Im Dialog mit dem Gebäude

Mit der Eröffnung des sanierten und erweiterten Wien Museums haben die Architekturbüros Winkler + Ruck und Čertov den Weg vom Insidertipp ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gefunden. Im Interview spricht Roland Winkler über die notwendige Sensibilität bei Revitalisierungen historischer Gebäude, über Grenzen der architektonischen Eingriffe in den historischen Bestand und über seinen Umgang mit Kritik.

Im Dialog mit dem Gebäude

Mit der Eröffnung des sanierten und erweiterten Wien Museums haben die Architekturbüros Winkler + Ruck und Čertov den Weg vom Insidertipp ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gefunden. Im Interview spricht Roland Winkler über die notwendige Sensibilität bei Revitalisierungen historischer Gebäude, über Grenzen der architektonischen Eingriffe in den historischen Bestand und über seinen Umgang mit Kritik.

 


Klaudia Ruck und Roland Winkler © Ferdinand Neumüller

 

Mit dem Wien Museum, dem Kärnten Museum und der Schatzkammer Gurk haben Sie drei unter Denkmalschutz stehende Gebäude aus unterschiedlichen Epochen erneuert. Was verbindet die drei?

Es ist die Sensibilität, sich an ein anderes Bausystem anzunähern, das Nachdenken darüber, wie ein Gebäude entstanden ist und wie wir es weiterentwickeln können, ohne in Konkurrenz zum bestehenden zu treten. Bei der Schatzkammer in Gurk hatten wir bis zu 800 Jahre alte Strukturen vor uns, die heute nicht mehr nachgebaut werden können. Mit der Schlichtung der Steine wurde damals etwas komplett Eigenes, Skulpturales geschaffen. Daraus ist unser Ansatz entstanden, ähnlich massiv-konstruktiv zu denken und, mit Respektabstand zum bestehenden Gebäude, Holzbretter zu stapeln. Beim Kärnten Museum, das im 19. Jahrhundert erbaut wurde und hinter dem bereits viel mehr planerisches Konzept stand, war unsere Herangehensweise, das Gebäude quasi umzudrehen und zu schütteln, bis alles Unnötige abfällt, was sich über die Jahrzehnte angesammelt hatte. Dieser Eingriff hat das ursprüngliche System sichtbar gemacht. Das Wien Museum, wo Beton eine tragende, dienende Rolle als Knochenstruktur spielt, der ein Kleid übergezogen wurde, musste an dieser Konstruktion weiterwachsen. Das aus sägerauem, brettergeschaltem Beton entstandene neue Geschoss wächst aus dieser Knochenstruktur heraus und dient, durch das Fugengeschoss wieder im Respektabstand, als Schlussstein des Haerdtl-Baus.

 


Das Wien Museum, 1959 nach Plänen von Oswald Haerdtl fertiggestellt, wurde im Dezember 2023 nach einer Bauphase von mehr als drei Jahren mit einer beinahe verdoppelten Ausstellungsfläche wiedereröffnet. Čertov/Winkler + Ruck hatten den 2015 von der Wien Holding ausgelobten, zweistufigen Architekturwettbewerb gegen 273 Mitbewerber mit dem Konzept eines Schwebegeschosses als „Schlussstein“ über dem denkmalgeschützten Gebäude im Stil der klassischen Moderne gewonnen. © Lisa Rastl

                                                                                                   

Sie legen beim Bauen im Bestand also kein einheitliches Konzept über alles, sondern haben unterschiedliche Herangehensweisen?

Im Umgang mit dem Denkmalschutz versuchen wir, die dem Gebäude eigene Sprache zu sprechen, einen Konnex mit der Vergangenheit und entsprechende Antworten zu finden.

Wie weit darf Ihrer Meinung nach der Eingriff in die historische Bausub­stanz gehen, ohne die Identität des Gebäudes zu zerstören? Wann ist eine Grenze erreicht?

Die Wertigkeit eines Gebäudes besteht nicht nur im Detail, sondern auch in dessen Geschichte, im Übergeordneten. Eine Grenze wäre erreicht, wenn sich grundsätzliche Themen komplett ändern, wenn sich die Frage stellt, was aus der Vergangenheit des Gebäudes überhaupt noch vorhanden ist.

