Kühlmantel für die Kunst
Steven Holl Architects erweiterten das Museumsviertel in Houston um einen neuen Kulturbau. Direkt neben dem Museum of Fine Arts entstand mit dem Nancy and Rich Kinder Building der neueste Zuwachs des Areals. Anders als seine geschlossen gestalteten Nachbarn aus Stahl und Stein beweist der imposante Bau, dass Museum auch anders geht: mit Glas, einer intelligenten, kühlenden Fassade und reichlich Tageslicht.
Steven Holl Architects erweiterten das Museumsviertel in Houston um einen neuen Kulturbau. Direkt neben dem Museum of Fine Arts entstand mit dem Nancy and Rich Kinder Building der neueste Zuwachs des Areals. Anders als seine geschlossen gestalteten Nachbarn aus Stahl und Stein beweist der imposante Bau, dass Museum auch anders geht: mit Glas, einer intelligenten, kühlenden Fassade und reichlich Tageslicht.
Der Museumscampus in der texanischen Metropole setzt sich mit Projekten von Mies van der Rohe und Rafael Moneo aus zahlreichen ikonischen Bauwerken zusammen. Auch für Steven Holl und sein Team war das Kinder Building nach der Glassell School of Art auf dem Nachbargrundstück bereits das zweite Gebäude, das sie für das Museum of Fine Arts in Houston umsetzten. Während die Architekturkollegen van der Rohe und Moneo mit ihren Entwürfen eher darauf achteten, störendes Licht auszusperren, bezog Steven Holl dieses gezielt in das Design mit ein. So entstand ein neues Galeriegebäude voller Tageslicht, das einen Kontrast zu den anderen Bauten bildet.
[See image gallery at www.architektur-online.com]
Seinen Namen verdankt das Kinder Building dem milliardenschweren Geschäftsmann Richard Kinder, der einen Großteil des Projektes finanzierte. Bei der Tragstruktur des Museumsbaus setzte man auf eine Stahlbetonkonstruktion. Die Kubatur des Museums erscheint trotz ihrer Größe und Materialität nicht monumental. Dafür sorgen mehrere Vor- und Rücksprünge, die die Form des Baukörpers auflockern. Sie spannen geschützte Patios auf und markieren die Zugänge zum Kinder Building. Dieser dynamische Effekt wird von einem baldachinartigen Dach weiter verstärkt. Es besteht aus unterschiedlich konkav gekrümmten Flächen, die sich wie sanfte Wolken leicht aneinanderlegen. Zwischen ihnen entstehen sorgfältig positionierte Oberlichter. Sie sorgen für ein angenehmes, natürliches Licht im Inneren des Kulturbaus, ohne dabei die Kunstwerke zu beeinträchtigen.
Die Planer entwickelten im Laufe des Entwurfsprozesses eine zweite Gebäudehülle, die sich vor sämtliche Betonfassaden legt. Sie sollte den Solareintrag auf das Kinder Building reduzieren. In Kooperation mit verschiedenen Experten und den Klimaingenieuren von Transsolar wurde diese Idee für den „kühlenden Mantel“, wie ihn die Architekten selbst bezeichnen, schließlich in die Tat umgesetzt. Das Ergebnis ist eine Glashaut aus riesigen, halbzylinderförmigen Elementen. Auf einer Stahlunterkonstruktion befestigt, fügen sich diese in vertikaler Richtung aneinander.
Jede der Röhren hat einen Durchmesser von 76 Zentimetern und besteht aus mattiertem Glas mit einer alabasterartigen, nahezu weichen Textur. Die Beleuchtung der Expositionsräume im Inneren dringt lediglich bei Dunkelheit diffus durch die transluzente Glasoberfläche nach draußen und offenbart die Positionen der Fenster und Öffnungen in den Betonwänden. Dank des grau-opaken Glases erhält das Gebäude aber nicht nur einheitliche Ansichten, sondern außerdem ein natürliches System zur Ventilation bzw. Temperierung. Die intelligente Fassade wirkt wie eine kühlende Pufferschicht, die die Strahlen der heißen texanischen Sonne abfängt und deren Kraft um 70% abschwächt. Zwischen der äußeren Gebäudehülle und den tragenden Betonwänden bleibt ein fast ein Meter tiefer Hohlraum. Die gebogenen Glasröhren sind an ihrer Ober- und Unterseite jeweils offen und leiten die warme, aufsteigende Luft wie ein natürlicher Kamin nach oben hin ab. Damit gelingt es, die Kühllast des Museumsbaus um 35% zu senken.
