Vom Hochbau bis zum Türgriff

Nina Mair mochte mit ihrer Arbeit Menschen berühren - und das spürt man. Ihr Büro NINA MAIR Architecture + Design mit Sitz in Innsbruck widmet sich den Bereichen Produktdesign, Innenarchitektur und Architektur. Das vierkopfige, rein weibliche Team entwickelt detaillierte Projekte unterschiedlicher Maßstäbe, die durch ihr zeitloses und funktionales Design auffallen und zugleich Geschichten erzählen. Im Interview erklärt die international ausgezeichnete Designerin und Architektin, was gutes Design ihres Erachtens ausmacht. Außerdem spricht sie über ihre individuelle Herangehensweise an Entwürfe, die Rolle der Materialauswahl sowie Trends und Entwicklungen in der Branche.

Vom Hochbau bis zum Türgriff

Nina Mair mochte mit ihrer Arbeit Menschen berühren – und das spürt man. Ihr Büro NINA MAIR Architecture + Design mit Sitz in Innsbruck widmet sich den Bereichen Produktdesign, Innenarchitektur und Architektur. Das vierkopfige, rein weibliche Team entwickelt detaillierte Projekte unterschiedlicher Maßstäbe, die durch ihr zeitloses und funktionales Design auffallen und zugleich Geschichten erzählen. Im Interview erklärt die international ausgezeichnete Designerin und Architektin, was gutes Design ihres Erachtens ausmacht. Außerdem spricht sie über ihre individuelle Herangehensweise an Entwürfe, die Rolle der Materialauswahl sowie Trends und Entwicklungen in der Branche.

 


© in the headroom

 

 Was finden Sie im Design, das Ihnen in der Architektur fehlte? Wie entstand der Fokus Ihres Büros?

Im Zuge meines Architekturstudiums in Innsbruck ging ich für ein Erasmus- Jahr nach Florenz. Dort hatte ich die Chance, tiefer in die zeitgenössische Architektur einzutauchen und vom Fotokurs über die Bildhauerei bis hin zum Design-Workshop vielfältige Lehrveranstaltungen zu besuchen. Die Italiener:innen blicken beim Thema Design auf eine lange Geschichte zurück und ihre Begeisterung dafür spürt man bis heute. Das hat mich fasziniert und inspiriert – und dazu beigetragen, dass ich meine Liebe fürs Produktdesign entdeckt habe. Was mich außerdem anspricht, ist der Maßstab. Während man in der Architektur teils sehr abstrakt denken muss, baut man im Design 1:1-Prototypen. Ich arbeite gerne handwerklich in unserem eigenen Labor und bin am glücklichsten, wenn ich anstelle der Computermaus auch einmal das Schweißgerät in der Hand halten darf.

 


Der Concrete Table aus Stahlbeton ist bei einer Dicke von nur 3 cm 220 cm lang. © Markus Bstieler

 

Wo liegt für Sie die Grenze zwischen Architektur und Design? Worin unterscheiden sich die Disziplinen, wie ergänzen Sie sich?

In meinem Kopf existiert keine klare Grenze zwischen beiden. Für mich hängen beide Disziplinen unweigerlich zusammen. Wenn ich ein Produkt entwerfe, denke ich immer seine potenzielle Umgebung bzw. den Raum mit und leite daraus die Anwendung sowie individuelle Anforderungen ab. Bei einem Architekturentwurf berücksichtige ich umgekehrt automatisch die Einrichtung bzw. Ausstattung und überlege mir Materialien und Oberflächen. Ich sehe zwischen Architektur und Design viel mehr Parallelen als Unterschiede: Bei jedem Auftrag – egal ob Produkt oder Gebäude – geht man auf die spezifischen Wünsche von Kund:innen ein und versucht etwas Maßgeschneidertes zu entwickeln.

Auf Ihrer Website schreiben Sie, Ihr Design erzählt Geschichten – welche Geschichten erzählt es?

Häufig entsteht die Entwurfsidee aus einem Material heraus. Man entdeckt z.B. ein Halbfertigzeug und erforscht dessen Geschichte und Einsatzgebiete. Eines unserer ersten Produkte war (damals noch mit dem Designstudio Pudelskern) die Granny -Leuchte für den italienischen Hersteller Casamania. Dort haben wir mit Schafwolle ein Rohmaterial aus der Teppichfertigung verwendet. Schafe werden in Österreich hauptsächlich für die Fleischproduktion gezüchtet, tatsächlich hat die Haltung der Nutztiere aber nicht nur eine lange Tradition, sondern einen Mehrwert für unsere Natur, da die Schafe an den steilen Berghängen grasen und so zur Landschaftspflege im alpinen Raum beitragen. Mit der Leuchte werten wir zum einen die Schafwolle als Werkstoff auf, andererseits verleihen wir dem Produkt durch ein narratives Design einen besonderen Wert.

