffentlichsten Bereich des Hauses, der Büroebene, zu enden. Der Hauptwohnraum wird von der Gartenebene erschlossen. Von hier schraubt sich ein zentrales Treppenhaus kontinuierlich nach oben. Ganz im Geiste des wandelbaren Systems, werden die Treppenstufen durch eine breite Rampe unterbrochen, welche den Bewohnern sowohl in jungen als auch späteren Jahren die Bewegung im Haus erleichtern soll.

 

Villa Sophia - Aus der Vogelperspektive zeigt sich die zentrale Position des offenen Erschließungskerns mit großzügigem Oberlicht noch deutlicher.
Aus der Vogelperspektive zeigt sich die zentrale Position des offenen Erschließungskerns mit großzügigem Oberlicht noch deutlicher.

 

Zu einem intelligenten Heim gehört auch eine smarte Materialtechnologie. Wo möglich basieren die strukturellen und materiellen Entscheidungen auf dem Gedanken der Nachhaltigkeit, Beständigkeit, Haltbarkeit sowie haptischen Stabilität des Gebäudes. In diesem Zusammenhang waren Experten der Tschechischen Technischen Universität Prag (ČVUT) kontinuierlich an den Vorbereitungen und dem Bauprozess selbst beteiligt. Materialproben wurden auf Festigkeit, Elastizität sowie chemische Stabilität und Beständigkeit getestet und der Gebäudemonolith wurde so exakt in Beton gegossen, dass sich die Fenster nahtlos in die Gelenkfassade fügen, die sich um das gesamte Haus windet.

 

 

Das Besondere der VILLA SOPHIA aber liegt in ihrem unsichtbar integrierten Nervensystem in Form des eigens entwickelten Steuerungssystems sysloop®. Der Bauherr wünschte sich ein funktionales Zuhause ohne Kompromisse, das aus seiner Sicht auch eine absolute Integration und Kontrolle von modernsten Technologien umfasst. Da dieser Wunsch mit dem heutigen Stand der Bautechnik (noch) nicht korreliert, entwickelte der Bauherr mit seiner Firma und den Spezialisten für künstliche Intelligenz von EMPYREUM Information Technologies sein eigenes System. Dieses ermöglicht die Verbindung physischer Konstruktionstechnologien mit nicht strukturierten Daten und dem sich ständig ändernden Kontext des Webs. Diese neuartige Verknüpfung von Werten und Technologie eröffnet unzählige Möglichkeiten.

 

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So werden die verschiedenen Ebenen des Gebäudes zusammengeschaltet, um beispielsweise alle Lichtquellen im Haus im vollen Lichtspektrum (RGBW) zu steuern, so dass die blaue Komponente nachts entfernt werden kann, um den Melatoninspiegel nicht zu stören. Ohnehin gibt es im Haus keine Lichtschalter, keine Schlüssel, keine Bedienknöpfe – dafür ein Klavier, das von selbst spielt und einen Mechanismus, der basierend auf den Interessen der Bewohner Texte aus dem Internet vorliest. Die VILLA SOPHIA ist so konzipiert, als verfüge sie über ein eigenes Gehirn, ein Haus gesteuert durch künstliche Intelligenz, nicht durch die Bewohner selbst – oder zumindest nur indirekt. Denn dieses Gehirn verfolgt seine Bewohner unablässig in ihren Gewohnheiten und Aktionen und sammelt all diese Daten, um auf Grundlage dieser “Erfahrungen” die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen. Das automatisierte Haus wird so zum autonomen Organismus.

 

 

„Wir sagen, wenn wir es selbst kontrollieren müssen, ist es nicht klug genug“, bringt der Bauherr den Kerngedanken des Systems auf den Punkt. Für das smarte Funktionieren ist die Größe der verfügbaren Datenmenge ausschlaggebend – so werden diese unablässig über Sensoren in Fußböden, in Schubladen, unter dem Küchentisch – quasi überall – erfasst und in Echtzeit ausgewertet. Das System registriert nicht nur die physische Anwesenheit seiner Bewohner, es kann auch auf gesprochene Befehle reagieren und beispielsweise das Licht dimmen oder die Temperatur erhöhen. Im Laufe der Zeit lernt das System sogar dahingehend dazu, dass bereits die Aussage “Mir ist kalt” zu einer Anpassung der Raumtemperatur führen kann.

 

 

Abgesehen von Energieeffizienz, dem Sicherheitsaspekt und dem erhöhten Komfort besteht der wahre Vorteil des Systems für die Entwickler darin, dass der Hausbesitzer durch die Entwicklung von einem Smart-Home-System zum Smart-Home von der Last der ständigen Kontrolle befreit wird. Das bringt zum anderen auch eine gewisse Entmündigung des Bewohners mit sich – schließlich entscheidet das Haus, was gerade die klügste Handlung ist, auch wenn der Bewohner selbst vielleicht allen Energiespar- oder Sicherheits-Aspekten zum Trotz das Fenster im Schlafzimmer gerne die ganze Nacht offen stehen lassen würde. Vielleicht gibt es auch deshalb in der VILLA SOPHIA ein einziges Fenster, das noch händisch geöffnet werden kann – ein Zugeständnis des Bauherren an seine Ehefrau.

 

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Technikfreund oder -skeptiker, wirklich spannend ist der fließende Übergang zwischen Architektur und Technologie. Denn die beiden Komponenten greifen auf vielen Ebenen unsichtbar ineinander. So funktioniert die Lüftung des Hauses zum einen über das autonom gesteuerte System, zum anderen sind die Räume und Öffnungen so konzipiert, dass eine perfekte Durchlüftung dank der auf Magnetschienen schwebenden Türen erst funktionieren kann. Wie jedes Teil des Hauses ist eine Tür daher in der VILLA SOPHIA nicht nur eine Tür, sondern eben Teil eines höheren Systems. Man kann sagen, Chance und Herausforderung, in einem solchen sich stetig wandelnden und weiterentwickelndem Haus zu leben – das vielleicht sogar besser als wir selbst weiß, was wir wollen.

 

 

 

Villa Sophia
Prag, Tschechische Republik

Bauherr: Michaela & Karel Pánkovi
Planung: coll coll
Mitarbeiter: Daria Chertkova, Jana Zatlukajová, Krištof Hanzlík, Libor Mládek, Ĺudmila Koskan, Marie Davidová, Michaela Dlouhá, Martin Gaberle, Mark Kelly, Michal Krejčík, Markéta Součková, Ondřej Punda, Šimon Kos, Veronika Brůhová, Vojtěch Slabý
Statik: ASP Praha – Tomáš Felix

Grundstücksfläche: 475 m2
Bebaute Fläche: 353 m2
Bruttogeschossfläche: 475 m2
Nutzfläche: 396 m2
Planungsbeginn: 2016
Bauzeit: 3 Jahre
Fertigstellung: 2018
Baukosten: ca. 3 Mio Euro

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Boys Play Nice

 

 

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