Respektvolle Annäherung

Mit viel Feingefühl haben die Architekten von atelier-r den Palas im zweitgrößten Burgkomplex Tschechiens renoviert. Die Ruine aus dem 14. Jahrhundert wurde nicht nur technisch instandgesetzt, sondern auch um einige ästhetisch ansprechende Einbauten wie Wege, Treppen und Dächer ergänzt, sodass ein Besuch heute historisch wie architektonisch zum Erlebnis wird. Der Beitrag Respektvolle Annäherung erschien zuerst auf architektur-online.

Respektvolle Annäherung

Mit viel Feingefühl haben die Architekten von atelier-r den Palas im zweitgrößten Burgkomplex Tschechiens renoviert. Die Ruine aus dem 14. Jahrhundert wurde nicht nur technisch instandgesetzt, sondern auch um einige ästhetisch ansprechende Einbauten wie Wege, Treppen und Dächer ergänzt, sodass ein Besuch heute historisch wie architektonisch zum Erlebnis wird.

 

atelier-r - Burg Helfštýn

 

Mit rund 2.000 bis heute erhaltenen Burgen und Schlössern bietet sich Tschechien als Reiseziel für an historischen Gemäuern Interessierte geradezu an. Dabei lohnt nicht nur die bekannte Prager Burg einen Besuch – auch die teilrekonstruierte Ruine der in Mähren gelegenen Burg Helfštýn (zu deutsch Helfenstein oder Helfstein) muss – oder kann – sich als eine der größten Festungsanlagen Europas und zweitgrößter Burgkomplex des Landes nicht verstecken. Ende des 13. Jahrhunderts angelegt, lädt das nahe der Ortschaft Týn nad Bečvou und hoch über der Mährischen Pforte gelegene Kulturdenkmal seine Besucher heute zu einer Zeitreise und Entdeckungstour ein.

 

atelier-r - Burg Helfštýn

 

Der für Architekturinteressierte besondere Reiz der Anlage gründet in der gelungenen Intervention rund um den Palas aus der Zeit der Renaissance. Den Architekten des in Olomouc ansässigen Studios atelier-r ist es gelungen, die alten Gemäuer mit viel Fingerspitzengefühl wieder zu beleben. Aufgrund erheblicher Baumängel wurde 2014 eine Renovierung des Palas notwendig, auch ein neues Dach sollte entstehen. Laut den Vorgaben des Denkmalschutzes sollte der Charakter der Ruine allerdings erhalten bleiben und auch das Dach durfte die umgebenden Bestandsmauern nicht überragen. So lag eine Besonderheit bei der Projektplanung bereits zu Beginn auf der Erstellung eines 3D-Modells, das auf Tausenden von Fotos einer Drohne basierte. Auf diese Weise konnten die Architekten alle Arten von Putz- und Mauerwerksmodifikationen abbilden.

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Dank der umfassenden Projekterfahrung der Planer was die Rekonstruktion von historischen Gebäuden angeht, kristallisierte sich für die Architekten bald eine Idee heraus, wie sie mit der Renovierung der Rui­ne unter den gegebenen Umständen umgehen wollten. Abseits der notwendigen technischen Interventionen lag es atelier-r am Herzen, das Vorhandene um eine zeitgenössische Architektur zu ergänzen, welche den praktischen Nutzen mit ästhetischen Aspekten vereinen würde. Der Kern des Konzepts basiert auf dem Implementieren neuer Besichtigungsrouten in die bereits vorhandenen Lücken im Gemäuer, um so die historische Entwicklung des Bauwerks für die Besucher erlebbar zu machen. Zusätzlich zum Erdgeschoss wurden nach der Rekonstruktion auch die oberen Etagen zur Besichtigung erschlossen.

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Neu und Alt sind im Palas der Burg Helfštýn bewusst voneinander getrennt ablesbar gehalten. Dabei griffen die Architekten auf nur drei verschiedene Materialien zurück, wobei jedes für sich einer eigenen Ebene zugeordnet wurde: Das Dach ist aus Glas auf Stahlträgern konstruiert, Treppen und Brücken sind in Cortenstahl und die Wege im Erdgeschoss in poliertem Beton gestaltet. Dadurch ergibt sich ganz natürlich eine neue, im historischen Konzept eindeutig ablesbare, Erzählebene, die bewusst oder unbewusst von jedem Besucher wahrgenommen werden kann. Während man sich auf diesen modernen, fast skulpturalen Strukturen sozusagen völlig losgelöst vom Alten durch die Ruine bewegt, wird man gleichzeitig Teil des historischen Kontexts. Die jahrhundertealten Mauern sind zum Greifen nah und doch trennt den Besucher eine physische Barriere vor den Respekt gebietenden Gemäuern.

