Kompromisslos ehrlich
Das Stadtarchiv in Felanitx auf Mallorca bezaubert durch die Absolutheit seiner Materialität und Oberflächen. Aulets Arquitectes ist es gelungen, die historische Geschichte des Ortes und der Bautradition in eine glasklare Architektursprache zu übersetzen. Der Beitrag Kompromisslos ehrlich erschien zuerst auf architektur-online.
Das Stadtarchiv in Felanitx auf Mallorca bezaubert durch die Absolutheit seiner Materialität und Oberflächen. Aulets Arquitectes ist es gelungen, die historische Geschichte des Ortes und der Bautradition in eine glasklare Architektursprache zu übersetzen. Dabei lebt das Projekt von der Präzision in der Ausführung und den kleinen, reizvollen Details, die sich erst beim genaueren Betrachten erschließen.
„Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.“ Vielleicht haben die Designer von Aulets Arquitectes bei der Gestaltung der Stadtarchive in Felanitx an die Worte von Antoine de Saint-Exupéry gedacht. Aus materieller Sicht jedenfalls kann man kaum ehrlicher bauen. Alles an diesem Bauwerk ist roh, unbehandelt und unverhüllt. Und dennoch wirken die Räumlichkeiten im Gesamten weder unfertig noch kalt oder ungemütlich. Eher zart und skulptural. Völlig entblättert, selbstbewusst und stark.
So präsent sich das Gebäude in seiner Materialität von innen zeigt, so zurückhaltend fügt sich das neue Volumen in das bestehende Ensemble des historischen Zentrums von Felanitx. Die ländliche Gemeinde befindet sich in der Region Pla & Llevant im Südosten von Mallorca und liegt etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt Palma entfernt. Das bauliche Erbe der Altstadt zeigt sich in seinen vielen überlappenden Grundstücken, Terrassen, Patios und Mauern. Als Teil der materiellen Geschichte des Gebäudes und der Stadt wurde diese Systematik auf dem Grundstück erhalten. Dies spiegelt sich auch in dem Konglomerat an Konstruktionssystemen und Materialien wider, das die gesamte Baugeschichte Mallorcas auf diesen einen Fleck zu konzentrieren scheint.
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Die bestehende Architektursprache ist dabei eher anonym und bescheiden. Die Stadtarchive fügen sich in ihrer Konvergenz folglich als “ein Haus wie jedes andere” in die Bestandsbauten ein. Nur die Eingangstüre und ein Fenster öffnen sich zur Straße hin und wäre da nicht das Oberlichtband zwischen Wand und Dach, so ließe nichts an der Fassade auf die Nutzung der dahinter liegenden Räumlichkeiten als ein Archiv schließen. Eine Besonderheit weist die Front im Gegensatz zu ihren Nachbargebäuden allerdings doch auf. Natürlich liegt der Unterschied hier – wie auch im Innenraum – in der feinen Nuancierung der Oberflächen: Der raue, helle Putz kontrastiert auf überraschende Weise mit dem rohen Ziegelmaterial der Leibungen von Fenster, Oberlicht und Tür, sodass diese im Sonnenlicht orangerot von innen heraus zu leuchten scheinen.
Das Innere des Gebäudes besteht aus zwei großen, offenen Räumen. Einem im Erdgeschoss und einem im Obergeschoss. Die Wände und Stützpfeiler im Parterre sind in rohem, unverputztem Ziegel ausgeführt, der allerdings akkurat auf Linie gemauert wurde. Dadurch ergibt sich ein besonders haptischer Raumeindruck. Durch das Farbspiel der unterschiedlichen Rotnuancen der Ziegel entsteht zudem ein vollflächiges Wandbild, das jegliche weitere räumliche Gestaltung überflüssig macht. Das überspannende Beton-Gewölbe scheint über dem Mauerwerk zu schweben und sich in seiner hellgrauen, zurückhaltenden Farbschattierung beinahe aufzulösen. Die im Beton sichtbare Maserung der Schalungsbretter aus Holz verleiht dem eigentlich harten Material eine organische Nuance. Besonderes Detail sind die schlichten, kugelförmigen Glasleuchten in schwarzen Keramikfassungen, die an schwarzen Kabeln scheinbar wahllos positioniert direkt aus der Betondecke baumeln. Lichtschalter und Steckdosen wurden einfach auf die nackten Wände aufgesetzt.
