Rationale Monumentalität

Mit dem Umbau des Getreidesilos auf dem Areal der „Automatischen Mühlen“ in Pardubice ist dem tschechischen Architekturbüro Prokš Přikryl architekti die Umnutzung eines hundert Jahre alten Industriegebäudes zu kulturellen und sozialen Zwecken auf beeindruckende und zeitgemäße Weise gelungen.

Rationale Monumentalität

Mit dem Umbau des Getreidesilos auf dem Areal der „Automatischen Mühlen“ in Pardubice ist dem tschechischen Architekturbüro Prokš Přikryl architekti die Umnutzung eines hundert Jahre alten Industriegebäudes zu kulturellen und sozialen Zwecken auf beeindruckende und zeitgemäße Weise gelungen.

 

 

An der Stelle des Komplexes rund um die „Automatischen Mühlen“ und günstig am Fluss Chrudimka gelegen befand sich bereits 1586 ein erstes Mühlengebäude. 1910 stellte der bekannte tschechische Architekt Josef Gočár sein modernes Mühlenbauwerk – das seit 2014 gemeinsam mit dem Getreidesilo als nationales technisches Denkmal eingetragen ist – in Anlehnung an das babylonische Ischtar-Tor für die damaligen Besitzer Gebrüder Winternitz fertig. Der Komplex zählt bis heute zu den zehn größten Anlagen seiner Art in der Tschechischen Republik.

 

 

Als herausragendes Beispiel für eine Partnerschaft zwischen dem öffentlichen, privaten und gemeinnützigen Sektor wird die 2013 stillgelegte Industriebrache seit 2016 einer umfassenden Renovierung und Wiederbelebung unterzogen. Im Zuge der Umgestaltung des gesamten Komplexes und der angrenzenden öffentlichen Räume soll ein belebtes Stadtviertel entstehen, das für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Im ersten Schritt wurden die Arbeiten an vier Gebäuden, dem Park vor dem Hauptgebäude der Mühle und an einem neuen innenliegenden Platz abgeschlossen. Der Bau von drei neuen Wohn- und Geschäftshäusern, entworfen vom Atelier Zette, ist bereits im Gange und soll voraussichtlich 2026 fertiggestellt werden.

 

 

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Ein spannendes Miteinander

Nicht nur mehrere Bauwerke, sondern auch verschiedene Institutionen – die regionale Gočár-Galerie, die städtische Galerie „Gampa“, die zentralen Werkstätten für Schulen „Sphere“, das Infozentrum und das Silo – bilden gemeinsam das Areal der „Automatischen Mühlen“. Einendes Element ist ein Ziegelteppich, der sich zwischen den Gebäuden aufspannt – dennoch darf und soll sich das Quartier vielseitig zeigen. So durften die zuständigen Architekten Zdeněk Balík, Jan Šépka, Petr Všetečka und Prokš Přikryl architekti unter der Schirmherrschaft des Investors und Initiators Lukáš Smetana ihr jeweiliges Baufeld bewusst eigenständig gestalten.

 

 

Das einst industriell und funktional geprägte ehemalige Silo dient heute sozialen und kulturellen Zwecken. In der oberen Etage befindet sich eine Mehrzweckhalle, in der Theateraufführungen, Vorträge, Konzerte und gesellschaftliche Veranstaltungen stattfinden können. Die Dachterrasse mit Bar in Form eines markanten Kubus aus Sichtbeton setzt einen kleinen Akzent, eröffnet den Blick über die Dächer der Stadt und dient als Ort des geselligen Austausches. Auch die Getreidespeicher wurden für Ausstellungen zugänglich gemacht, während das Erdgeschoss des Silos nun einen überdachten öffentlichen Raum bildet. Die Toiletten im Untergeschoss können öffentlichen genutzt werden.

