Vom Kraftwerk zum Creative-Hub

Von der Gewehrfabrik und Schreibmaschinenproduktion bis hin zum lebendigen Büro-, Kultur- und Veranstaltungszentrum – das Heizwerk Erfurt blickt nach 125-jährigem Bestehen auf eine lange Geschichte zurück. Mit der Sanierung, Umnutzung und Erweiterung sorgten hks architekten nun dafür, dass das Industriedenkmal als moderner Arbeitsplatz und Eventlocation auch in Zukunft einen zentralen Bestandteil der deutschen Stadt bildet.

Vom Kraftwerk zum Creative-Hub

Von der Gewehrfabrik und Schreibmaschinenproduktion bis hin zum lebendigen Büro-, Kultur- und Veranstaltungszentrum – das Heizwerk Erfurt blickt nach 125-jährigem Bestehen auf eine lange Geschichte zurück. Mit der Sanierung, Umnutzung und Erweiterung sorgten hks architekten nun dafür, dass das Industriedenkmal als moderner Arbeitsplatz und Eventlocation auch in Zukunft einen zentralen Bestandteil der deutschen Stadt bildet.

 

 

Im Stadtteil Brühl gelegen, zeugt das Bauwerk bis heute von der industriellen Vergangenheit von Erfurt. Mit dem Beginn der Industrialisierung und der Errichtung der königlich-preußischen Rüstungsschmiede 1862 – die vom Militär verwaltet zu einer der größten Deutschlands gehörte – entwickelte sich das Gelände zu einem der ersten Industriegebiete der Stadt. Nach der Schließung der Gewehrfabrik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellte man die Produktion auf Schreibmaschinen um und nutzte das Gebäude schließlich als namensgebendes Heizkraftwerk. 1989 schloss auch das Optima Büromaschinenwerk seine Pforten und das Areal im Brühl wurde schnell zur Industriebrache. Während man die meisten Bauten im Zuge von Umgestaltungsprojekten sukzessive abriss, stand das ehemalige Heizwerk zunächst viele Jahre leer, bevor es ebenfalls Platz für einen Neubau machen sollte.

 

 

Als eine der letzten alten Industrieanlagen spielt das einstige Fabriksgebäude aber sowohl aus städtebaulicher als auch aus architektonischer Sicht eine zentrale Rolle und prägt das Stadtbild des Erfurter Brühls maßgeblich. Deshalb wurde das Heizkraftwerk schließlich – parallel zur Wettbewerbsausschreibung 2010 – unter Denkmalschutz gestellt. Die ebenfalls in der Stadt ansässigen Architekten stellten sich mit ihrem Vorschlag für die Revitalisierung des industriellen Bauwerks die Frage: „Wie wenig ist genug?“ Unter diesem Leitgedanken entwickelten sie ein radikal reduziertes Sanierungs- und Erweiterungskonzept, welches den historischen Bestand behutsam reaktiviert und mit einem bunten Mix aus modernen Arbeitswelten sowie Kultur-, Veranstaltungs- und Gastronomieflächen neu nutzt. Dieser Entwurf konnte auch die Jury überzeugen.

 

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Im Zuge der Umbauarbeiten fokussierte sich das Planerteam laut eigenen Angaben in erster Linie darauf, Altes alt zu belassen. Auf diese Weise sollte nicht nur die Bausubstanz, sondern mit ihr auch der industrielle Charakter des Heizwerks bestehen bleiben. Der ehemalige Fabrikkomplex setzt sich mit der Maschinenhalle und dem großen Kesselsaal mit Kohlenbunker aus zwei Teilen zusammen. Anstatt neue Ressourcen zu verbrauchen, sicherte man die bereits im Bestand verbaute, graue Energie – also sowohl die Energie des eingesetzten Materials als auch jene von Transport und Konstruktion. Die Originalkonstruktion aus Beton, Mauerwerk und Stahl wurde erhalten und nur an den nötigen Stellen repariert und ergänzt. Neben der Tragstruktur blieb auch die Gebäudehülle nahezu unverändert. Auf neue Anstriche und Verkleidungen verzichtete man gänzlich und rückte mit rohen Oberflächen und Materialien den natürlichen, morbiden Charme in den Vordergrund.

