Ein langes Haus aus Holz
In einer kleinen Gemeinde in der französischen Region Okzitanien ist ein ebenerdiges, 110 Meter langes Schulgebäude in Holzbauweise entstanden. Die Vorarlberger Architekten Dietrich | Untertrifaller achteten dabei auf Energieautarkie, regionales Handwerk und ökologische Bauweise.
In einer kleinen Gemeinde in der französischen Region Okzitanien ist ein ebenerdiges, 110 Meter langes Schulgebäude in Holzbauweise entstanden. Die Vorarlberger Architekten Dietrich | Untertrifaller achteten dabei auf Energieautarkie, regionales Handwerk und ökologische Bauweise.
Die Holzbauweise hat in Europa eine lange Tradition: Schon vor rund 7.500 Jahren, in der Jungsteinzeit, errichteten die ersten Bauern Europas Langhäuser aus Holz. Mit einem Längen-Breitenverhältnis von etwa 4:1 und einem von bis zu fünf Reihen Holzstützen getragenen Satteldach dienten sie gleichzeitig mehreren Dutzend Menschen als Behausung, Stall und Handwerksstätte. Bekannt und heute noch zu bewundern sind Langhäuser der Wikinger aus dem Mittelalter. Aber auch in Nord- und Südamerika sowie in Asien entwickelte sich diese Bauweise zu unterschiedlichen Zeiten.
Anpassungsfähiger Holzbau
Zurück in die Gegenwart: Nach dem jahrhundertelangen Siegeszug der massiven Baustoffe Ziegel und – in jüngerer Vergangenheit – Beton hat Holz als Baustoff wieder an Bedeutung gewonnen, auch in der Bauindustrie. Dafür gibt es zahlreiche Gründe – neben dem Argument der Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit, das inmitten der heutigen Diskussion um Klimaschutz der Holzindustrie in die Hände spielt, zählen für die Bauindustrie der hohe Vorfertigungsgrad in der Fabrik und damit kürzere Errichtungszeiträume zu den wesentlichen Vorteilen, die Holz im Vergleich zu traditionellen Materialien wie Beton und Ziegel bietet.
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Neben der Kosteneffizienz ist es aber auch die Flexibilität in der Anpassung an wechselnde Anforderungen, die die Holzbauweise interessant macht. Und da fällt einem speziell der Bildungsbau ein. Pädagogische Konzepte verändern sich laufend, Gebäude sollten idealerweise für mehrere Jahrzehnte bis zu einem Jahrhundert stehen und genutzt werden können. Wie sollen die Schulgebäude da immer up to date sein? Solche, die mit Holz errichtet sind, lassen sich zweifelsohne leichter anpassen als massive Bauwerke.
Innenliegender Freiraum
Was hat das mit dem eingangs erwähnten Thema Langhaus zu tun? Ein aktueller Schulbau in Frankreich vereint beides: Das im Vorjahr eröffnete Collège d‘Orlinde in Bretenoux, einer kleinen Gemeinde im französischen Département Lot in der Region Okzitanien, ist ein in Holzbauweise errichtetes Schulgebäude, dessen Konfiguration dem Typus des Langhauses sehr nahekommt. Dietrich | Untertrifaller Architekten haben ein ebenerdiges, rund 110 Meter langes, 44 Meter breites und 4,5 Meter hohes, zweihüftiges Gebäude geplant, das sich nach innen orientiert. Grund dafür ist das Sicherheitsbedürfnis französischer Schulen, die oft durch Zäune von der Umgebung abgeschottet werden. Rund um den überdachten Innenhof, der die Rolle des geschützten Freiraums übernimmt, sind Klassenzimmer und andere Räume angeordnet. Alle Funktionen – Unterricht, Tagesbetreuung und Dienstleistungen – sind im gleichen horizontalen Volumen zusammengefasst, zugleich in rechtwinklig zueinander verlaufenden Fluren übersichtlich organisiert.