 


Im Erdgeschoss des Swissotel Kursaal Bern gestalteten Nina Mair und ihr Team das Giardino Restaurant & Bar mit lokalen Naturmaterialien, subtilen Strukturen und Einbauten sowie zahlreichen Pflanzen. © Ana Ţurcan

 

Was macht für Sie ein gutes Design aus? Welche Qualitäten muss es haben?

Wenn man es schafft, mit einem Design Emotionen hervorzurufen, ist schon etwas Fantastisches passiert. Das müssen nicht einmal unbedingt positive Emotionen sein, es darf Betrachter:innen auch irritieren und zur Diskussion anregen. Ein gutes Beispiel aus der Architektur sind Sakralbauten: Sie zeigen mit ihrer Atmosphäre selbst bei Nicht-Gläubigen eine gewisse Wirkung auf den Körper. Auch im kleinen Maßstab kann man mit guter Gestaltung positiv auf den Menschen einwirken. Das ist auch der Grund, warum ich diesen Beruf ausübe: Ich möchte – im Idealfall natürlich positiv – berühren und Impulse geben.

 


Die preisgekrönte Shell Bathtub wurde mittels CNC-Fräse aus einem Block Walnussholz hergestellt. © in the headroom

 

Im Design gibt es oft auch (kurzweilige) Trends. Wie entwickelt man zeitgemäße Produkte, die zugleich nachhaltig sind?

Mein Ansatz ist es, möglichst zeitlos zu entwerfen und keinerlei Trends zu folgen – obwohl einen manche Entwicklungen trotzdem unbewusst beeinflussen. Ich finde es zwar ganz nett, dass es Trendgurus wie Li Edelkoort gibt, die Trendbooks mit angesagten Farbnuancen und anderen, aktuellen Tendenzen veröffentlichen, halte davon aber eher wenig. Generell konzentriere ich mich stets auf eine reduzierte, schlichte Formensprache, ohne Ornamente oder Muster. Genau genommen versuche ich beim Entwerfen, so viel wie möglich wegzulassen. Meist arbeite ich mit höchstens zwei Materialien und wähle robuste und natürliche Werkstoffe, die mit der Zeit eine schöne Patina erhalten. Dieser zeitlose Ansatz verleiht Designs nicht nur ihren individuellen Charakter, sondern auch ihre Langlebigkeit.

Welche Rolle spielen Materialien in Ihrer Arbeit und wovon hängt deren Auswahl ab?

Eine angenehme Haptik und Oberfläche von Werkstoffen sind mir sehr wichtig. Ich liebe es, mit Naturmaterialien zu arbeiten. In unseren Architekturentwürfen kommen viel Stein und Holz oder Textilien wie Wolle und Leinen vor. So holen wir die Natur in den Raum und sorgen für Wohlbefinden sowie eine gesunde Umgebung. Richtig eingesetzt, sind sie zudem langlebig und recycelbar. Auch die Farbwelten und Nuancen von Naturwerkstoffen tun dem  Menschen gut.

 


Mashrabeya aus Buchenfurnier und pulverbeschichtetem Stahl. © Peter Philipp

 

Neben Klassikern wie Holz und Stein findet man auf Ihrer Website z.B. auch ein Lampendesign mit Merinowolle – was hat es damit auf sich?

Tube Light ist eine schlichte, zylindrische Akustikleuchte, die zugleich als hochwertiger Schallabsorber fungiert. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Akustikhersteller YDOL und der Lichtplanungsfirma Bartenbach. Besonders spannend ist, dass hier zwei Komponenten aufeinandertreffen, welche sich maßgeblich auf die Atmosphäre eines Raumes auswirken. Sowohl Licht als auch Akustik fallen Nutzer:innen aber eigentlich nur dann auf, wenn sie nicht gut gelöst sind. Beim Material der Leuchte fiel die Wahl auf recyceltes Aluminium und den nachwachsenden Rohstoff Merinowolle. Das feine Gewebe – das eigentlich aus der Textilindustrie stammt – kann nicht nur Schall absorbieren, sondern auch Feuchtigkeit aufnehmen und trägt so zur Raumkonditionierung bei. Außerdem lässt sich die Tube Light in ihre Einzelteile zerlegen und komplett recyceln.

