Der Klimawandel wird auf der Baustelle entschieden

Interview - Als Mitgründer und CEO von Concular, der führenden digitalen Plattform für zirkuläres Bauen, und restado, dem größten Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe in Europa, ist Dominik Campanella ein Experte im Bereich des zirkulären Bauens. Er ist Mitglied im Fachausschuss für zirkuläres Bauen bei der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), Mitinitiator und Konsortialleiter der DIN SPEC 91484, die einen Branchenstandard für die Erfassung und Wiedereinbringung von Baumaterialien schaffen soll, und Mitglied der Leadership Group der EU Circular Economy Stakeholder Platform für Kreislaufwirtschaft. Im Interview erklärt er, warum kreislauffähige Ansätze in der Baubranche so wichtig sind, was für deren Umsetzung erforderlich ist und wie Concular beteiligte Akteure bei der Wiedereinbringung von Materialien in Form von Re-Use und Recycling unterstützt.

Der Klimawandel wird auf der Baustelle entschieden

Als Mitgründer und CEO von Concular, der führenden digitalen Plattform für zirkuläres Bauen, und restado, dem größten Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe in Europa, ist Dominik Campanella ein Experte im Bereich des zirkulären Bauens. Er ist Mitglied im Fachausschuss für zirkuläres Bauen bei der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), Mitinitiator und Konsortialleiter der DIN SPEC 91484, die einen Branchenstandard für die Erfassung und Wiedereinbringung von Baumaterialien schaffen soll, und Mitglied der Leadership Group der EU Circular Economy Stakeholder Platform für Kreislaufwirtschaft. Im Interview erklärt er, warum kreislauffähige Ansätze in der Baubranche so wichtig sind, was für deren Umsetzung erforderlich ist und wie Concular beteiligte Akteure bei der Wiedereinbringung von Materialien in Form von Re-Use und Recycling unterstützt.

 

 

Warum ist das Thema zirkuläres Bauen so wichtig und warum herrscht in der Baubranche so großer Handlungsbedarf?

Dafür muss man den Kontext zunächst größer setzen. Die Baubranche ist für 60 % des gesamten Abfallaufkommens und 40 % des CO2-Ausstoßes verantwortlich und damit mit Abstand der größte Umweltverschmutzer der Welt. Während wir zu Hause brav unsere Abfälle sortieren und recyceln ist der Abfall-Rückführungsprozess im Bausektor bisher überhaupt nicht etabliert. Betrachtet man die CO2-Emissionen genauer, so macht die Betriebsphase des Gebäudes nicht einmal die Hälfte aus, die Herstellung der Materialien hingegen mehr als 50 %. Das Problem dabei ist, dass wir dem sogenannten Take-Make-Waste-Prinzip folgen. Wir nehmen Ressourcen, stellen daraus Materialien her, verbauen diese dann und entsorgen sie zum Teil nach wenigen Jahren wieder, obwohl viele von ihnen weitergenutzt werden könnten.

Was versteht man unter zirkulärem Bauen genau?

Zirkuläres Bauen wird heutzutage oft auf das Recycling reduziert – was wiederum häufig in einem Downcycling resultiert. Wollen wir hingegen zirkulär bauen, müssen wir der Circular-Economy-Pyramide folgen und mittels 9-R-Strategie den gesamten Lebenszyklus eines Produkts berücksichtigen. Diese sieht mit Refuse als erste Maßnahme die verstärkte Arbeit mit dem Bestand vor. Das heißt: Weniger neu bauen, mehr Gebautes bzw. bereits eingesetzte Ressourcen nutzen. Wenn wir umbauen oder neu bauen, gilt es den Materialeinsatz zu reduzieren, also sich auf Reduce und in weiterer Folge auf Reuse zu fokussieren und bestehende Materialien im besten Fall eins zu eins in ihrer ursprünglichen Funktion wiederzuverwenden – z.B. eine Systemtrennwand oder eine Brandschutztür. Ist das nicht möglich, kann man Dinge reparieren, sanieren oder ihnen eine neue Funktion geben (Repair, Refurbish & Repurpose). Erst als letztes kommen wir zum (hochwertigen) Recycling oder der thermischen Verwertung (Verbrennung) im Sinne von Recover.

Welche Vorteile bieten zirkuläre Bauten?

Ein Vorteil ist natürlich die ökologische Komponente: Durch stringentes, kreislaufgerechtes Bauen können global gesehen bis zu 13 % des CO2 eingespart werden. Auch die EU-Kommissarin Ursula von der Leyen misst der Circular Economy einen zentralen Stellenwert bei und sieht in ihr einen der wesentlichen Faktoren zur Erreichung der Klimaziele. Aus ökonomischer Sicht birgt das Thema ebenfalls jede Menge Potenzial. Selbst ohne Förderungen ist zirkuläres Bauen per se nicht teurer als konventionelles, denn gebrauchte Materialien werden oft zum gleichen oder günstigeren Preis verkauft. Und das ist noch nicht alles: Zum einen kommt es durch die Wiederverwendung von Materialien zu Kosteneinsparungen bei der Entsorgung und ggf. dem Kauf neuer Bau­stoffe. Zum anderen kann ein Verkauf sogar noch Geld einbringen. Aus dem ursprünglichen Kostenblock wird also ein Wertblock.