Das Gebäude für 400 bis 450 Schüler in 21 Klassenzimmern liegt an der Kreuzung zweier Gemeinden und soll zur Wiederbelebung eines Teils dieses Gebiets beitragen. Vorausgegangen waren dem Baubeginn im Jahr 2022 jahrelange Diskussionen und Bürgerinitiativen von betroffenen Eltern, die auf den von der Politik verschleppten Ersatz für ein von Brand- und Asbestrisiko betroffenes Schulgebäude drängten. Dietrich | Untertrifaller Architekten kommen aus der Vorarlberger Holzbautradition und haben heute Standorte in Bregenz, Wien, St. Gallen, Paris und München. Ihre Schulgebäude sind bevorzugt in Holz gebaut, weil die Architekten der Überzeugung sind, dass dieser Baustoff warme Atmosphären schafft, die förderlich für das gemeinsame Lernen und Leben sind.
Traditionelles Handwerk
Das Collège d’Orlinde wurde von einer in der Region tätigen Zimmerei in Holzblockbauweise errichtet. Bei dieser auch Strickbau genannten Konstruktionsart besteht die Wandkonstruktion aus stabförmigen Querschnitten, die horizontal aufeinandergeschichtet werden und über die Eckverbindungen ausgesteift sind. Die zum öffentlichen Raum hin orientierte Westseite des Gebäudes wird durch massive Holzstützen gebildet, die auf einem Betonsockel ruhen und die auskragenden Holzdeckenbalken tragen. Diese wiederum unterstützen eine Blende aus angekohltem, massivem – aus der Region stammenden – Douglasie-Holz mit starkem Überhang. Sie umrahmt den gesamten Bau und schließt ihn nach oben ab. Die Blende reguliert den Lichteinfall in die Klassenzimmer und schützt die darunter liegende Fassade vor Witterungseinflüssen. Kuppelaufbauten am Dach mit vertikal angeordneten Verglasungen sorgen für Tageslicht im Foyer.
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Ökologische Bauweise
Bemüht haben sich die Architekten um eine ökologische Bauweise auch in anderen Bereichen. Einige Trennwände zwischen den Klassenräumen bestehen aus ungebrannten Lehmziegeln mit Lehmputz, welche die Luftfeuchtigkeit konditionieren und die Akustik verbessern. Das Bretenoux-College ist außerdem die erste Bildungseinrichtung im Département Lot, die dank 1.200 Quadratmetern Photovoltaikpaneelen auf dem Dach mehr Energie produziert, als sie verbraucht. Die Anlage bringt mit einer Leistung von 250 Kilowatt einen Jahresertrag von 264 Megawattstunden. 25 Erdwärmesonden mit 120 Metern Länge sowie zwei geothermische Wärmepumpen sorgen für die Beheizung im Winter und Kühlung im Sommer.
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Für die Errichtung des Schulgebäudes kamen vorzugsweise Materialien aus der Region zum Einsatz, um den CO2-Abdruck möglichst gering zu halten. Für die Bewässerung der Grünflächen und für die Sanitäreinrichtungen wird Regenwasser verwendet.
Auf diese Weise ist ein multifunktionales, autarkes, großteils mit regional verfügbaren Materialien errichtetes Gebäude entstanden – ganz so, wie die Langhäuser der Jungsteinzeit. Oder, wie es die Architekten ausdrücken, als Erinnerung an die mittelalterlichen Bastiden, städtebauliche Anlagen, die in Okzitanien zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert entstanden sind, mit rechtwinkligem Straßenraster und zentralem Marktplatz, der von Häusern mit Arkadengängen gesäumt wurde.
Collège d’Orlinde
Bretenoux, Frankreich
Bauherr: Département du Lot
Planung: Dietrich | Untertrifaller Architectes, Paris
phBa architectes, Figeac
Team: Jörg Fend und Clément Josse (Projektleiter D | U)
Caroline Lafon (Projektleiterin phBa)
Tragwerksplanung: Terrell, Toulouse
Landschaftsarchitektur: Atelier Saltus, Saint-Junien
Innenarchitektur: Dietrich | Untertrifaller, Paris
Akustikplanung: Gamba, Toulouse
Wettbewerb: 2018
Baubeginn: 2022
Fertigstellung: 11/2023
Grundstücksgröße: 21.606 m2
Bruttogeschoßfläche: 6.864 m2
Nutzfläche: 4.483 m2
www.dietrich.untertrifaller.com
Text: Roland Kanfer
Fotos: Aldo Amoretti