Architektur als positive Befriedigung der Sinne

Interview: Architektur geht für Barbara Poberschnigg weit über die Grenzen der Funktionalität hinaus. Für die Architektin stehen die Menschen im Mittelpunkt. Seit 2015 fokussiert sie sich mit ihrem Büro STUDIO LOIS deshalb darauf, Projekte mit atmosphärischem und emotionalem Mehrwert zu entwickeln. Die Liebe zum Detail ist dabei nicht nur in den Bauten selbst, sondern bereits in den Projektbeschreibungen spürbar, die mit Witz und Schmäh Lust auf mehr machen.

Architektur als positive Befriedigung der Sinne

Architektur geht für Barbara Poberschnigg weit über die Grenzen der Funktionalität hinaus. Für die Architektin stehen die Menschen im Mittelpunkt. Seit 2015 fokussiert sie sich mit ihrem Büro STUDIO LOIS deshalb darauf, Projekte mit atmosphärischem und emotionalem Mehrwert zu entwickeln. Die Liebe zum Detail ist dabei nicht nur in den Bauten selbst, sondern bereits in den Projektbeschreibungen spürbar, die mit Witz und Schmäh Lust auf mehr machen. Im Interview spricht die Tirolerin über die Wichtigkeit von Emotion und Atmosphäre in der Architektur und warum diese oft vernachlässigt werden. Außerdem gibt sie Einblicke in ihre eigene Herangehensweise und erzählt, wie sie mit ihrem Team versucht, individuelle Räume mit Qualität zu schaffen.

 


© Thomas Nikolaus Schrott

 

Die Individualität und Liebe zum Detail schwingt bei all Ihren Projekten mit – wie hat sich der Schwerpunkt Ihres Büros entwickelt?

Der Schwerpunkt des Büros spiegelt uns selbst wider. Diese Richtung war keine bewusste Entscheidung, sondern ein Ausdruck meiner Auffassung von Architektur. Und genau dafür steht auch STUDIO LOIS. Der Name Lois erinnert mich nicht nur an starke Personen in meiner Familie, sondern soll unterschwellig sein und die Distanz zum Gegenüber abbauen. Uns ist es wichtig, keine Grenzen zuzulassen – weder im Denken noch zwischen uns und denen, für die wir Architektur machen wollen und dürfen.

Warum sind Ihnen Emotion und Atmosphäre in der Architektur so wichtig?

Weil das Leben eines jeden Menschen bzw. lebenden Individuums zu einem großen Teil von Emotionen und Stimmungen geprägt wird. Unser Wohlbefinden beeinflusst nicht nur unseren Alltag, sondern auch unsere Interaktion mit anderen. Die Architektur gibt uns Instrumente, um in Räumen eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen und somit die Nutzer:innen (positiv) zu beeinflussen. In der Bildungsarchitektur bildet sich das Raumgefühl beispielsweise in der Produktivität und im Umgang zwischen Kindern und Pädagog:innen ab. Das gleiche gilt für jeden anderen Raum und deshalb spielen Emotionen in all unseren Projekten eine große Rolle – vom Lager und der Garage bis hin zum Schlafzimmer und der Schule.

 

An der bayrisch-tirolerischen Grenze realisierte STUDIO LOIS mit den japanischen Kengo Kuma ­Associates ein Meditationshaus. Das Ergebnis ist ein mehrfach preisgekrönter, ruhiger Ort in dem nun – umgeben von ca. 1.600 Tannenbrettern – mitten im Wald und umgeben von Natur meditiert wird.
An der bayrisch-tirolerischen Grenze realisierte STUDIO LOIS mit den japanischen Kengo Kuma ­Associates ein Meditationshaus. Das Ergebnis ist ein mehrfach preisgekrönter, ruhiger Ort in dem nun – umgeben von ca. 1.600 Tannenbrettern – mitten im Wald und umgeben von Natur meditiert wird. © Schreyer David

 

Wird in der Architektur genug über Themen wie Emotion und Atmosphäre gesprochen?

