Kultur vor den Vorhang
Mit dem Théâtre Legendre modernisierte das Büro Opus 5 das historische Theater in Évreux, westlich von Paris. Die französischen Architekten sanierten den historischen Jugendstilbau und ergänzten ihn um einen neuen Trakt. Ein zentrales Foyer wird zum konstruktiven Bindeglied des revitalisierten Kulturbaus: Es eint Alt und Neu, empfängt Besucher mit einem fast surrealen Raumerlebnis und macht neugierig auf jede Menge Kultur.
Mit dem Théâtre Legendre modernisierte das Büro Opus 5 das historische Theater in Évreux, westlich von Paris. Die französischen Architekten sanierten den historischen Jugendstilbau und ergänzten ihn um einen neuen Trakt. Ein zentrales Foyer wird zum konstruktiven Bindeglied des revitalisierten Kulturbaus: Es eint Alt und Neu, empfängt Besucher mit einem fast surrealen Raumerlebnis und macht neugierig auf jede Menge Kultur.
Vor der Renovierung war vom einstigen prachtvollen Glanz des Theaters der Stadt Évreux in der Normandie wenig übriggeblieben. Das geschichtsträchtige Bauwerk im Beaux-Art-Stil wurde 1903 von Léon Legendre entworfen und gehört seit 2002 zur Liste der Kulturgüter Frankreichs. Leider bereiteten nicht nur das Mauerwerk selbst, sondern auch das Innendekor den Besitzern zusehends Kopfzerbrechen. 2006 musste das Gebäude aufgrund von Sicherheitsproblemen geschlossen werden und konnte kein Publikum mehr empfangen. Seitdem verfiel es immer mehr und vor allem die Südfassade befand sich in einem desolaten Zustand.
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Im Zuge einer Sanierung beschloss man, das Theater konstruktiv und technologisch auf den neuesten Stand zu bringen und zu erweitern. Um modernen Standards gerecht zu werden und die notwendige Technik unterzubringen, benötigte man mehr Raum. Opus 5 Architectes vereinten die behutsame Restaurierung der Originalansichten des einst prächtigen Hauses mit einem Anbau und konnten mit ihrem vielseitigen Entwurf die Wettbewerbsjury überzeugen.
Das Hauptaugenmerk lag auf der bestmöglichen Erhaltung der historischen Substanz des Theaters. Sämtliche Stein- und Ziegelansichten des Gebäudes wurden aufwendig wiederhergestellt. An der Ostfassade vergrößert ein neues Volumen im Bereich der Bühne den Theatersaal. Von außen sieht es so aus, als wäre der Körper in den Bestand hineingeschoben worden. Innen bietet er ausreichend Platz für modernes technisches Equipment. Ein schmaler Neubau mit rechteckigem Grundriss fungiert als zusätzliche Erweiterung. Er dockt in südlicher Richtung über einen luftigen Glaskörper an die einst fast vollständig verfallene Fassade an. Seine nach außen orientierten Wände sind in eine glatte, beige Betonhülle gekleidet. Sie wirkt wie ein fließender, schwerer Vorhang, der die Nutzung im Inneren nach draußen repräsentiert. An der rückwärtigen Seite legt sich die sandfarbene Hülle auch vor das neue Volumen im Bühnenraum. Auf diese Weise fasst sie die beiden Gebäudetrakte zu einer optischen Einheit zusammen.
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Zum Herzstück des Projekts wird das verglaste Volumen zwischen Bestand und Anbau. Fast erscheint es so, als hätte es die beiden Baukörper auseinandergeschoben. Es dient als zentrales Foyer und erschließt die einzelnen Etagen des neuen Trakts. Die Ansicht des Neubaus ist zum Zwischenraum hin komplett verspiegelt. Wie ein überdimensionaler Spiegel reflektieren die Metallplatten die Rot- und Beigetöne der Bestandsfassade. Die unterschiedlichen Materialien sowie Licht und Schatten überlagern sich je nach Blickwinkel und Tageszeit immer wieder neu. Sie sorgen dafür, dass Realität und Fiktion in dem Glaskörper fließend ineinander überzugehen scheinen. Die einzelnen Komponenten erzeugen einen surrealen Effekt, der die Besucher auf die Vorstellungen im Theater vorbereitet.
