Jedes Haus ein (wünschenswertes) Experiment

Interview: Andi Breuss widmet sich mit seiner Architektur und Forschung den naturverbundenen Materialien Holz und Lehm. Wie man damit nicht nur neu baut, sondern auch mit Bestehendem arbeiten kann, macht er mit seinen Bauten vor. Mit naturnahen Produkten und Systemen entstehen so eindrucksvolle Referenzprojekte. Was ihm am Markt fehlt entwickelt er selbst, etwa ein Holz-Lehm-Verbundsystem oder Lehmestrich.

Jedes Haus ein  (wünschenswertes)  Experiment

Andi Breuss widmet sich mit seiner Architektur und Forschung den naturverbundenen Materialien Holz und Lehm. Wie man damit nicht nur neu baut, sondern auch mit Bestehendem arbeiten kann, macht er mit seinen Bauten vor. Mit naturnahen Produkten und Systemen entstehen so eindrucksvolle Referenzprojekte. Was ihm am Markt fehlt entwickelt er selbst, etwa ein Holz-Lehm-Verbundsystem oder Lehmestrich. Neben dem Technischen steht auch immer das Soziale im Vordergrund. So lotet er die Lebenssituationen und Bedürfnisse seiner Bauherrn genau aus. So ergeben sich Potenziale und Möglichkeiten, die jedes Haus zu einem größeren oder kleineren Experimentierfeld machen.

 

 

Herr Breuss, wie beschreiben Sie Ihren Beruf jemandem, der nicht vom Fach ist?
Der Architektenberuf ist ein sehr kreativer Beruf, der viel mit Ideen und Gestaltung zu tun hat. Er umfasst nicht nur den Planungsprozess für den Bau eines Hauses, sondern bringt eine große gesellschaftliche Relevanz und Kompetenz mit sich. Dabei geht es um die Umwelt, um Nachhaltigkeit, um Gesellschaft, um alles, was Wohnen und Arbeiten betrifft. Insofern ist eine sehr umfassende Zugangsweise notwendig.

Inwiefern hilft Ihnen ihr vorangegangenes Studium der Psychologie und Soziologie weiter?
Damals habe ich das Studium mit einer wohnpsychologischen Arbeit abgeschlossen. Es ging um eine Untersuchung, wie die an das Wohnen gerichteten Bedürfnisse mit dem tatsächlichen Wohnverhalten übereinstimmen. Da habe ich erkannt, dass tatsächlich sehr wenig Bedürfnisse deklariert und definiert werden. Man hat das Wohnen einfach so genommen, wie es ist. Mein Interesse daran ist größer geworden und ich habe aus dem Theoretischen heraus versucht, gewisse Dinge neu zu definieren. Mit diesem Interesse, ein breiteres Angebot zu schaffen und ein erweitertes Wohnbedürfnis herauszukitzeln, bin ich dann in der Architektur gelandet. Geholfen hat mir vielleicht der Umstand, dass ich eben nicht klassischerweise Architektur studiert habe. Da bekommt man sehr klare Vorgaben und Vorstellungen, was Architektur zu leisten hat. Ich bin da quasi den umgekehrten Weg gegangen und habe mich zuerst mit den sozialen und menschlichen Komponenten auseinandergesetzt.

 


Im niederösterreichischen Mitterretzbach gestaltet Andi Breuss ein altes Lehmhaus zu einem zeitgemäßen Wohnhaus für eine neue Generation um.

 

Wie hat sich Ihr Interesse für naturverbundene Materialien entwickelt?
In der Auseinandersetzung mit menschlichen Bedürfnissen geht es nicht nur um soziologische und gesellschaftliche Aspekte rund um Architektur. Auch individuelle Erfahrungsebenen spielen eine Rolle. Der Mensch hat eine Beziehung zu Material und Oberfläche, Atmosphäre und Licht. Diese beeinflusst ganz stark die Psyche und den seelischen Zustand. Nach einer gewissen Zeit habe ich erkannt, dass es Materialien gibt, die toll ausschauen und ein super Bild abgeben, aber man bekommt Kopfweh von ihnen und sie stinken wie eine Chemiefabrik. Da hat sich dann die Frage gestellt, was ich stattdessen nehmen kann. So bin ich auf naturverbundene Materialien gekommen. Schon vor und neben meinem Holzbau-Studium habe ich mich mit Lehm- und Strohbau beschäftigt.

Wie gehen Sie an ein neues Projekt heran?
Am Anfang steht ein sehr langes Gespräch mit den Bauherrn, das meist zwei oder drei Stunden dauert. Da wird viel über Lebenssituationen und Bedürfnisse gesprochen. Ich lote sehr genau aus, was der Einzelne, das Paar oder die Familie möchte. Jeder Raum wird hinsichtlich seiner funktionellen und kommunikativen Anforderungen durchleuchtet. Daraus ergibt sich für mich ein Bild, auf das ich reagiere. Das kann dann durchaus auch etwas Experimentelles sein.