Das Bewusstsein dafür ist oft nicht vorhanden. Ich glaube aber nicht, dass es sich dabei um einen vorsätzlichen Verzicht handelt, sondern vielmehr um eine fehlende Auseinandersetzung mit dem Thema. Der Aufgabenbereich von uns Architekt:innen ist breit gefächert und erfordert eine allumfassende Arbeitsweise. Insbesondere in Zeiten von Teuerung, Lieferengpässen und anderen ökonomischen Faktoren bleibt häufig wenig Zeit für andere wichtige Kernthemen in der Planung – und das geht dann zulasten von nicht greifbaren Elementen wie Atmosphäre und Emotion.

Wie vereint man Emotion und Atmosphäre mit Funktion in einem Entwurf?

Liest man sich Raumprogramme durch, bemerkt man sofort die Tendenz von uns Menschen zur Organisation und auch zur Separation. Das beginnt beim Einfamilienhaus, in dem wir bestimmten Räumen jeweils eine einzige Funktion zuordnen wollen. Sobald wir aber anfangen uns von diesen fixen Ideen und Grenzen zu lösen, erkennen wir die wahren Qualitäten des Raums. Mit neuen, individuellen Anforderungen erhalten Schlafzimmer und Küche plötzlich neues Potenzial. Die Nutzung erweitert sich – und mit ihr die Atmosphäre. Dieser Effekt lässt sich nicht nur über die Funktion allein generieren, dazu gehören auch Faktoren wie etwa der Kontext und die damit verbundene Orientierung eines Hauses, Ausblicke und mehr. Sie alle spielen in die Atmosphäre eines Projektes hinein und verleihen ihm seinen Mehrwert.

 

„Mut zur Lücke“ lautete das Motto bei diesem Doppelhaus: An die Bauvorschriften adaptiert, fügt es sich zwischen seine Nachbarn ein. Beim Innenausbau legten die Besitzer selbst Hand an. Nun prägen die Räume unverkleidete Massivholz- und Betonoberflächen.
„Mut zur Lücke“ lautete das Motto bei diesem Doppelhaus: An die Bauvorschriften adaptiert, fügt es sich zwischen seine Nachbarn ein. Beim Innenausbau legten die Besitzer selbst Hand an. Nun prägen die Räume unverkleidete Massivholz- und Betonoberflächen. © Schreyer David

 

Welche gestalterischen Maßnahmen tragen zu einem positiven Raum­empfinden bei?

Man kann leider nicht einfach wie bei einer Checkliste einzelne Punkte abhaken, die sich auf jedes Projekt anwenden lassen. Grundsätzlich ist es, denke ich, wichtig, sämtliche Sinne gleichermaßen anzusprechen. Die Architektur beschränkt sich oft auf das Auge, dabei spielen das Hören und Fühlen eine mindestens genau so große Rolle wie das Sehen. Oberflächen und Materialien mit ansprechender Haptik lösen etwas in uns aus. Herrscht in einem Raum eine angenehme Akustik, schafft das ein gewisses Grundvertrauen. Somit stellt Gestaltung eigentlich eine Kombination des positiven Anreizens und der Befriedigung unserer Sinne dar. Meiner Meinung nach gilt es bei dem Thema eher, sich anstatt der „Does“ auf die „Don’ts“ zu konzentrieren. Das bedeutet zum Beispiel, Licht oder Aussichtspunkte bewusst zu platzieren und keine lauten oder mit Farbe und Materialien überfrachteten Räume zu planen. Während einzelne, wohl dosierte Akzente ein positives Gefühl erzeugen, überfordern uns zu viele Elemente schnell und führen zu Unbehagen.

Wie schafft man es, trotz externen Faktoren nicht in Monotonie zu verfallen und individuelle Räume zu entwerfen?

Auch hier gibt es, denke ich, kein Geheimrezept. Der Vorsatz besteht nicht darin, individuelle Räume zu schaffen, die es so noch nie gab. Bei uns im Büro entstehen spezifische Lösungen wie im Pingpong-Spiel im Team. Im Mittelpunkt stehen dabei stets die gemeinschaftliche Ausein­andersetzung mit der jeweiligen Aufgabe und die Diskussion – untereinander und auch mit Bauherr:innen. Teil dieser kollektiven Arbeit sind sowohl gemütliche als auch fordernde Gespräche, die wiederum zu neuen Ideen führen. Zu diesem Prozess gehört auch, die Perspektive immer wieder zu wechseln, die eigenen Überzeugungen sukzessive zu hinterfragen und den Entwurf so anhand unterschiedlicher Faktoren zu überprüfen – und das bis in die Realisierungsphase hinein.

