Der öffentliche Raum: inklusives Luxusgut aller

Mark Neuner von Mostlikely im Interview. Mostlikely ist ein interdisziplinäres Büro, das in den Bereichen Architektur, Design und Research arbeitet. Im Mittelpunkt der Arbeiten stehen großmaßstäbliche Masterpläne, öffentliche Räume, Gebäude und Installationen. Die enge Verzahnung von gebauten Projekten mit angewandter Forschung zeigt sich in spezifischen Arbeitsformaten, die in enger Kooperation mit Universitäten, Architekturinstitutionen und der österreichischen Holzindustrie weiterentwickelt werden. Die Arbeiten von Mostlikely wurden mehrfach auf nationalen und internationalen Biennalen für Architektur ausgestellt und anhand von Workshops, Vorträgen und Publikationen einem größeren Publikum vermittelt.

Der öffentliche Raum: inklusives Luxusgut aller

Mostlikely ist ein interdisziplinäres Büro, das in den Bereichen Architektur, Design und Research arbeitet. Im Mittelpunkt der Arbeiten stehen großmaßstäbliche Masterpläne, öffentliche Räume, Gebäude und Installationen. Die enge Verzahnung von gebauten Projekten mit angewandter Forschung zeigt sich in spezifischen Arbeitsformaten, die in enger Kooperation mit Universitäten, Architekturinstitutionen und der österreichischen Holzindustrie weiterentwickelt werden. Die Arbeiten von Mostlikely wurden mehrfach auf nationalen und internationalen Biennalen für Architektur ausgestellt und anhand von Workshops, Vorträgen und Publikationen einem größeren Publikum vermittelt.

 


© mostlikely / studiomato

 

Mark Neuner befasst sich gemeinsam mit seinem Team bereits seit einem Jahrzehnt damit, wie sich unsere Umgebung in Bezug auf Architektur, Teilhabe und innovative Formen des Zusammenlebens nachhaltig gestalten lässt. Die Plattform Mostlikely funktioniert in diesem Zusammenhang einerseits als klassisches Architekturbüro und andererseits im Rahmen der Arbeitsmethode SUDDEN WORKSHOP als interaktives Kollektiv, das sich den öffentlichen Raum zurückerobert und im Sinne aller bespielt und gestaltet. Dabei geht es den Visionären darum, Ideen zu gemeinschaftlich genutzten Stadträumen in Form von temporären Prototypen in offenen Bauaktionen zu realisieren und für eine kurze Zeit zu betreiben. Diese Erfahrungen und Ideen fließen wiederum in das COMMON SPACE Projekt ein und werden zu Strategien verdichtet, um diese langfristig auf unsere Städte anzuwenden. Das Ziel ist eine offene Stadt, die allen gehört – in der Synergien und Kooperationen mit persönlicher Entfaltung und Selbstbestimmung einhergehen. Als Gründungsmitglied des TEAM WIEN, einem Zusammenschluss von jungen Designschaffenden aus der österreichischen Hauptstadt, legen Mostlikely entsprechend Wert darauf, kritische Fragen öffentlich zu diskutieren und dadurch Grenzen zu überwinden und Veränderungen anzustoßen. Mark Neuner gibt im Interview Einblicke an die Herangehensweise und zeigt neue spannende Wege für die Zukunft unserer Städte auf.

 


Park macht Platz © Mostlikely Architecture

 

Mit Mostlikely haben Sie eine Plattform geschaffen, die Architektur, Design und Forschung verbindet und entsprechend vielseitigen Output produziert – was haben die Projekte dabei immer gemein?

Wir haben uns auch die Frage gestellt, ob es in unseren Projekten – oder besser gesagt in unserer Herangehensweise – eine Gemeinsamkeit gibt. Uns war es wichtig, darauf eine Antwort zu formulieren, damit wir diese Erfahrungen als Potenzial von Anfang an in unsere Projekte integrieren können. Dabei ist es uns immer wichtig, einen vielfältigen Prozess aufzuspannen, damit wir mit möglichst viel Expertise und zukünftigen Stakeholdern in einem interdisziplinären Team arbeiten können. Diese Herangehensweise bezeichnen wir als Co-Creation. Einen zweiten wichtigen Ansatz für unsere Projekte im öffentlichen Raum bildet unser COMMON SPACE Stadtmodel. Dieses liefert Ansätze für die Herausforderungen und Chancen unserer Zeit, um unsere Städte resilient für die Zukunft zu gestalten. Architektur muss gemeinsam mit sozialen, digitalen und ökologischen Innovationen weiterentwickelt werden.  Die Common Spaces erweitern die bestehende Stadt mit neuen, öffentlichen Typologien und bieten offene Nutzungsmöglichkeiten, die uns unterstützen, einen nachhaltigen Lebensstil zu etablieren. Die dritte Gemeinsamkeit bildet unser Streben nach einer zirkulären Architektur im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Bei dieser geht es nicht nur darum, ökologisch zu bauen, sondern sortenrein zu planen und Bauteile und Materialien wiederzuverwenden. Man fängt die Gebäude vom Rückbau an zu konzipieren. Oft gehen damit höhere Preise einher, weshalb es uns nicht immer gelingt, Bauherr:innen davon zu überzeugen. Aber es geht darum, ein Umdenken anzuregen und Lösungen dafür aufzuzeigen. Diese drei Ansätze haben wir zu Leitfäden verdichtet und auf unserer Homepage offen zugänglich gemacht.

