Transformiert und neu verpackt

Mit Recycling und Upcycling versuchen diverse Branchen, der Wegwerfkultur unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Auch vor der Architektur machen diese beiden Konzepte keinen Halt: Das Architekturbüro 3XN realisierte mit dem Quay Quarter Tower in Sydney das erste Upcycling-Projekt eines bestehenden Hochhauses. Es baute den Bestand zunächst zurück, erweiterte ihn, stockte ihn auf und integrierte den Turm anschließend mit einer intelligenten Fassade neu in den städtebaulichen, sozialen und ökologischen Kontext.

Transformiert und neu verpackt

Mit Recycling und Upcycling versuchen diverse Branchen, der Wegwerfkultur unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Auch vor der Architektur machen diese beiden Konzepte keinen Halt: Das Architekturbüro 3XN realisierte mit dem Quay Quarter Tower in Sydney das erste Upcycling-Projekt eines bestehenden Hochhauses. Es baute den Bestand zunächst zurück, erweiterte ihn, stockte ihn auf und integrierte den Turm anschließend mit einer intelligenten Fassade neu in den städtebaulichen, sozialen und ökologischen Kontext.

 

 

Abfallprodukte und Einweglösungen bestimmen – zulasten von Umwelt und Planet – noch immer weite Bereiche unseres Alltags. Der Bausektor blickt als einer der ressourcenintensivsten Wirtschaftszweige auf eine besonders schlechte Bilanz und macht deshalb ein Umdenken notwendig. Upcycling bzw. die Um- und Weiternutzung von Bestand bieten auch im Umgang mit Materialien und Rohstoffen sowie grauer Energie und versiegelten Flächen eine effiziente, zukunftsgerichtete Strategie. Im Zuge der Revitalisierung des APM Centre im Zentrum der australischen Metropole rief der Auftraggeber vor diesem Hintergrund dazu auf, das Bürohochhaus bestmöglich zu erhalten und zu sanieren. Anstatt den Firmensitz des Finanzunternehmens – der sich in prominenter Lage hinter dem ikonischen Sydney Opera House befindet und seit 1976 zur Skyline im Businessviertel Quay Quarter gehört – abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen, sollte ihm neues Leben eingehaucht werden.

 

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Die dänischen Planer setzten die Wettbewerbsvorgaben am besten um und überzeugten die Jury mit ihrem nachhaltigen Ansatz: Sie entwickelten einen Entwurf, der rund zwei Drittel der Tragstruktur und 95 % des Gebäudekerns bewahrt. Lediglich an der Nordseite mussten Decken, Säulen und Träger weichen. Hier schnitt man ein Stück des Turms weg und ergänzte stattdessen neue Geschossplatten. Außerdem kamen ein neuer Sockelbereich sowie eine Aufstockung hinzu. Dadurch vergrößerte man nicht nur Höhe und Geschosszahl von einst 188 m und 45 Stockwerken auf über 200 m und 54 Etagen, sondern verdoppelte auch die Nutzfläche auf mehr als 100.000 m2. Im Vergleich zu einem Abbruch führte das Upcycling des Baus zu einer Einsparung von rund 12.000 Tonnen Kohlenstoff. Das entspricht laut Architekten fast 9.000 One-Way-Flügen zwischen Kopenhagen und Sydney oder den Emissionen des gesamten Hochhauses im laufenden Betrieb innerhalb von zwei bis drei Jahren. Trotz herausfordernder Abläufe – mit parallel stattfindenden Rück- und Neubauarbeiten – verkürzte sich dank der Bestandssanierung auch die Bauzeit um neun Monate.

 

 

Um dem Quay Quarter Tower an Monumentalität zu nehmen, die Baumasse aufzulockern und die Anforderungen an eine gleichbleibende, solare Hülle zu erfüllen, gliederte man den Baukörper in fünf Volumen. Die Segmente sind aufeinandergestapelt und gegeneinander verdreht. Im Bereich der Zäsuren spannen sie vier begrünte Dachterrassen auf. Aufgrund der Trapezform der einzelnen Volumen wechselt mit dem Betrachtungswinkel auch die Silhouette des Turms. Während die Gebäudekanten entlang der südlich angrenzenden 50 Bridge Street abgerundet sind, laufen die unterschiedlich abgeschrägten Ansichten an der Nordfassade in spitzen Winkeln zu. Sie verleihen dem Gebäude nicht nur ein modernes Aussehen, sondern ermöglichen zudem verschiedene Blickbeziehungen: Aus den oberen Etagen sieht man bis hin zum Hafen, dem Opernhaus am Wasser und der Harbour Bridge, in den unteren Stockwerken wird der Ausblick hingegen in die unmittelbare Nachbarschaft und den Stadtraum gelenkt.

