Vergangenheit aufarbeiten, Zukunft leben

In Pflersch, in Südtirol, wandelte das Büro NAEMAS Architekturkonzepte aus Bozen auf den Spuren der Vergangenheit. Nachdem der Erbhof der Familie im Zuge eines Vollbrands gänzlich zerstört worden war, wollten die Eigentümer einen neuen Weg einschlagen. Anstatt die Brandruine durch einen Neubau zu ersetzen, entschied man sich für einen anderen Standort und errichtete dort mit dem Zierhof mit Stube ein zweiteiliges Wohnensemble. Dieses interpretiert die ländliche Architektur auf moderne Weise und fungiert als Vermittler - zwischen dem was war und dem, was hier in Zukunft sein wird.

Vergangenheit aufarbeiten, Zukunft leben

In Pflersch, in Südtirol, wandelte das Büro NAEMAS Architekturkonzepte aus Bozen auf den Spuren der Vergangenheit. Nachdem der Erbhof der Familie im Zuge eines Vollbrands gänzlich zerstört worden war, wollten die Eigentümer einen neuen Weg einschlagen. Anstatt die Brandruine durch einen Neubau zu ersetzen, entschied man sich für einen anderen Standort und errichtete dort mit dem Zierhof mit Stube ein zweiteiliges Wohnensemble. Dieses interpretiert die ländliche Architektur auf moderne Weise und fungiert als Vermittler – zwischen dem was war und dem, was hier in Zukunft sein wird.

 

 

Die kleine Ortschaft Pflersch liegt in einem Seitental, welches am südlichen Ende des Wipptals parallel zur österreichisch-italienischen Grenze abzweigt. Als Teil der Gemeinde Brenner zählt sie gerade einmal 650 Einwohner. Traditionelle Bergbauernhöfe bestimmen über die Hänge verstreut und von der imposanten Gebirgslandschaft umgeben bis heute das Bild des Tals und prägen die lokale Kultur. Einer dieser Höfe war bis zur Zerstörung durch ein Feuer im Besitz der Bauherren. Diese beauftragten die Architekten nach dem Schicksalsschlag damit, an einer anderen Stelle auf dem über 9.000 m2 großen Grundstück ein neues Gebäude zu erbauen.

 

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Der Errichtung dieses Neubaus gingen im Zuge des Entwurfsprozesses diverse Analysen voran, um die ideale Ausrichtung und Belichtung in Einklang mit der alpinen Topografie zu finden. Eine erhöhte Position bietet auf dem in Richtung Süden leicht abfallenden Hang auch in den Wintermonaten ausreichend Sonne. Außerdem stand bei der Wahl des Bauplatzes auch eine neue Identitätsfindung im Mittelpunkt. Durch den Ortswechsel wollte die Familie die Geschichte des abgebrannten Bestandshofes zwar in räumlicher Hinsicht hinter sich lassen, gleichzeitig aber ihre persönlichen Erinnerungen und Emotionen in das Projekt einfließen lassen und so ein Stück Vergangenheitsbewältigung leisten. Aus diesem Grund wählte man letztlich einen Standort unweit des ursprünglichen Gebäudes, der über eine ähnliche Aussicht verfügt: Neben einer denkmalgeschützten Kapelle gibt er den Blick auf einen alten Apfelbaum einer praktisch ausgestorbenen Apfelsorte frei.

 