 


Mit Concular entwickelte Dominik Campanella eine spezielle Software zur Aufnahme und Dokumentation von Materialien und Bauteilen in Bestandsgebäuden. An einem Tag kann das Team damit rund 10.000 m2 Fläche digitalisieren. © Thomas Jones

 

Welche Voraussetzungen müssen für zirkuläres Bauen geschaffen werden bzw. welche Maßnahmen sind notwendig?

Aus technischer Sicht steht dem zirkulären Bauen nichts im Wege. Materialien können aus Gebäuden entnommen, aufbereitet und wieder eingebaut werden. Dabei gilt es aber verschiedene Herausforderungen zu bewältigen: Der erste Punkt ist, dass wir oft nicht wissen, was in Gebäuden verbaut ist. Vor einem Rückbau benötigt man also bei bestehenden Bauten zunächst einen Überblick über die Materialien. Bei Neu- oder Umbauten sollte man so einen Katalog künftig von vornherein integrieren. Beide Szenarien haben wir bei Concular mitbedacht und gelöst. Neben den Materialien selbst stellen auch Regularien und Normierungen ein Problem dar: Sie sind auf lineare Prozesse ausgerichtet und berücksichtigen kreis­laufgerechtes Bauen nicht. Angefangen von erneuten Zertifizierungen für ein bereits zertifiziertes Material bis hin zur steuerlichen Behandlung gibt es viele Hürden, welche die Kosten erhöhen. Während beim Kauf eines Gebrauchtwagens in Deutschland keine Mehrwertsteuer bezahlt werden muss, fällt diese bei recycelten Baumaterialien zweimal an. Zudem ist die Baubranche eine der letzten Industrien, die nicht über Rücknahmesysteme verfügt (wie z.B. Pfand auf Flaschen). Als letztes besteht auch aus regulatorischer und fördertechnischer Sicht einiges an Aufholbedarf. Anstatt weiterhin nur klimaschädliche Bauweisen zu subventionieren, müssen zirkuläre Ansätze entsprechend honoriert werden. Um das ökonomische Ungleichgewicht auszugleichen, ist eine neue Gebührenordnung für Architekt:innen erforderlich.

Wie müssen sich Planungsprozesse/Ausschreibungen verändern, um zirkuläres Bauen zu fördern?

Ausschreibungstexte sind häufig sehr eng gefasst und stellen aufgrund von fehlender Flexibilität zum Teil eine große Herausforderung für zirkuläres Bauen dar. Mit Concular entwickeln wir aktuell einen Leitfaden für die öffentliche Hand. Dieser verdeutlicht, wie kreislauffähige Ansätze in Ausschreibungen ermöglicht und gefördert werden können. Dafür gilt es Jahrzehnte alte Prozesse zu verändern – das ist nicht einfach, aber machbar. Außerdem wird sich auch das Berufsbild von Architekt:innen verändern und ein Umdenken notwendig machen. Gemäß dem Grundsatz „form follows availability“ muss die Planung künftig verstärkt an die vorhandenen Materialien angepasst werden und nicht umgekehrt.

Wie entstand Concular und wie löst es diese Probleme?

Alles begann mit restado – einem Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe – den wir zum größten in Europa aufbauten. Aufgrund von fehlender Logistik (Management von Quantität, Qualität, Zeitpunkt, Ort etc.), erreichten wir mit ihm aber in erster Linie private und kleinere Kunden. Da wir noch mehr verändern wollten, beschäftigten wir uns schließlich mit den Anforderungen größerer Bauprojekte und schufen mit Concular schließlich eine Lösung im Bereich des kreislauffähigen Bauens für professionelle Akteure in der Baubranche. Die Plattform widmet sich der Digitalisierung und Weitervermittlung von Materialien in neuen und bestehenden Gebäuden. Für Neubauten arbeiten wir mit dem – von uns mitentwickelten – Gebäuderessourcenpass. Dieser gibt bei einem späteren Um- bzw. Rückbau Auskunft über die verbauten Materialien oder hilft bei Auswertungen für bestimmte Zertifizierungen. Die große Herausforderung liegt aber natürlich im Bestand. Hier kommt unsere eigene Software zum Einsatz, mit der wir alle Materialien aufnehmen und bereits vor einem etwaigen Rückbau eine Art Gebäudeinventar erstellen. Im Anschluss bringen wir die Materialien über Hersteller, verarbeitende Unternehmen oder Recyclingfirmen wieder in den Kreislauf ein.