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Ausschlaggebend für die besondere Atmosphäre in der Ruine ist auch die Beziehung zur umgebenden Landschaft sowie die Lenkung des Lichteinfalls. Burgen wurden schließlich nicht nur zum eigenen Schutz zumeist an erhöhter Position errichtet, sondern auch, um den bestmöglichen Rundblick zu gewährleisten und nahende Angreifer frühzeitig auszuspähen. Heute genießt man freilich eher den weiten Blick in die idyllische Naturlandschaft. Aber auch der weite Himmel sollte laut Konzept der Architekten greifbar bleiben. So wurden die flachen Dächer zwischen den Wänden der Ruinen in Glas konzipiert, um die für das Innere des Palas perfekten Tageslichtbedingungen zu erzeugen. Man entschied sich schließlich für Milchglas, da dieses wartungsfreundlich ist und das flache Streulicht die Ausstellungsobjekte am besten in Szene setzt. Eine Ausnahme bietet das Dach der Burgkapelle – hier symbolisiert die Klarheit des Glasdaches den spirituellen Himmel selbst.

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Während nur fünf ausgewählte Kammern auf diese Weise überdacht wurden, dienen die Corten-Fußgängerbrücken wiederum selbst als Überdachung der Treppen. Die so entstehenden gen Himmel endlosen Lufträume sollen die Besucher ermuntern, immer wieder hinauf in den Himmel zu blicken. Der Cortenstahl setzt zur hellen Weite einen gelungenen, erdigen Kontrastpunkt. Das Material erscheint zeitlos, es spiegelt den Verfall im Lauf der Zeit sichtbar wider, ohne dabei an Funktionalität oder Ästhetik einzubüßen. Es dient sozusagen als modernes Pendant zum alten, verwitterten Mauerwerk der Ruine. Darüber hinaus ist die Burg Helfštýn für ihre Handwerkstradition in Bezug auf Metall weithin bekannt und wird auch zur metall–künstlerischen Weiterbildung genutzt. In den Kellergewölben des Palas befindet sich zudem ein Museum, das zahlreiche Werke der Schmiedekunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts umfasst. Die Materialwahl lag also durchaus nahe.

 

atelier-r - Burg Helfštýn

 

Die geometrischen Strukturen der Cortenstahl-Brücken finden sich auch erdgeschossig in schlichterer Form bei den aus Betonfertigteilen zusammengefügten Museumsrouten wieder. Die einzelnen Elemente wiederum sind durch streng geradlinige Cortenstahlprofile definiert, welche für den gebührenden Abstand zu den unebenen und unregelmäßigen vorhandenen Wänden sorgen. Die so entstandenen Zwischenräume sind mit Kies gefüllt, der seinerseits beide angrenzenden Materialitäten akzentuiert.

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In Summe ist es den Architekten auf diese Weise gelungen, den authentischen Charakter der Gemäuer zu bewahren und gleichzeitig mit viel Respekt vor dem Bestand ein Statement der Moderne zu setzen. Nicht nur an der Prager Burg kann man sehen, wie sich das Ensemble im Laufe der Jahrhunderte ergänzt, verändert und weiterentwickelt hat. Auch die Burg Helfštýn ist heute ein leuchtendes Beispiel, wie Besuchern die Baugeschichte unterschiedlicher Epochen nahegebracht werden kann. Anstelle knirschender Konkurrenz bilden Alt und Neu bei diesem Projekt ein harmonisches Miteinander – bei dem doch jeder Teil für sich bleiben darf. Und ohnehin schweift der Blick bei einer Rundtour durch die Ruine dann immer wieder in die weite Ferne, weg vom Detail und hinauf in den blauen Himmel – der sich heute genauso majestätisch über der Burg erstreckt wie vor hunderten von Jahren.

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Burg Helfštýn
Týn nad Bečvou, Tschechien

Bauherr: Olomoucký kraj
Planung: atelier-r
Architekt: Miroslav Pospíšil
Projektmanager: Martin Karlík
Design Team: Robert Randys, Lucie Rohelová, Adéla Tomečková, Milena Koblihová, Daria Johanesová
Statik Bestand: Ladislav Klusáček
Statik Neu: Jan Lukáš

Grundstücksfläche: 3.000 m2
Bebaute Fläche: 1.370 m2
Nutzfläche: 1.340 m2
Planungsbeginn: 2015
Bauzeit: 3 Jahre
Fertigstellung: 2020
Baukosten: 3.4 MIO €

 

 atelier-r
“Ein unkonventioneller Ort und eine unkonventionelle Aufgabe, die der Burgbesitzer und das National Heritage Institute gestellt hatten. Wir wollten über die Kernvorgabe hinausgehen, nur eine geeignete Lösung für die Überdachung zu finden – vielmehr war es uns ein Anliegen, die Besucher in die historische Entwicklung des Palas miteinzubeziehen. Deshalb haben wir uns für eine Lösung entschieden, die zeigt, dass zeitgenössische Architektur nicht mit dem historischen Bestand konkurrieren muss und dass Alt und Neu Hand in Hand gehen können.”

 atelier-r

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: BoysPlayNice

 

 

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