 

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Welche Bedeutung hat das Experimentelle bei Ihren Projekten?
Ich würde mir wünschen, dass jedes Haus ein Experimentierfeld ist, möchte es den Leuten aber nicht überstülpen. Das kann ein Experiment mit technischen Neuerungen sein, wie das Haus in Mitterretzbach, wo ein altes Lehmhaus in einen zeitgemäßen Wohnbau für eine neue Generation transformiert wurde. Auch betreffend der Grundrissgestaltung, wie Leute zusammenwohnen, versuche ich neue Ansätze zu entwickeln. Das Projekt in Reichhalms war zuerst als Einfamilienhaus gedacht. Nach den ersten Gesprächen mit der Bauherrenschaft hat sich herausgestellt, dass sie damit jedoch gar nicht so glücklich waren und es auch eine Unsicherheit gab, von der Stadt aufs Land zu ziehen. Daraus hat sich dann ein Co-Sharing-Projekt entwickelt, das ebenfalls ein Experiment war. Es wurde nicht eines, sondern drei Häuser gebaut, wo mehrere Personen wohnen und/oder arbeiten können. Dadurch kann man auch soziale Funktionen teilen, und fehlende infrastrukturelle Angebote am Land kompensieren.

Ist das Bewusstsein der ArchitektInnen für gesundes Bauen und Wohnen gestiegen?
In der Architektenschaft wundere ich mich ein bisschen, denn jeder sagt, dass das wahnsinnig wichtig ist. Wenn man das wirklich ernst meint, dann kann man aber nicht einfach Materialien und bautechnische Lösungen, so wie sie schon immer waren, darüberstülpen. Es ist natürlich mehr Aufwand sich die Produkte, die man verwendet, genau anzuschauen. Interessanterweise gibt es da viel mehr Alternativangebote in der Industrie, als man glaubt. Ich schreibe beispielsweise in den Vertrag für den Baumeister immer hinein, dass alle Kanalrohre und Verrohrungen PVC-frei sein müssen. Das sind Schritte, wo der Planer durchaus etwas nachhaltiges tun kann, wenn er das möchte. Die CO2-Emissionen beim Bauen sind sehr hoch. Zement wird immer hauptverantwortlich gemacht, aber natürlich sind das auch alle anderen Materialien, hinter denen die Beton­industrie und chemische Industrie steht. Wir Planer sind mitverantwortlich und können und sollen etwas tun. Natürlich muss die Politik und der Gesetzgeber auch nachziehen, denn das Bauen ist viel zu kompliziert geworden. Ebenso muss der Bauherr bereit sein mitzumachen. Der Planer ist jedenfalls derjenige, der dieses Rädchen anfängt zu drehen.

 


Ein neuer Ansatz des Zusammenlebens im ländlichen Raum ist bei den Wohnbauten im niederösterreichischen Reichenhalms erprobt worden. Als Co-Sharing-Haus teilt es soziale Aufgaben unter den Bewohner:innen auf und versucht fehlende infrastrukturelle Angebote durch die Gemeinschaft zu kompensieren.

 

Wie kann die wichtige Ressource Lehm als Rohstoff und auch in Form von alten Bestandsbauten näher ins Bewusstsein rücken?
Ich versuche mit meinen Projekten Referenzen zu bauen. In Mitterretzbach fungiert der Umbau meines eigenen Hauses als Forschungsbaustelle. Hinten am Grund habe ich eine große Lehmgrube ausgehoben. Die Transformation und Sanierung dieses alten Bauernhofes mache ich ausschließlich aus dem Aushub dieser Grube. Ich schaue, wie weit ich mit diesem Lehm komme, um synthetische Baustoffe zu ersetzen. Die Verwendung als Lehmputz ist klar, aber auch die Sanierung des alten Mauerwerks und Anschlüsse im Holzbau, wie z.B. die Luft- und Winddichtigkeit, Gebäudeabdichtungen und auch ein Stampflehmboden sind möglich. Lehm ist als Grundmaterial zu sehen, das je nach Mischung in unterschiedliche Aggregatzustände gebracht und für verschiedene Funktionen angewendet werden kann. Ich zeige, dass ich das Material direkt aus dem Aushub verwenden, und damit Baustoffe für unterschiedliche Anforderungen herstellen kann. So bin ich in der Lage einen zeitgemäßen Bau herzustellen, der komplett ohne Chemie auskommt. Erklären kann ich diese Möglichkeit zwar oft, aber erst das Herzeigen und Angreifen schafft ein Aha-Erlebnis. Die zweite wichtige Ebene der Bewusstseinsbildung ist die Forschung. Den Aushub betreffend möchten wir gerne ein einfaches Messtool entwickeln, mit dem man die prinzipiell wichtigsten Mischungen des Lehms mit einer Art Werkzeugkasten untersuchen kann. Dafür haben wir aber noch kein Forschungsprojekt bekommen. Wenn man einen Aushub verwenden will, der beim Straßenbau oder Hausbau anfällt, kommt da neben Humus in den allermeisten Fällen auch Lehm vor. Man könnte versuchen den Lehmaushub nicht auf eine Deponie sondern auf den örtlichen Bauhof zu führen. In historischen Zeiten hat die Gemeinde sehr oft den Lehm der Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Man hat ihn gesammelt und wenn ihn jemand benötigt hat, konnte man ihn kostenlos nehmen. Für komplexere Lehmanwendungen muss erst ein Bewusstsein entwickelt werden. Dafür können Prototypen mit einer ansprechenden Architektur dienlich sein.