Tür- und Fensterrahmen sowie einige Einbaumöbel sind in einem hellen, astigen Holz ausgeführt, das einen wunderbar warmen Kontrast zu den sonst eher harten Oberflächen bildet. Eine schlichte Ortbetontreppe führt in das Obergeschoss. Auch hier liegt das Besondere in der Exaktheit der Ausführung: Das Schalungsmuster befindet sich akkurat auf Linie. Linkerhand die rote Ziegelwand mit ihren stehenden Fugen, rechterhand eine mit Kalkputz versehene, helle Wand und ein Handlauf aus rohem, dunklem Eisen. Dieses Element findet sich im Obergeschoss als Brüstungsgeländer zum Treppenloch als besonderes Detail wieder.
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Die jeweils gegenüberliegenden Außenwände im Obergeschoss sind in hellem Kalkputz und rotem Mauerwerk ausgeführt, was einen schönen Kontrast bildet und dem Raum Richtung und Struktur verleiht. Durch die zum Hof und zur Straßenseite hin orientierten Oberlichtbänder dringt Tageslicht ins Innere. Gleichzeitig wirkt die darüber spannende Holzdecke auf diese Weise ebenso wie im Erdgeschoss schwebend und leicht. Die Konstruktion ist wie das Material sichtbar und dadurch für den Betrachter ablesbar. Zur Beleuchtung wurden simple Glühbirnen in weißen Keramikfassungen an sichtbaren weißen Kabeln unter den Holzträgern angebracht. Und auch in diesem Fall wirkt das nicht improvisiert, sondern geradezu inszeniert und kaum anders denkbar. Das schwache Licht setzt die alten Dokumente in Szene, ohne diese zu beschädigen.
Der Gewölberaum ist ohnehin etwas schattiger und dient somit dem Schutz der alten Bücher. Hier befindet sich auch ein Besprechungsraum, dessen Wände mit Dokumenten geschmückt sind, welche die Geschichte von Felanitx erzählen. Das Stadtarchiv besteht somit zum einen aus einer Reihe bereits existierender konstruktiver Systeme, zum anderen aus einer Ansammlung an Dokumenten, die in ihrer Symbiose die materielle, konstruktive und gelebte Geschichte des Ortes widerspiegeln, an dem sie sich befinden.
Besonders unscheinbar und dadurch umso reizvoller ist auch der rückseitig situierte Innenhof, der von grobem Bestandsmauerwerk eingefasst ist. Der Boden ist flächig betoniert, nur ein spitzes Dreieck wurde ausgespart, in dessen Erde ein kleiner Baum seine zarten Wurzeln schlagen und sich hoffentlich in einigen Jahren zum prachtvollen Schattenspender entwickeln darf.
Das herausragende Element der Stadtarchive liegt eindeutig in dessen absoluter Materialität, die sich in Form von Beton, Keramik, Holz, Eisen und Kalk manifestiert. Diese fünf Materialgewerke wurden von fünf verschiedenen Handwerkern realisiert, die durch ihre detaillierte Arbeit ihr Können und damit die Sinnlichkeit der einzelnen Materialien im Gebäude zum Ausdruck bringen. Vielleicht liegt genau darin diese packende Ehrlichkeit des Bauwerks. Der kompromisslos puristische Entwurf der Architekten lebt letztendlich von der Exaktheit der Ausführung durch die einzelnen Handwerker. Auf diese Weise wird das Material lebendig, so als würde es die Seele des Ortes, der Geschichte und der Menschen in sich tragen.
Und tatsächlich: Man möchte diesem Bauwerk nicht das kleinste Bisschen hinzufügen, nicht das geringste Stückchen nehmen, es scheint vollkommen.
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Municipal Archive Felanitx
Mallorca, Spanien
Bauherr: Ajuntament de Felanitx
Planung: Aulets Arquitectes
Mitarbeiter: Francisco Cifuentes, Sebastian Martorell, Tomeu Riutort
Statik: Alfons Romero
Bebaute Fläche: 230 m2
Planungsbeginn: 12/2013
Bauzeit: 9 Monate
Fertigstellung: 01/2018
Baukosten: 250.000 €
Text: Linda Pezzei
Fotos: José Hevia
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