 


Wien Museum, Zentrale Halle © Kollektiv Fischka

 

Architekten müssen sich bei Eingriffen in historische Bauten sehr oft Kritik anhören. Ihr Wettbewerbsgewinn für das Wien Museum wurde von einigen Seiten sehr heftig kritisiert, etwa als „Dachbodenausbau“. Wie geht man damit um?

Um es positiv auszudrücken: Kritik muss man sich auch verdienen. Insofern ist das ein schönes Element. Manchmal geht Kritik aber auch ins Persönliche.

Ihr Büro plant sowohl Neubauten als auch Umbauten historischer Gebäude. Wo liegt die größere Herausforderung für Architekten?

Die Herausforderungen sind nicht viel anders. Ein Gebäude, das schon dasteht, ist gebaute, schon definierte Landschaft. Oft ist das Bauen im Bestand also leichter als das Bauen auf der grünen Wiese.

 


Schatzkammer Gurk: Im Jahr 2012 gewann das Architektenteam Winkler+Ruck den von der Diözese Gurk-Klagenfurt ausgelobten Wettbewerb für die Einrichtung eines Museums in der im 15. Jahrhundert errichteten Propstei.  Die Architekten definierten einen neuen Eingang in den Museumbereich und schlossen den Durchgang zum Hof, wodurch dieser zum Teil des Ausstellungsrundgangs wurde. Beim Umbau der bis zu 800 Jahre alten Gemäuer ließen sich die Architekten von der skulpturalen Steinbauweise inspirieren. © Winkler Ruck Architekten

 

Und wo liegt Ihre Präferenz?

Wir haben mit Umbauten im denkmalgeschützten Bereich sehr gute Erfahrungen gesammelt.

Sie haben bei zwei der drei erwähnten Umbauten mit dem Grazer Architekten Ferdinand Čertov zusammengearbeitet, auf dessen Projektliste sich sonst hauptsächlich Neubauten finden. Wie sind da die Aufgabenverteilungen?

Jeder hat seine Stärken. Čertov entwirft Raumstrategien, er denkt in städtebaulich strukturellen Ordnungen. Sein Zugang ist eher künstlerisch skulptural, er kommt ja von der Bildhauerei. Wir sehen unsere Expertise mehr im Detail und in der poetischen Interpretation der Konstruktion, der Materialität und deshalb mehr in der Umsetzung. Meine Eltern hatten eine Tischlerei, diese handwerklichen Werte habe ich übernommen.

 


Kärnten Museum: Das „Rudolfinum Klagenfurt“ wurde 1883 nach Plänen von Gustav Gugitz im Stil der Neorenaissance errichtet. Im September 2015 beschloss die Kärntner Landesregierung die Generalsanierung. Čertov/Winkler + Ruck gewannen den offenen Wettbewerb gegen 25 Mitbewerber. Die Architekten definierten die Umgebung als durchgehende inselartige und autofreie Parkfläche. Die Umgebung ist Teil des Masterplans Glacis Klagenfurt. Die Umbauarbeiten begannen im März 2020 und wurden im November 2022 abgeschlossen. Im Inneren wurde die ursprüngliche Struktur von 1883 wieder sichtbar gemacht. © Winkler Ruck Architekten

 

Nach welchen Kriterien wählen Sie das Baumaterial für Ihre Projekte aus?

Wir beschäftigen uns gerne mit den grundsätzlichen Dingen, welches Material wofür geeignet ist. Ein Entwurf entsteht aus der Materialwahl, die Räume erwachsen der Konstruk­tion, die dieses Material verlangt und haben dadurch eine grundsätzliche Richtigkeit. Die Materialwahl orientiert sich am Thema und an der Landschaft.

Sie sagen, Sie treten beim Bauen im Bestand in einen Dialog mit dem Gebäude, das Sie umbauen wollen. Gibt es Gebäude, wo ein solcher Dialog nicht möglich ist?

Die gibt es schon. Je jünger ein Gebäude ist, desto spezieller sind die Anliegen der Bauherren an den Umbau. Da kommt die Frage der Nachhaltigkeit ins Spiel, der wir uns stellen müssen. Architektur muss in dem Sinn nachhaltig sein, dass sie nicht nur kurzfristig orientierte Gebäude für den persönlichen Nutzen schafft. Wichtiger als die technische Nachhaltigkeit ist eine nutzungsoffene, hohe Qualität der Räumlichkeit.

www.winkler-ruck.com

 

 

Interview: Roland Kanfer