 


Die Granny-Leuchte besteht mit ihrer gestrickten Struktur zu 100 % aus lokaler Schafwolle. © Markus Bstieler

 

Wie gehen Sie als Team an den Entwurfsprozess heran? Welchen Einfluss haben auch andere Disziplinen?

Hinter NINA MAIR Architecture + Design steckt ein Team von vier tollen Frauen. Bei uns beginnt jeder Prozess mit dem Zeichenstift und einem Blatt Papier. Produktdesigns testen wir gerne anhand von 1:1-Prototypen und Mock-ups auf ihre Funktionalität und Ergonomie. In der Architektur gehen wir sehr analytisch vor, um die Wünsche und Anforderungen von Bauherr:innen bestmöglich verstehen und umsetzen zu können. Auch hier entwickeln wir Hochbaudetails mithilfe von Handskizzen, bevor es an die Digitalisierung geht. Materialmuster spielen dabei ebenfalls eine große Rolle. Wir arbeiten nicht nur untereinander eng zusammen, sondern auch interdisziplinär und holen je nach Projekt entsprechende Expert:innen mit an Bord, um selbst von anderen zu lernen. Beispielsweise bei der HOSI (Homosexuelle Initiative) in Linz waren Soziolog:innen, Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen beteiligt.

Welche spannenden Entwicklungen sehen Sie in der Design-Branche?

Künstliche Intelligenz wird natürlich auch in der Architektur und im Design viel diskutiert. Meines Erachtens kann man sich KI-basierte Prozesse durchaus z.B. für administrative Dinge wie Buchhaltung zunutze machen, aus gestalterischer Sicht aber eher nicht. Entwerfen möchte ich weiterhin selbst. Ansonsten ist Nachhaltigkeit in aller Munde und wird als Label fast schon inflationär verwendet. Es gibt aber durchaus viele junge Designer:innen, die sich mit spannenden Themen beschäftigen – im Bereich neue Materialien finde ich z.B. Pilzmyzel als nachwachsenden, biologisch abbaubaren Rohstoff sehr interessant. Bei allen Experimenten bleibt dann aber die Frage nach der industriellen Umsetzbarkeit.

 


Tube Light kombiniert dank Merinowoll-Gewebe angenehme Beleuchtung und Akustik. © in the headroom

 

Von Gatsby bis hin zu Miss Marble und Spencer – woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Produktdesigns?

Die Inspiration für die Entwürfe kommt tatsächlich oft aus dem Material, Produktnamen ergeben sich meist erst im Nachhinein. Reisen stellen auch eine große Inspirationsquelle dar. Oft sind es bestimmte Farbwelten anderer Kulturen, welche die Atmosphäre eines Ortes widerspiegeln. Ein Beispiel dafür ist unser Mashrabeya-Schränkchen, bei dem wir für eine Firma in Ägypten ein zeitloses Möbelstück mit einer lokalen Referenz kombinierten. Dafür haben wir Maschrabiyya – traditionelle, dekorative Holzgitter aus der islamischen Architektur – in Form von Metall-Schiebeelementen mit Lochmuster interpretiert. Ein zarter Apricot-Ton soll an ägyptische Gewürzmärkte erinnern. Wichtig ist bei solchen Projekten, keine 1:1-Zitate zu verwenden, um nicht in die folkloristische Richtung abzudriften.

Welches Projekt oder Wunschdesign würden Sie gerne in der Zukunft umsetzen?

Mein Traum ist es, ein Projekt vom Hochbau bis hin zum Türgriff entwerfen zu dürfen. Unsere Innenarchitektur geht meist sehr ins Detail, aus Budget- oder Zeitgründen greift man dann aber oft auf Serienprodukte zurück. Einige unserer Möbelstücke, die wir speziell für Aufträge entworfen haben, gingen dann in Serie. Das ist natürlich auch toll. Ein formales Konzept zu entwickeln, das von Anfang bis Ende unsere Handschrift trägt und bei dem wir sogar die Türgriffe eigens designen und anfertigen können, wäre aber eine absolute Traumvorstellung.

www.ninamair.at

 

 

Interview: Edina Obermoser