Ein Blick hinter die Kulissen

Mit The Plus wurde im Juni die umweltfreundlichste Möbelfabrik der Welt eröffnet. Der Entwurf für den 7.000 Quadratmeter großen, innovativen Industriebau stammt von der Bjarke Ingels Group (BIG). Umgeben von norwegischen Wäldern stellt er eine völlig neue Bautypologie vor: Das neue Produktionsgebäude für den Traditionsbetrieb Vestre vereint Herstellung und Besucherzentrum unter einem Dach.

Ein Blick hinter die Kulissen

Mit The Plus wurde im Juni die umweltfreundlichste Möbelfabrik der Welt eröffnet. Der Entwurf für den 7.000 Quadratmeter großen, innovativen Industriebau stammt von der Bjarke Ingels Group (BIG). Umgeben von norwegischen Wäldern stellt er eine völlig neue Bautypologie vor: Das neue Produktionsgebäude für den Traditionsbetrieb Vestre vereint Herstellung und Besucherzentrum unter einem Dach.

 

 

Das Unternehmen Vestre liefert seit über 70 Jahren urbanes, nordisches Outdoor-Design in die ganze Welt. Vom Times Square bis hin zum Grazer Kunsthaus begegnet man den Bänken und Tischen dieser Marke. Neben der hohen Qualität zeichnen sich die Kreationen der Firma vor allem durch ihre auf Nachhaltigkeit bedachte Herstellung aus. Anstatt einfacher Produkte bekommen Kunden vielmehr ganzheitliche, klimaneutrale Lösungen. Als logische Schlussfolgerung standen auch bei der Realisierung des Neubaus Umweltaspekte und Transparenz im Mittelpunkt.

 

 

Das neue Fabrikgebäude steht östlich von Oslo inmitten eines 30 Hektar großen Waldparks. Spazierwege und liebevoll gestaltete Plätze laden Besucher hier ein, Zeit im Freien zu verbringen und sich gleichzeitig ein Bild von Vestre und seinen Produkten zu machen. Eine plakative Plus-Form verleiht dem Projekt nicht nur seinen Namen, sondern optimiert zudem die Organisation im Inneren. Die Dachflächen des plusförmigen Baukörpers sind zur Mitte hin leicht geneigt und werden an zwei Seiten von langen Außentreppen sowie einer Rampe für den barrierefreien Zugang begleitet. Sie führen bis auf das Dach und geben von dort den Blick in die Natur und hinein in die Produktionsflächen frei. Eine Rutsche von der Dachterrasse wird an der Außenseite des Baukörpers zur besonderen Attraktion und sorgt dafür, dass der Besuch des Betriebs bei Klein und Groß einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Künftig soll das flache Volumen von Sträuchern und Pflanzen bewachsen werden, um die dunklen Lärchenholzfassaden noch harmonischer in den Kiefernwald einzubetten.

 

 

Bei den Materialien setzten die dänischen Planer auf eine Kombination aus lokalem Holz, CO2-armem Beton und recyceltem Stahl und erreichten damit eine Bauzeit von nur 18 Monaten. Sämtliche Bäume, die im Zuge des Projekts auf dem Grundstück gefällt werden mussten, verwendete man später für dessen Errichtung. Im Vergleich zu herkömmlichen Fabriken ist der Energieverbrauch von The Plus um 60 % geringer. Auch die Treibhausgasemissionen konnte man um 55 % reduzieren. Während 900 Solarpaneele auf dem begrünten Dach den Neubau jährlich mit 250.000 kWh hauseigenem Strom versorgen, werden über 90 % des für die Möbelherstellung verwendeten Wassers anschließend wiederverwendet. Überschüssige Holzabfälle kommen in ein Biomassekraftwerk, wo man sie in neue Energie umwandelt. Das hocheffiziente Heiz- und Kühlsystem beruht auf Wärmepumpen sowie der Rückgewinnung überschüssiger Wärme aus den Produktionsbereichen.