[See image gallery at www.architektur-online.com]
Der genaue Aufbau der Glashaut wurde nicht nur hinsichtlich der Luftströme, sondern auch des Tageslichteinfalls und seiner Ästhetik optimiert. Anschließend erfolgte die Anordnung der Ausstellungsräume entsprechend ihrer Anforderungen und der Eigenschaften der Fassade. Klimatische Schwankungen im Inneren gleicht ein Lüftungssystem aus. Dieses hält die – für die Artefakte schädliche – Luftfeuchtigkeit selbst bei hohen Besucherzahlen auf einem Minimum. Die Luftmenge variiert je nach Tageszeit und Nutzung. Damit kann der Energieverbrauch gesenkt werden. Gleichzeitig erzielt man bessere Ergebnisse als bei vergleichbarer Technik mit konstantem Betrieb.
Beim Betreten des Museums gelangen Besucher in das zentrale Foyer. Dieses erstreckt sich über alle drei Ebenen und bildet das Herzstück des Gebäudes. Rundherum verteilen sich in den beiden Obergeschossen die unterschiedlichen Galerien. Sie ordnen sich entlang der Außenfassaden an und werden alle in natürliches Licht getaucht. Dieses fällt an manchen Stellen indirekt durch die Oberlichter oder gelangt über die Verglasungen entlang der Patios ins Innere. Letztere bieten zudem Ausblick auf die Gartenflächen, die den Bau umgeben. In Kombination mit den fließenden Untersichten der Dachflächen entsteht so ein heller, dezenter Hintergrund für die Ausstellungsstücke. Die einzelnen Bereiche gehen fließend ineinander über und scheinen Gäste, gemeinsam mit dem variierenden Tageslicht, sanft durch das Gebäude zu leiten. Expositionsflächen unterschiedlicher Größe bieten reichlich Platz für wechselnde Installationen. Ein Theater, Konferenzräume und ein Restaurant komplettieren das Raumprogramm.
[See image gallery at www.architektur-online.com]
Während das Kinder Building mit seiner auffälligen Gestalt auf den ersten Blick an eine Mischung aus MoMA und Guggenheim Musuem erinnert, offenbart es beim genaueren Hinsehen seine ganze Raffinesse. Steven Holl Architects schufen mit dem Kulturbau ein Projekt, das zeigt, dass Fassaden weit mehr als nur ein gestalterisches Element sind. Mit innovativen Ansätzen und gezielter energetischer Planung verleihen sie Gebäuden nicht nur ein charakteristisches Aussehen, sondern wirken sich auch positiv auf das gesamte Raumklima aus. Die natürlich beleuchteten Galerieräume runden das Projekt stimmig ab – ganz ohne die Exponate zu gefährden – und machen Lust auf Kunst, Kultur und Architektur.
[See image gallery at www.architektur-online.com]
Kinder Building
Houston, USA
Bauherr: Museum of Fine Arts
Planung: Steven Holl Architects
Projektleitung: Steven Holl, Chris McVoy, Olaf Schmidt, Filipe Taboada
Projektteam: Rychiee Espinosa, Yiqing Zhao, Lourenzo Amaro de Oliveira, Garrick Ambrose, Xi Chen, Carolina Cohen Freue, JangSeo Lee, Vahe Markosian, Elise Riley, Christopher Rotman, Yun Shi, Alfonso Simelio, Dimitra Tsachrelia, Yasmin Vobis
Partnerarchitekten: Kendall/Heaton Associates
Statik: Guy Nordenson & Associates Cardno
TGA: ICOR Associates
Klimaingenieure: Transsolar
Fassadenplanung: Knippers Helbig
Lichtplanung: L’Observatoire International
Nutzfläche: 22.000 m2
Planungsbeginn: 2012
Bauzeit: 2017-2020
Fertigstellung: 2020
Text: Edina Obermoser
Fotos: Richard Barnes, Peter Molick