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Anstelle eines einzelnen Volumens entwickelte das Südtiroler Planerteam zwei separate Baukörper. Diese sind – bedingt durch das geneigte Gelände – in unterschiedlicher Höhe und leicht versetzt zueinander angeordnet. Nach außen hin wirken beide Bauten dadurch wie getrennte, eigenständige Häuser. Innen jedoch fasst eine unterirdische Verbindung die zwei Gebäudeteile zu einer funktionalen Einheit zusammen. Das Ensemble zeichnet sich durch eine schlichte Formensprache und einen Mix aus alten und neuen Elementen aus. Sowohl Materialien als auch Ausführung wurden auf den einstigen Bestandshof abgestimmt und erinnern als zeitgemäße Interpretation an den historischen Kontext. An den Fassaden greifen die Architekten mit Lärchenholz ein traditionelles Baumaterial auf und verleihen diesem mit einer grauen Lasur einen modernen Touch. In regelmäßigen Abständen zieren die vertikalen Holzlatten dekorative Ornamente. Inspiriert von ländlichen Holzschnitzereien – die einst auch den Erbhof prägten – verleihen die gefrästen Muster dem Zierhof seine charakteristische Optik und seinen Namen. Helle Loggien und Nischen durchbrechen die Ansichten an mehreren Stellen und sorgen in Kombination mit den naturbelassenen Holzrahmen der großflächigen Fenster und Verglasungen für einen nahezu leuch­tenden Kontrast zur dunklen Gebäudehülle. Asymmetrische Satteldächer ohne sichtbare Traufausbildung schließen das einheitliche Design der beiden Wohnhäuser stimmig ab. Zusätzlich verfügt das Ensemble über ein nachhaltiges Energiekonzept: Eine geothermische Wärmepumpe garantiert ganzjährig eine konstante Temperatur. Photovoltaikpaneele auf dem Dach senken den externen Energiebedarf und damit die Betriebskosten auf ein Minimum.

 

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Im Inneren der beiden Chalets verfolgte man mit zwei verschiedenen Ansätzen erneut den Wunsch der Auftraggeber, gleichermaßen Raum für Altes und Neues zu schaffen: Während der untere der Baukörper im alpinen, ruralen Stil gestaltet ist, bildet der obere Gebäudeteil das urbane Gegenstück dazu. Mit Lärchenholz, Naturstein und Leinenstoff gibt es im traditionelleren Teil eine reduzierte Palette an natürlichen Farben und Materialien. Weiße Oberflächen werden zum dezenten Hintergrund für eine kontemporäre, bäuerliche Stube. In Form von neuem Mobiliar und anderen Elementen aus Holz halten die Zierornamente der Fassaden Einzug ins Haus und werden durch originale Stühle und Kommoden ergänzt.

 

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Im städtischen Pendant gibt es hingegen eingefärbten Sichtbeton, Terrazzo und Einbauten in knalligen Tönen. Unter dem Dach erhalten die Betonwände und -decken im großen Ess-Wohnraum durch die Struktur der Holzschalung eine spannende Haptik. Ein zentraler Kamin wird gemeinsam mit den farbigen Fronten der Küche zum Hingucker. Dazu kommen schwere, farbige Vorhänge sowie schwarze Installationen und Edelstahldetails, die einen Hauch industrielles Flair in das zweite Chalet bringen. Vereinzelt finden sich auch hier alte Einrichtungsgegenstände wieder, die vergangene Zeiten aufleben lassen und die Gestaltung des Zierhofes stimmig abrunden.

 

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NAEMAS Architekturkonzepte gingen behutsam auf die Geschichte des Ortes ein und spiegelten gleichzeitig seine Ambivalenz wider. Mit einem dualen Konzept und in enger Abstimmung mit der Bauherrschaft widmeten sich die Architekten aus Bozen dabei nicht nur der Aufarbeitung der Geschehnisse, sondern vor allem dem Blick nach vorne. Sie bezogen die Vergangenheit mit ein und brachen doch deutlich mit ihr. Auf diese Weise entsteht ein besonderes Wohnensemble, welches inmitten der imposanten Kulisse der Südtiroler Gebirgswelt den Bogen zwischen Alt und Neu spannt und so den Eigentümern einen bedeutungsvollen Lebensmittelpunkt bietet.

 

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Zierhof mit Stube
Pflersch, Südtirol

Bauherr: Privat
Planung: NAEMAS Architekturkonzepte

Grundstücksfläche: 9.230 m2
Bebaute Fläche: 242 m2
Bruttogeschossfläche: 627 m2
Nutzfläche Wohnen: 263 m2
Planungsbeginn: Nov. 2020
Baubeginn: April 2021
Fertigstellung: Dez. 2022

www.naemas.net

 

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Gustav Willeit