 

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Die Übergänge zwischen den einzelnen Segmenten werden von keilförmigen Glasflächen betont und auch der obere Abschluss sorgt geneigt für zusätzliche Dynamik. Ansonsten werden Alt und Neu von einer innovativen Gebäudehülle einheitlich umschlossen. Vor die verglaste Fassade legt sich eine weiße, selbstverschattende Rahmenstruktur, die das Planerteam in Kooperation mit den Ingenieuren von Arup mithilfe von Wärmemodellen optimierte. Die rechteckigen Rahmen umfassen jeweils eine Geschosshöhe, sind aber in der Breite langgezogen. Durch ihre versetzte Anordnung in horizontaler Richtung dienen die Einfassungen der Fenster zugleich als passiver Sonnenschutz: Sie verschatten die Arbeitsflächen im Inneren, reduzieren den direkten Solareintrag um 30 % und senken so den Kühlbedarf des Büroturms auf natürliche Weise. Obwohl jedes der Module in Computersimulationen speziell auf seine Position abgestimmt wurde, erhält das Hochhaus durch das rechteckige Gitter eine homogene Optik. Abhängig vom Lichteinfall verändern sich sowohl Winkel als auch Querschnitte der Fensterrahmen. Bei einer durchschnittlichen Tiefe von 70 cm fangen die nach Osten und Westen gerichteten Elemente dank einer Neigung von 16 Grad morgens und nachmittags tief einfallende Sonneneinstrahlung ab. Die – in der südlichen Hemisphäre am meisten der Sonne ausgesetzte – Nordseite schirmen horizontal ausgestellte Vorsprünge ab. Schutz vor flach einfallenden Strahlen bieten auch die vertikalen Rahmen. So kann auf zusätzliche Jalousien oder Verschattungselemente im Quay Quarter Tower gänzlich verzichtet werden.

 

 

Das Layout des Gebäudes planten die Architekten von innen heraus und berücksichtigten dabei nicht nur konstruktive und programmatische Anforderungen, sondern auch die künftigen Benutzer. Sie orientierten sich an der quadratischen Grundfläche des Bestands und machten diese zum verteilenden Rückgrat des Hochhauses. Entlang der vertikalen Achse folgen die einzelnen Volumen aufeinander. Jedes von ihnen ist wie ein kleines Dorf organisiert und verfügt über ein zentrales Atrium. Die Lufträume erstrecken sich jeweils über mehrere Niveaus und öffnen sich an der Nordseite des Hochhauses zum Außenraum. Dank großflächiger Verglasungen bringen die Atrien jede Menge Licht und Luft in die flexibel bespielbaren Bürogeschosse und verbinden diese über Roll­treppen und skulpturale Wendeltreppen miteinander. Die dreigeschossige Sockelzone wird über mehrere Zugänge aus allen Richtungen erschlossen. Sie lädt mit Einzelhandelsflächen auch die Anwohner des Stadtquartiers nach drinnen ein. Das ebenfalls öffentlich genutzte Sockel-Dach überspannt eine pergolaartige Installation des Künstlers Ólafur Elíasson. Mit ihrer verschnörkelten Gestaltung soll sie an die Korallenriffe vor der australischen Küste erinnern.

 

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Das einzigartige Fassadendesign entpuppt sich als wahrer Upcycling-Allrounder: Mit seiner selbstverschattenden Rahmenstruktur und blendfreien Verglasungen senkt es den Energieverbrauch des Gebäudes, sichert in den lichtdurchfluteten Innenräumen ganzjährig den thermischen Komfort der Nutzer und macht den revitalisierten Quay Quarter Tower von 3XN gleichzeitig zum neuen Flaggschiff in Sydney Downtown. Anstelle des in die Jahre gekommenen Bürohochhauses steht nun mitten in der Stadt ein moderner Neubau – und das (fast ganz) ohne Abriss. So sieht verantwortungsbewusstes, zirkuläres Bauen aus.

 

„Viele Mitte bzw. Ende des 20. Jahrhunderts errichtete Hochhäuser erreichen das Ende ihrer Nutzungsdauer. Wir wissen, dass wir künftig nicht mehr wie bisher abreißen und neu bauen können, sondern stattdessen die Lebensdauer und das Potenzial der bestehenden Gebäude verlängern müssen. Dies ist unseres Erachtens die wichtigste Definition von Nachhaltigkeit in der Architektur – und die treibende Kraft hinter dem Quay Quarter Tower.“ 3XN

 

Quay Quarter Tower
Sydney, Australien

Bauherr: AMP Capital
Planung: 3XN
Partnerarchitekten: BVN
Statik: BG&E
Fassadenplanung: ARUP
Gebäudetechnik: ARUP
Landschaftsplanung: ASPECT Studios
Lobby & Einzelhandel: Design Research Studio (DRS)

Nutzfläche: 102.000 m2
Planungsbeginn: 2014
Baubeginn: April 2018
Fertigstellung: April 2022

www.3xn.com

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Adam Mørk