 

Mit dem Umbau der Schulen Kettenbrücke passte STUDIO LOIS das mehrfach erweiterte Bildungsensemble an heutig Maßstäbe an. Anstelle eines Sammelsuriums an Ansichten und Gebäudehöhen rücken einheitliche Putz- und Polycarbonatfassaden
Mit dem Umbau der Schulen Kettenbrücke passte STUDIO LOIS das mehrfach erweiterte Bildungsensemble an heutig Maßstäbe an. Anstelle eines Sammelsuriums an Ansichten und Gebäudehöhen rücken einheitliche Putz- und Polycarbonatfassaden. © Schreyer David

 

Worin liegt hinsichtlich der Thematik die größte Herausforderung bei Bestandsprojekten?

Zum Teil liegt sie darin, dass es bereits Emotionen und Atmosphäre gibt – und diese in heruntergekommenen Bestandsbauten oft negativ behaftet sind. Auch das Thema Respekt spielt beim Umgang mit Bestand eine große Rolle. Wenn bei einer alten Bausubstanz ein talentierter Mensch am Werk war, merkt man ihr das an. Anstatt als erstes an einen Abriss zu denken, gilt es dann – sofern es die Struktur zulässt – diese Qualitäten respektvoll wieder zum Vorschein zu bringen. Diese Achtung hat jedes Gebäude verdient. Selbst in Bauten mit vielen Schwachstellen, steckt meist Potenzial, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. In dieser Hinsicht sollte generell wieder ein größeres Bewusstsein geschaffen werden. Sanierungsprojekte sind natürlich nicht immer die ökonomischste Option und oft auch schwieriger zu kommunizieren. Deshalb bedarf es in diesem Bereich viel mehr Überzeugungsarbeit, die aber für mich zu einem sorgsamen Umgang mit unserem Planeten und seinen Ressourcen gehört. Das sehe ich als Architektin auch als eine meiner Hauptverantwortungen.

 

Natürliche Oberflächen, helle Akustikpaneele und Farbakzente schaffen  in der Innsbrucker Kinderkrippe EDI atmosphärische, kindgerechte Innenräume und legen den Grundstein für eine integrative Kinderbetreuung.
Natürliche Oberflächen, helle Akustikpaneele und Farbakzente schaffen  in der Innsbrucker Kinderkrippe EDI atmosphärische, kindgerechte Innenräume und legen den Grundstein für eine integrative Kinderbetreuung.
© Schreyer David

 

Welche Faktoren haben – abgesehen von der emotionellen Komponente – den größten Einfluss auf Ihre Projekte?

Die Freude am Tun ist für uns der wichtigste Maßstab. Diese Freude multipliziert sich auch durch das Gegenüber. Gibt es Mitspieler:innen, die genauso für ein Vorhaben brennen, spürt man das. Das sind meist auch jene Projekte, die man am Ende gar nicht aus der Hand geben möchte, weil sie einem so am Herzen liegen. Eines meiner Lieblingsbeispiele dafür ist die „HERberge“, eines der Anfangsprojekte von STUDIO LOIS. Es demonstriert für mich, dass Räume tatsächlich die Kommunikation ermöglichen und Integration und Zusammenleben fördern können – und es sich bei diesem Ansatz um weit mehr als eine romantische Idee handelt.

Worin liegt für Sie das größte Potenzial in der Architektur?

Das größte Potenzial liegt, denke ich, darin, dass sie uns lehrt, aus wenig ganz viel entstehen zu lassen. Anstatt überladener „Oligarchenarchitektur“ bringt oft das Reduzieren auf das Minimum das Maximum hervor. Und genau das kann die Architektur den Menschen zeigen.

www.studiolois.io

 

 

Interview: Edina Obermoser