 


plaudereckn © Mostlikely Design

 

Was verstehen Sie persönlich unter öffentlichem Raum und welche Gestaltungsmöglichkeiten hat man als Architekt (im besten Falle)?

Wenn wir unsere Wohnungen verlassen, nehmen wir meist nur den Abstand zwischen den Häusern und Straßen und ein paar Plätze dazwischen als öffentlichen Raum wahr. Dieser sollte in meinen Augen aber mehr bieten, zur Interaktion anregen. Dabei muss öffentlicher Raum nicht unbedingt nur außen stattfinden, es kann sich auch um eine Werkstatt, ein Schwimmbad, einen Marktplatz oder Ähnliches handeln. Anstatt dass jeder seinen Privatraum nur für sich nutzt, wäre es schöner, wenn halböffentliche Räume für alle zur Verfügung stünden. Im Rahmen des COMMON SPACE MODELS sehen wir die Stadt als öffentliche Ressource. Wir filtern heraus, welche Räume ungenutzt bleiben und wie man diese neu organisieren, neue Typologien schaffen kann, um letztlich einen inklusiven Luxus für alle zu schaffen. Die Digitalisierung verstehen wir in diesem Zusammenhang als Chance, Räume zu erschließen und Verantwortung zu teilen.

Warum befassen Sie sich gerne mit der Konzeption von öffentlichen Räumen und inwiefern ist das für unsere Gesellschaft wichtig und relevant?

Das Thema liegt mir sehr am Herzen, weil es unser tägliches Zusammenleben beeinflusst. Aktuell ist öffentlicher Raum auch einem enormen Druck ausgesetzt:  Die meisten Städte wachsen rasant. Dadurch entstehen eine zunehmende Verdichtung und Verringerung unseres persönlichen Raums. Das enge Zusammenleben in Städten bietet aber auch ein enormes Potenzial: Nicht jeder einzelne muss sich sein exklusives Raumangebot selbst schaffen, dieses ausstatten, warten und finanzieren. Dank technischer Innovationen, aber auch einer Veränderung unseres Blickwinkels, können wir uns diese Räume auch teilen und umso höherwertiger gestalten und ausstatten. Stadt wird so zur gemeinsamen Ressource, die vielfältige Nutzungsangebote bereithält und uns in der persönlichen Entfaltung fördert.

 


SUNKEN CITY/DONAUVERSUM – Promenade © Mostlikely Architecture

 

Wie wichtig wird das Projekt SUNKEN CITY/­DONAUVERSUM für den öffentlichen Freizeitraum der Stadt Wien?

Einerseits konnten wir eine Menge an Aspekten, die wir in jahrelangem Prototyping erforscht haben, in den Masterplan einfließen lassen, andererseits durften wir in einem sehr interessanten Projektteam und in Kooperation mit vielen verschiedenen Partnern tätig sein. Zu Beginn ging es darum, ein Nutzungs- oder Gestaltungskonzept zu entwickeln – bei Mostlikely denken wir allerdings gesamtheitlich und unterscheiden nicht zwischen Nutzung und Gestaltung. So haben wir als interdisziplinär aufgestelltes Team im ersten Schritt ein Nutzungskonzept entwickelt, das aus drei Bereichen – SPORT, ARBEITEN sowie KULTUR&BADEN – besteht, wobei jeder Teilbereich ein eigenes Zentrum bildet. Sämtliche Angebote sind jederzeit öffentlich zugänglich und können zum Teil auch online reserviert werden. Bei der Konzeption unserer öffentlichen Räume geht es nicht nur um das Zonieren, sondern auch um die Betreuung und Pflege der Bereiche – andernfalls bleiben uns nur unzerstörbare, statische und sterile Orte, die wenig Raum zur eigenen Entfaltung lassen.

 


SUNKEN CITY/DONAUVERSUM – Cafe © Mostlikely Architecture

 

Was ist an dem Ansatz besonders neuartig und (warum) braucht Wien überhaupt neue Konzepte?