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Große Durchbrüche in der Ansicht des Hauptgebäudes öffnen das Theater zu dem verglasten Erschließungsraum hin. Mitten im Foyer befinden sich drei übereinanderliegende Brücken. Sie verbinden die einzelnen Geschosse des Anbaus mit dem Bestandsgebäude. Seitlich, lediglich mit zarten Maschendrahtgittern gesichert und mit einem Bodenbelag in freundlichem Gelb versehen, unterstützen die Stege den luftigen Charakter des Entrees. Eine Kunstinstallation rundet den lichtdurchfluteten Eingangsbereich stimmig ab. Sie erweckt mit dreieckigen Elementen den Eindruck, als würde sie im Raum schweben.
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Die historischen Innenräume des Theatergebäudes wurden so gut wie möglich erhalten. Sämtliche Funktionen und die Zugänge zu den einzelnen Logen ordnen sich hier rund um den mittig positionierten Bühnenraum an. Während die Wand- und Deckengestaltung des Empfangs restauriert werden konnten, musste man das heruntergekommene Dekor in den restlichen Räumen austauschen und ersetzen. Vereinzelte charakteristische Elemente wie Handläufe ergänzten die Planer mit Oberflächen in schlichtem Dunkelgrau und Gelb. Der große, repräsentative Vorstellungssaal erstrahlt wieder in voller Pracht und lädt Besucher mit seiner kräftigen Farbpalette in royalem Rot, Gold und Blau zu unvergesslichen Darbietungen ein. Im neuen Trakt sind die versorgenden bzw. administrativen Bereiche des Theaters untergebracht. Sie umfassen neben Umkleiden und Greenrooms, Probe- und Büroräume. Die Keller beider Trakte werden als Kostümfundus und Requisitenlager genutzt und komplettieren das Raumprogramm des Kulturbaus.
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Dem Team von Opus 5 Architectes gelang es, dem ikonischen Bauwerk achtsam neues Leben einzuhauchen und es an die heutige Zeit anzupassen. Mit dem Bestand konnten sie ein Stück kulturelles Erbe der französischen Stadt erhalten und dieses respektvoll an die heutige Zeit anpassen. Die unterschiedlichen Räume und der Wechsel zwischen Transparenz und Geschlossenheit machen das neue Ensemble selbst zur Inszenierung und stellen den perfekten Rahmen für Theater und mehr dar. Nach jahrelangem Stillstand wird das Théâtre Legendre wieder zum besonderen Anlaufpunkt in Évreux. Trotz des geschlossenen Vorhangs, der sich von außen vor den neuen Trakt legt, heißt es im Inneren des Kulturbaus zukünftig wieder „Vorhang auf und Bühne frei!“.
„Unser Büro arbeitet am Erhalt historischer Architektur. Wir wollen ihr neues Leben einhauchen. Um das zu erreichen, denken wir „Architektur“ fernab eigennütziger Konflikte zwischen „Alt und Modern“. Mit unseren Projekten ergänzen wir geschützte Gebäude um aktuelle Programme und hauchen ihnen so neues Leben ein. Wir erforschen gezielt den Ausdruck öffentlicher Gebäude unter visuellen Gesichtspunkten, um sie für ihre Nutzer zu besonderen Orten zu machen, die zugleich einladend und attraktiv sind.“
Opus 5 Architectes
Théâtre Legendre
Évreux, Frankreich
Bauherr: Stadt Évreux
Planung: Opus 5 Architectes
Projektmanager: Pierre Tisserand
Statik: Batiserf
Akustik: Impedance
Bebaute Fläche: 2.500 m2
Planungsbeginn: 2016
Bauzeit: 01/2016 – 09/2019
Fertigstellung: 2019
Kosten: ca. 8 Mio.€
Text: Edina Obermoser
Fotos: Luc Boegly