 


Im Zuge des Umbaus für die Fußball-Europameisterschaft 2024 digitalisierte Concular 10.000 m2 der Mercedes-Benz-­Arena in Stuttgart und rettete unter anderem die roten Klappstühle – für die man neue Besitzer:innen fand – vor der Deponie. © Thomas Jones

 

Wie sieht der Ablauf beim Bauen mit Concular aus und wie funktioniert die Logistik?

Bei Bestandsprojekten vermitteln wir die Materialien, bevor der eigentliche Rückbau stattfindet. Zurückbauen lassen wir nur, was auch verkauft wurde. Nicht verkaufte Elemente werden konventionell abgerissen, wodurch aber keine Mehrkosten anfallen. Auftraggeber:innen erhalten dann eine Liste mit den verkauften Materialien, welche die Basis für die Ausschreibung des selektiv werterhaltenden Rückbaus bildet. Über unsere Logistikunternehmen gelangen die ausgebauten Materialien dann entweder direkt zu den Kund:innen oder in eines unserer Lager. Die oft komplexe logistische Abstimmung von Zeiträumen und Distanzen können wir aufgrund der großen Menge an Interessierten auf unserer Plattform bewältigen.

Wie lange dauert die Digitalisierung eines bestehenden Gebäudes?

Für 10.000 m2 benötigen wir vor Ort in etwa einen Tag. Dazu kommen dann noch Vor- und Nachbearbeitung. Speziell in Gebäuden in denen noch Menschen wohnen bzw. arbeiten, oder wo der Rückbau zeitnah stattfinden soll, sind Schnelligkeit und Effizienz sehr wichtig. Außerdem lassen sich so die Kosten möglichst gering halten.

Können Sie die Funktionsweise von Concular anhand eines Beispielprojekts erklären?

Ein spannendes Projekt, das Bestandserhalt und vor Ort Re-Use kombiniert, ist der Karstadt am Hermannplatz in Berlin. Dort haben wir vor dem Umbau 40.000 m2 des bekannten Kaufhauses digitalisiert. Die aufgenommenen Materialien bildeten dann die Grundlage für den ausgelobten Architekturwettbewerb und mussten von den teilnehmenden Büros in die Planung integriert werden.
Ein weiteres Beispiel ist der FAZ-Campus in Frankfurt, der um- und rückgebaut wird. Dort konnten wir unter anderem in Kooperation mit Wienerberger – einem unserer größeren Partner – Ziegelmauerwerk zurückbauen und wiedereinbringen. Auch eine komplette Verbindungsbrücke zwischen zwei Gebäuden wird hier aus- und wieder eingebaut.

Und zum Abschluss möchte ist noch das VfB-Stuttgart Stadion erwähnen, das man für die Fußball-Europameisterschaft 2024 umbaut. Dort haben wir unter anderem die Haupttribüne digitalisiert und weitervermittelt – von den Fenstern bis hin zu den Klappstühlen, die jetzt wahrscheinlich bei vielen Fans zu Hause einziehen durften.

 


Auch beim Umbau des FAZ-Campus in Frankfurt legte Concular mit der Aufnahme des Bestands den Grundstein für einen selektiv werterhaltenden Rückbau und brachte Materialien wie Ziegelfassaden und moderne Stahlkonstruktionen wieder in einen Kreislauf ein. © Marian Wentz

 

Es gibt bei Concular also nicht nur konventionelle Materialien, sondern auch skurrilere?

Richtig, die Produktauswahl ist sehr individuell. Das Angebot richtet sich nach der Verfügbarkeit und dem Potenzial an eingesparten Ressourcen und CO2. Der Standard sind natürlich Ziegelsteine, Holzbalken und andere Bestandteile von Gebäuden. Wir hatten aber bereits außergewöhnliche Materialien wie eine Bowlingbahn oder eine Sauna, für die wir neue Besitzer:innen finden konnten.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft?

Unser Ziel ist es, kreislaufgerechtes Bauen zum Standard zu machen. Mit Concular wollen wir alle Akteure bei diesem Wandel hin zu einer zirkulären Bauwirtschaft unterstützen. Das versuchen wir zum einen, indem wir die benötigten Tools und Informationen rund um die verschiedenen Baumaterialien und deren Zirkularität zur Verfügung stellen, zum anderen indem wir uns aktiv an Gesetzgebung und Normung beteiligen. Letztendlich wird der Klimawandel auf der Baustelle entschieden. Deshalb herrscht in der Baubranche so dringender Handlungsbedarf. Eine klimafreundliche Entwicklung kann aber nur dann funktionieren, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen und verstärkt auf Bestandserhalt sowie zirkuläre Modelle setzen.

www.concular.de

 

 

Interview: Edina Obermoser