 

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Der Grundriss ermöglicht sowohl effiziente Arbeitsabläufe als auch einen Blick hinter die Kulissen der Fertigungsprozesse: Die vier Produktionshallen, in denen die Möbel entstehen, sind als separate Flügel radial angeordnet und beinhalten jeweils eine der Abteilungen. Neben der Holzwerkstatt gibt es einen Bereich für den Zusammenbau, einen Trakt zur Färbung der Möbelstücke und ein Lager. Die Hallen werden von 21 m langen Leimbindern überspannt, die im Inneren – ebenso wie das verwendete Brettschichtholz – sichtbar bleiben. Aus der Skelettkonstruktion ergeben sich stützenfreie Räume und bei Bedarf flexible Nutzungsanpassungen. Großflächige Verglasungen und Holzoberflächen schaffen ein helles, angenehmes Arbeitsumfeld. Die Mitarbeiter sollen mit Aussicht auf Bäume und Natur das Gefühl haben, mitten im Wald zu arbeiten. Jeder der Produktionsbereiche folgt zudem einem eigenen Farbcode, der sich mit kräftigen Gelb-, Grün-, Blau- und Rottönen in Böden und Maschinen widerspiegelt. Farbige Streifen und Verläufe veranschaulichen die Wege der Produkte durch den Bau: Sie zeichnen am Boden die Stationen nach, die die Möbelstücke bis zur Fertigstellung durchlaufen.

 

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Zum Herzstück des Industriebaus wird der Schnittpunkt des Plus. Er verbindet die unterschiedlichen Funktionen und bietet Platz für Büros und ein Besucherzentrum. Der gesamte Bereich organisiert sich rund um einen kreisförmigen, verglasten Innenhof. Er ist nach oben hin offen und wird über eine geschwungene Treppe erschlossen. Entlang der Glasfassade führen die Stufen von der Dachterrasse bis in den kleinen Patio hinunter, in dem Produktneuheiten präsentiert werden. Im Inneren fasst den Hof im Erdgeschoss eine Art Kreisverkehr ein. Er dient dem Transport der Möbelstücke von einem Fertigungsschritt zum nächsten. Das Obergeschoss der grünen Fabrik empfängt Schulklassen, Studierende, Firmen und andere Gäste mit Ausstellungsflächen und einem bunten Wissensangebot.

 

 

Das Thema Transparenz spielt im gesamten Gebäude eine zentrale Rolle. Anstatt vertraulicher oder geschlossener Räume sind sämtliche Bereiche offen gestaltet. Besucher sollen nicht nur einen Einblick in die einzelnen Schritte der Möbelherstellung, sondern auch in die Funktionsweise des Baus erhalten: Neben Details zu Energieerzeugung und -rückgewinnung gibt es nähere Informationen zu Themen wie Wasser, Materialien und Kreislaufwirtschaft. Damit will Vestre das Interesse an neuen Technologien und nachhaltigen, innovativen Alternativen, genauso wie generell an der Möbelindustrie wecken.

 

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Als weltweit erster Industriebau erhält The Plus für seine Nachhaltigkeit voraussichtlich die höchste BREEAM-Zertifizierung und will damit völlig neue Standards in der Branche setzen. Außerdem soll er die gesamte Region rund um Magnor als attraktiven skandinavischen Unternehmensstandort bewerben und mehr Projekte dieser Art anziehen. BIG macht den Bau zur grünen Landmarke der Möbelindustrie und gleichzeitig zum Prototyp für Produktionsstätten der Zukunft. Er zeigt eindrucksvoll, dass sich Nachhaltigkeit, soziales Engagement sowie Regionalität und Wirtschaftlichkeit nicht ausschließen, sondern vielmehr perfekt ergänzen. All das macht Lust auf mehr grüne Architektur.

 

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The Plus
Magnor, Norwegen

Bauherr: Vestre
Planung: BIG | Bjarke Ingels Group
Team: David Zahle, Viktoria Millentrup, Marcel Götz, Ole Elkjær-Larsen, Tommy Bjørnstrup
Partneringenieure: Bollinger+Grohmann            
Akustik: Gade & Mortensen
Bauökologie: Asplan Viak
Bauphysik: Norconsult
Geotechnik: Multiconsult
Holzbau: Woodcon

Grundstücksfläche: 30 Hektar
Nutzfläche: 7.100 m2
Planungsbeginn: Juni 2019
Bauzeit: 18 Monate
Fertigstellung: Feb. 2022
Baukosten: 300 Mio. NOK

www.big.dk

 

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Einar Aslaksen