 

 

Architektonisches Bollwerk

Inspiriert von dem monumentalen Ischtar-Tor, dem Nordtor Babyloniens, konzipierte Gočár die Mühlen mehr als Festung denn als reines Industriegebäude. Drei Grundelemente – die Mühlentechnik, ein Skelettrahmen und die Außenhülle – sorgten dafür, dass das Getreidesilo schon mit seiner Fertigstellung optisch schwer zu greifen war. Prokš Přikryl architekti entschieden sich im Laufe der Konzeptionsphase dafür, das Erdgeschoss auf beiden Seiten zu aktivieren und einen frei zugänglichen öffentlichen Raum unter den Silos zu schaffen: “Die Idee, das Gebäude zum Platz hin zu öffnen, ging Hand in Hand mit der nach mehr als einem Jahrhundert allgemeinen Öffnung des Geländes in Richtung Innenstadt. Die freiliegenden Getreidesilos verleihen dem Innenraum zudem eine besondere Atmosphäre.”

 

 

Insgesamt hielten sich die Architekten mit größeren Eingriffen am Bestand aber entschieden zurück. Wie anno dazumal sorgt auch heute ein einziger Kommunikationskern für die Erschließung des gesamten Gebäudes. Allein in den ehemaligen Maschinenraum im 5. Geschoss fügten die Planer eine Halle ein, die dem Raum eine privilegierte Position über dem gesamten Areal einräumt. Ebenso wie die Halle ist auch die Dachterrasse barrierefrei zugänglich.

 

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Elegant und zurückhaltend

Die frühere Nutzung des Silos brachte auch im Zuge der Umnutzung eine starke Konzentration auf die Vertikale mit sich. Die Architekten entschieden sich daher für den Einsatz von Glas-Beton-Bodenplatten im Erdgeschoss und in der Halle, um dem Tageslicht einen Weg durch alle Etagen bis zum Untergeschoss zu ebnen. Der zwischen massiven Säulen ausgehobene Bereich weckt in seiner Nutzung als Technikebene Anklänge an eine surreale Unterwelt. Insgesamt übten die Planer bei den Adaptionen im Inneren aber klare Zurückhaltung: Farbakzente und Mauerwerk beschränken sich auf die Fassaden, die Materialpalette im Innenraum folgt schlicht dem Prinzip, dass das Neue nicht im Kontrast zum Alten stehen sollte: “Alle originalen Oberflächen blieben erhalten, auch die Patina oder die diversen Bohrlöcher und Narben, die die abgerissenen Zwischenwände hinterlassen haben.”

 

 

Aus technischer Sicht kann das Gebäude teilweise mit einer Erdwärmepumpe beheizt werden. Aufgrund der denkmalgeschützten Fassaden sind die oberirdisch beheizten Räume von innen gedämmt. Die Lüftungsanlage ist dezentralisiert und mit einer Wärmerückgewinnung ausgestattet. Abgesehen von all den Daten und Fakten weist das Gebäude nach wie vor eine unglaubliche Strahl- und auch Anziehungskraft auf seine Betrachter aus: Wer das bezinnte Backsteingebäude aus der Ferne erspäht, möchte unweigerlich näher kommen, wird nahezu magisch durch das aus- wie einladende Tor in den Innenhof gezogen, um mit dem Kopf im Nacken staunend nach oben zu blicken. Im Inneren gibt es dann – sei es die Architektur oder die Bespielung – auf allen Ebenen neue Akzente und Perspektiven zu entdecken.

 

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Automatische Mühlen Getreidesiloumbau
Pardubice, Tschechien

Bauherr: Stiftung Automatische Mühlen / Lukáš Smetana, Mariana Smetanová
Planung: Prokš Přikryl architekti
Team: Martin Prokš, Marek Přikryl, cooperation: Jan Kolář
Tragwerksplanung: MDS Projekt: Betonbau, STA-CON: Stahlbau

Grundstücksfläche: 1.848 m2
Bebaute Fläche: 357 m2
Nutzfläche: 1.131 m2
Planungsbeginn: 2018
Bauzeit: 2 Jahre
Fertigstellung: 2023
Baukosten: ca. 3.4 Mio. Euro

www.proksprikryl.cz

 

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Petr Polák