Wohnraum statt Parkplatz
Wo im 19. Arrondissement der französischen Hauptstadt bis vor Kurzem über acht Geschosse verteilt Autos abgestellt wurden, wohnen nun Menschen. Der Auftrag für die Transformation des ehemaligen Parkhauses in neuen Wohnraum stammt von der Wohnungsbaugesellschaft Paris Habitat. Eine Hälfte des Riegelbaus sanierten die Architekten Encore Hereux, die andere ersetzte archi5 durch einen Sozialwohnungsbau in Holzbauweise.
Wo im 19. Arrondissement der französischen Hauptstadt bis vor Kurzem über acht Geschosse verteilt Autos abgestellt wurden, wohnen nun Menschen. Der Auftrag für die Transformation des ehemaligen Parkhauses in neuen Wohnraum stammt von der Wohnungsbaugesellschaft Paris Habitat. Eine Hälfte des Riegelbaus sanierten die Architekten Encore Hereux, die andere ersetzte archi5 durch einen Sozialwohnungsbau in Holzbauweise.
Unmittelbar gegenüber des Parc de la Vilette an der Avenue Jean Jaurès gelegen, gibt die Straße dem Projekt Jaurès Petit seinen Namen. Die Aufgabe bestand darin, das urbane Grundstück im Inneren eines Pariser Straßenblocks umzunutzen. In zwei separaten Bauabschnitten galt es dafür, ein achtstöckiges Parkhaus in ein gemeinsames Wohnbauprojekt mit Geschäftsflächen im Sockelbereich umzuwandeln. Im Mittelpunkt stand dabei, innerhalb des Blockrands ein einheitliches Ensemble zwischen Alt und Neu zu schaffen. Im Zuge des Wettbewerbs für die Umgestaltung des Areals setzten sich zwei französische Büros durch. Die Herangehensweise an das Projekt hätte dabei nicht unterschiedlicher sein können: Während man sich im südlichen Teil des Gebäudes für eine Sanierung und Anpassung des Bestands entschied, sollte die Nordhälfte abgerissen werden. Die lokalen Architekten Encore Hereux revitalisierten die Betonstruktur und verwandelten die einstige Abstellfläche für Autos in 75 Eigentumswohnungen. Auf dem freigewordenen, angrenzenden Platz entstand ein neuer Sozialwohnungsbau in Holz mit 74 Einheiten.
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Der soziale Wohnungsbau von archi5 besteht aus zwei Baukörpern. Im Herzen des Blocks orientiert sich das Hauptgebäude an der Kubatur des ehemaligen Parkhauses. Es dockt direkt an den ertüchtigten Bestand an und führt das Volumen fort. Der Neubau in Holzbauweise umfasst sechs Etagen sowie ein leicht zurückversetztes Dachgeschoss mit umlaufenden Terrassenflächen. In westlicher Richtung schließen außerdem zwei dreigeschossige Querflügel an. Parallel zu dem zentralen Riegel verläuft entlang der Grundstücksgrenze im Osten ein niedrigeres Nebengebäude. Dieses ist zweigeschossig ausgeführt und wirkt mit einer bewegten Trauflinie und leicht in der Höhe versetzten Dächern wie ein Reihenhaus-Ensemble. Eine natürliche Materialpalette mit Lärchenholz und Zinkblech fasst die beiden Trakte einheitlich zusammen, hebt sie aber trotzdem deutlich voneinander ab. Mit den nachhaltigen Werkstoffen griffen die Architekten zudem die Optik der Umgebung auf und wählten eine ökologische Bauweise.
Die Konstruktion des 13 m breiten Riegelbaus in der Mitte beruht auf einer Tragstruktur aus Leimbindern. Brettsperrholzdecken sorgen für die nötige Aussteifung. Vor die – mit einer dunklen, vertikalen Holzlattung verkleideten – Fassaden legt sich ein mächtiges Holzraster. Mit Querschnitten von 20 x 30 cm tragen die hellen Balken des Exoskeletts die vorgelagerten Balkone. Darüber hinaus dienen sie als Schienen für schmale, raumhohe Schiebeelemente aus Holz. Diese schützen vor Einblicken und bieten den Bewohnern in dem Innenhof ein gewisses Maß an Privatsphäre. Zusätzlich verleihen die Läden dem Bau mit ihren leicht schräg positionierten Latten eine gewisse Dynamik, die auch beim Design der Zäune innerhalb des Blocks aufgegriffen wurde. Schwarze Fensterrahmen, Rollläden und Drahtgitter als Absturzsicherung komplettieren die Außenhülle des sozialen Wohnbaus.