 

 

Hinter dem prägnanten Schildgiebel der Hauptfassade entschied man sich mit einem gebogenen Sheddach für eine außen sichtbare Veränderung, die mehr Licht und Luft in die Arbeitsbereiche im Inneren bringen sollte. Zusätzlich mussten die Putzfaschen im Giebel zugunsten von neuen Öffnungen weichen. Um die komplexen, kegelmantelförmigen Formen zu bewältigen, kamen dreidimensionale Planungswerkzeuge zum Einsatz. Ein BIM-Modell lieferte die erforderlichen Informationen und garantierte die nötige Präzision für die Umsetzung der Dachkonstruktion in heimischem Fichtenholz.

 

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Neben den behutsamen Sanierungs- und Revitalisierungsarbeiten fügte man dem historischen Industrieensemble außerdem zwei neue Elemente hinzu: einen Anbau und eine Brücke. Der in Glas ausgeführte Erweiterungsbau dockt an beide Bestandsgebäude an und schließt den zuvor L-förmigen Grundriss des Heizwerks. Entlang der zwei Schnittstellen befinden sich die gemeinsamen Erschließungsflächen, die als transparente Fuge die Zäsur zwischen dem neuen und dem alten Trakt markieren.

 

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Die zweite Ergänzung stellt eine Brücke an der Rückseite dar. Sie entsteht dort, wo einst die Kohle über eine Stahl-Fachwerkbrücke direkt in den Bunker transportiert wurde. Heute dient die Überführung als neue Verbindung zu den angrenzenden, höhergelegenen Stadtvierteln und als alternativer Zugang für Besucher. In 17 m Höhe ist die 45 m lange Brücke als unterspanntes Hängewerk ausgeführt und lagert auf zwei Pylonen. Dank BIM-Planung konnte sie passgenau und materialsparend umgesetzt werden und schafft nun mit ihrer schlanken Gestalt einen modernen Kontrapunkt zum Bestand.

 

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Auch in den Innenräumen zeigen die Architekten, wie durch behutsames Sanieren und Weiterdenken von Bestand ein Beitrag zu identitätsstiftender Baukultur geleistet werden kann. Sie verwandelten den einstigen Industriestandort in eine neue Anlaufstelle für Kulturliebhaber und schufen gleichzeitig vielfältige Arbeitsplätze. Die Räume zeichnen sich wie die Ansichten durch ein geschicktes Zusammenwirken von Alt und Neu aus. Unverkleidete Oberflächen und Originalbauteile machen die historischen Zeitschichten der Fabrik für Besucher und Mitarbeiter sicht- und erlebbar. Die ehemalige Kesselhalle wurde zum multifunktionalen Saal umfunktioniert. An der Decke erinnern hier die massiven Kohletrichter aus Sichtbeton bis heute an die vergangene Nutzung. Zudem verfügt der revitalisierte Komplex über Arbeitsbereiche mit verschiedenen Eigenschaften. Es gibt nicht nur flexible Coworking-Spaces, sondern auch dauerhaft nutzbare Büros. Zu diesen Langzeitmietern gehören auch hks architekten selbst. Sie bezogen den Bau nach Fertigstellung gemeinsam mit den übrigen Nutzern und tragen nun ihrerseits dazu bei, dass das einstige Fabriksgebäude weiterhin mit neuem Leben erfüllt wird.

 

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Heizwerk Erfurt
Erfurt, Thüringen

Bauherr: HEIZcraftWERK Bauherrengemeinschaft
Planung: hks architekten BDA
Lichtplanung: lichtraum
Haustechnikplanung: HKL Ingenieurgesellschaft
Bauphysik: CAALA

Statik: Ingenieurbüro für Bauwesen (Tragwerk & Brandschutzgutachten)
hochundweit/Kim Boris Löffler (3D-Konstruktion Tragwerk)
IBW Ingenieurbüro Wagner (Tragwerk Brücke)
BAU.WERK Planungsbüro Bien (Tragwerk Dach)
Ingenieurbüro Trabert + Partner (Prüfung Tragwerk)
Ingenieurbüro Dr. Krämer (bis 2020)

Bauuntersuchung: MKP
Vermessung, 3D-Scan: b.a.u.w.e.r.k Ingenieurbüro für Architekturvermessung
Landschaftsarchitektur: plandrei Landschaftsarchitektur
Veranstaltungstechnik: Proklang, MOTIV GROUP Eventtechnik
Schallschutz: Ing.-Büro Frank & Apfel

Grundstücksfläche: 5.085 m2
Bebaute Fläche: 3.762 m2
Nutzfläche: 7.500 m2
Planungsbeginn: 05/2018
Bauzeit: 04/2019 – 09/2021
Fertigstellung: 12/2021
Baukosten: 12.874.000 € (exkl. MwSt.)

www.hks-architekten.de

 

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Steven Neukirch