Welche Instrumente können geschaffen werden, um den Lehmbau weiter zu verbreiten?
Ich selbst habe ja ein paar Dinge entwickelt und ich komme da natürlich nicht weiter, wenn diese neu entwickelten Lösungen nicht geprüft werden. Ich muss nachweisen, dass mein Bausystem zum Beispiel luftdicht ist, und der Schallschutz und Brandschutz den Anforderungen entspricht. Sonst wird niemand ein Haus damit planen und bauen. Für den Lehmbau gibt es aktuell nur wenige Normen. Ob eine Norm für den Lehmbau das richtige ist bezweifle ich, denn auf eine Norm wird dann wieder eine andere Norm daraufgesetzt. Dann wird das Ganze immer komplizierter, was beim Lehm nicht passieren sollte. Eher muss viel mehr Geld in Prüfungen von Lehmanwendungen investiert werden. Das Netzwerk Lehm engagiert sich da auch besonders und versucht Forschungsprojekte aufzutreiben. Ziel ist, Details mit geprüften Aufbauten in einer Datenbank — ähnlich der von Dataholz — zur Verfügung zu stellen. Das würde den interessierten Planer bei der Anwendung von Lehmbau­stoffen unterstützen und motivieren. Ich kann von keinem Planer erwarten, sich selbst einer jahrelangen Forschung zu widmen. Mit besseren Unterlagen hätte der Planer mehr Sicherheit und kann auch besser vor dem Bauherrn argumentieren.

 

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Passt das Angebot an Produkten und ausführenden Firmen für Naturmaterialien mit der Nachfrage danach zusammen?
Immer mehr Firmen beschäftigen sich seriös mit dem Thema Nachhaltigkeit und neuen bautechnischen Ideen. Auch einige Baumeister sind dafür mittlerweile sehr offen. Sie treffen auf eine interessierte Kundschaft. Da hat sich in den letzten Jahren etwas bewegt, auch speziell am Land. Das Interesse ist da, aber das Know-how und das Wissen fehlen oft. In der Baumeisterausbildung könnte es zum Beispiel verstärkt Zusatzangebote für natürliches Bauen mit Holz und Lehm geben. Auch Praxisseminare helfen, die Angst vor dem Arbeiten mit Lehm zu nehmen. Bei den Bauprodukten sind meine Erfahrungen auch eher positiv. Ich finde fast immer das, was ich haben will und bekomme jetzt auch schon häufig die Kennwerte dazu. Mittlerweile wurde verstanden, dass Untersuchungen und die Angabe von technischen Eigenschaften notwendig sind, um neue Produkte zu verkaufen.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Firmen aus, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Zuerst schaue ich, welche Firmen es in der Umgebung gibt. Das ist praktisch, denn sie kennen den Boden, die Gepflogenheiten vor Ort und auch die Behörden. Beim Holzbau heißt es immer, dass Vorarlberg das beste Holzbauland ist. Man kann aber auch in Niederösterreich und im Burgenland ausgezeichnete Holzbauer finden, die sehr kompetent sind, zusätzliche Ausbildungen gemacht haben, viel Wissen mitbringen und sich auch mit Naturbaustoffen beschäftigen. Sie verstehen meine Ansprüche und es entstehen immer interessante Diskussionen, weil sie ja aus der Praxis kommen und viele Anwendungsbeispiele und Fehler kennen, aus denen zu lernen ist.

Wo wünschen Sie sich, dass der Lehmbau in zehn Jahren steht?
Ich wünsche mir, dass die Möglichkeiten, die der Lehmbau bietet, auch tatsächlich irgendwann zum Durchbruch kommen. Bei den CO2-Emissionen würde das wahnsinnig helfen und auch die Wohnqualität würde das enorm verbessern. Zudem wünsche ich mir, dass die meisten Anwendungen innerhalb eines Bauprozesses mit Lehm und Holz ausgeführt werden und das Bauen im Sinne der Kreislaufwirtschaft selbstverständlich ist.

 

www.andibreuss.at
www.netzwerklehm.at

 

 

Fotos: Romana Fürnkranz