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Bei der Gestaltung des Nebengebäudes fiel die Wahl der Architekten aus Montreuil über der dunklen Holzlattung im unteren Niveau auf Zink. Als Stehfalzdeckung legen sich die leicht schimmernden Paneele nicht nur auf die Dächer, sondern umhüllen auch das gesamte Volumen im ersten Stock. Das Metall findet sich im Haupthaus auch in den Ansichten des Dachgeschosses und in den Flügelbauten wieder.
Rund um den neuen Wohnbau und die angrenzenden Baukörper von Jaurès Petit entstehen in dem Straßenblock großzügige Grünflächen. Sie fungieren als gemeinschaftlich genutzter Kern und Herzstück des Projekts. Gestaltet wurden die Außenräume von den Pariser Landschaftsplanern vom Atelier Roberta. Vor den Reihenhäuschen des seitlichen Trakts erinnern kleine Rasenabschnitte an private Vorgärten. Zwischen Gras, Pflanzen und Bäumen erschließt ein Wegesystem sämtliche Volumen auf dem Areal.
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In den beiden Neubauten entstehen auf ca. 4.800 m2 Fläche 74 Appartements. Trotz verdichteter Bauweise und innerstädtischer Lage legte das Planerteam großen Wert darauf, direkt gegenüberliegende Nachbarn zu vermeiden. Dank Ost-West-Ausrichtung sind alle Wohnungen lichtdurchflutet und freundlich und verfügen über vielfältige Blickbeziehungen nach draußen. Die hellen Holzoberflächen der CLT-Decken bleiben im Inneren unverkleidet und bringen gemeinsam mit weißen Wänden und funktionalen Böden ein hochwertiges Finish sowie Gemütlichkeit und Komfort in den Sozialwohnungsbau.
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Mit Jaurès Petit schaffte archi5 mitten in der französischen Metropole den Spagat zwischen behutsamer Integration und subtiler Inszenierung: Die Architekten gliederten die Neubauten stimmig in die Umgebung ein und machten sie trotzdem zum modernen Hingucker. Das Ergebnis ist ein Pilotprojekt, das Verdichtung, erschwingliches Wohnen und hohe Lebensqualität geschickt kombiniert und zusätzlich zum ökologischen Vorbild für künftige Umnutzungsvorhaben in Paris wird. Bei sämtlichen Entwurfsentscheidungen der Wohngebäude standen dabei neben den Bewohnern von Anfang an die Themen Langlebigkeit und Nachhaltigkeit im Fokus. Die Holzbauweise verbessert die Wohnqualität im Inneren der einzelnen Einheiten und macht den Sozialwohnungsbau gleichzeitig zum passiven CO2-Speicher. Außerdem erwies sich das Material – dank vorgefertigter Module – im urbanen Kontext hinsichtlich seiner kurzen Bauzeit und schadstoffarmen Montage als großer Vorteil. So konnte Rücksicht auf die übrigen Anwohner genommen werden, die sich den Block künftig nicht mehr mit Autos, sondern mit den neuen Eigentürmern und Mietern teilen.
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Jaurès Petit
Paris, Frankreich
Bauherr: Paris Habitat OPH
Planung: archi5
Statik: EVP
TGA-Planung: B52
Landschaftsplanung: Atelier Roberta
Bauunternehmen: GTM & Arbonis
Grundstücksfläche: 10.276 m2
Nutzfläche: 4.874 m2
Planungsbeginn: Juni 2016
Fertigstellung: Sept. 2021
Baukosten: 11.9 Mio. € exkl. MwSt.
Text: Edina Obermoser
Fotos: Sergio Grazia