Ein wichtiger Ansatz bei unserem COMMON SPACE MODEL ist die frühe Involvierung zukünftiger Betreiber:innen und Nutzergruppen in der Konzeptionsphase. So können wir die grundlegenden Prinzipien für die spätere Fürsorge und Pflege der entstehenden Nutzungsangebote erarbeiten. Eine wichtige Frage dabei ist, was es an Organisation und Design bedarf, dass ein so gedachter öffentlicher Raum nachhaltig funktioniert. Wenn unsere öffentlichen Räume nicht mehr unzerstörbar, fest montiert und dadurch extrem reduziert in der Nutzung sein müssen, eröffnen sich neue Gestaltungsmöglichkeiten. Dies sind eben vielfältige und offene Nutzungsangebote, eine hochwertige Ausstattung von öffentlichen Räumen, ein digitales shared space Prinzip und innovative Betreibermodelle. Wenn wir all diese Aspekte innerhalb des DONAUVERSUM umsetzen können, erleben wir eine neue Qualität an öffentlichem Raum. So wie Wien bereits in der Zwischenkriegszeit das Fundament für einen erfolgreichen Wohnbau gelegt hat, so kann die Stadt Wien auch den öffentlichen Raum betreffend eine Vorreiterrolle übernehmen.

 


SUNKEN CITY/DONAUVERSUM – Badezone © Mostlikely Architecture

 

Welche Rolle spielen Materialität und Bepflanzungen für Mostlikely im Zuge der Gestaltung von öffentlichen Räumen?

In der Wettbewerbsphase des SUNKEN CITY/DONAUVERSUM spielten Material und Grünräume noch keine entscheidende Rolle, da die Definition der Nutzungsmöglichkeiten hier Vorrang hatte. Bei der Ausarbeitung dieses Konzepts liegt nun der Fokus stärker auf der Materialität. Hierbei spielt aber auch das Vorgefundene und dessen Wiederverwendung eine große Rolle. Generell ist zirkulär gedachte Architektur für uns immer ein Thema und an anderer Stelle kann schon einmal das Material den Rahmen vorgeben. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Kulturpavillon, der im Rahmen des Kultursommers Semmering entstanden ist. Da es sich dabei um eine temporäre Struktur handelte, spielte die Wahl der Materialien und deren Rückbaufähigkeit von Beginn an eine große Rolle. Grünräume anzubieten, ist uns natürlich immer wichtig, denn auch die Umgebung prägt die Architektur. Wenn sie dürfte, könnte die Freiraumplanung in Österreich sehr viel mehr erreichen. Hier scheitert es oft an zu knappen Budgets, vielleicht fehlt bei den Gemeinden auch mancherorts noch das entsprechende Bewusstsein. Dabei geht es nicht nur um die Optik – Verschattung und Kühlung sind gerade in Zeiten der Energiekrise ein Thema, wenn es darum geht, ohne viel Technik eine Verbesserung des (Stadt-)Klimas zu erreichen.

 


Kulturpavillon Semmering © Mostlikely Architecture

 

Inwieweit kann die Gestaltung öffentlicher Räume zu einer besseren Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt führen?

Da kommt mir die Broken-Windows-Theorie in den Sinn: Je weniger einladend oder gepflegt sich ein Ort präsentiert, desto eher wird er zerstört. Ich denke, Gestaltung und Schönheit ziehen Respekt und eine Identifikation mit dem Ort nach sich und bringen die Menschen eher dazu, ihr Umfeld zu pflegen. Bei dem Projekt „Weitsicht Cobenzl“, welches wir in Kooperation mit dem Berliner Büro Realarchitektur realisiert haben, stellte die öffentliche Aussichtswarte eine besondere Herausforderung betreffend Fragen der Haftung und Zugänglichkeit dar. Zum Glück konnten wir in einem langen Prozess zusammen mit der Stadt an diesem Konzept festhalten, denn die Leute strömen heute zu diesem Ort, um miteinander auf die Stadt Wien zu schauen. Als Architekt kann man also auch die entsprechenden Voraussetzungen schaffen, öffentliche Räume für die Zukunft zu sichern, und kleine liebgewordene Rituale für das tägliche Leben ermöglichen. Ich empfinde das als große Bereicherung, darüber nachdenken zu dürfen, wie wir einen schönen Moment durch öffentlichen Raum schaffen können – sei es der Blick auf den Sonnenuntergang oder das Tanzen und Sport im Freien. All das ist auch jetzt schon ein Thema für uns, wenn wir uns mit dem Konzept für SUNKEN CITY/DONAUVERSUM befassen.

 


Cobenzl © Mato Johannik

 

Was ist ein besonders gelungenes Gestaltungsbeispiel von öffentlichem Raum und warum?

Für mich ist das die Donauinsel in ihrer Gesamtheit: Die Notwendigkeit des Hochwasserschutzes wurde smart genutzt, um ein zentral gelegenes Freizeitareal zu schaffen, das zum Glück nie bebaut wurde. Hier liegt ein wesentliches Potenzial von Wien, das auch Mitgrund für die hohe Lebensqualität der Stadt ist.

www.mostlikely.at

 

 

Interview: Linda Pezzei