Das begehbare Wimmelbuch

Ein Ort zum gemeinsamen und freien Wachsen, Spielen und Entdecken - das Kinderhaus Kennelbach setzt in der kleinen Vorarlberger Gemeinde ein echtes Zeichen und bildet zugleich den Auftakt der Gestaltung eines neuen Dorfzentrums. HEIN architekten überraschen mit einem kompakten und zurückhaltenden Bauwerk, das im Inneren durch verspielte Details und rationelle Raumnutzung besticht. Ein begehbares Wimmelbuch. Der Beitrag Das begehbare Wimmelbuch erschien zuerst auf architektur-online.

Das begehbare Wimmelbuch

Ein Ort zum gemeinsamen und freien Wachsen, Spielen und Entdecken – das Kinderhaus Kennelbach setzt in der kleinen Vorarlberger Gemeinde ein echtes Zeichen und bildet zugleich den Auftakt der Gestaltung eines neuen Dorfzentrums. HEIN architekten überraschen mit einem kompakten und zurückhaltenden Bauwerk, das im Inneren durch verspielte Details und rationelle Raumnutzung besticht. Ein begehbares Wimmelbuch.

 

Kinderhaus Kennelbach HEIN architekten

 

Wenn es einen Begriff gibt, der das Kinderhaus Kennelbach treffend beschreiben will, dann ist das wohl der der Offenheit. Interessant in diesem Kontext ist aber auch, dass sowohl die Architektur als auch der pädagogische Ansatz dieser Maxime folgen. Nutzer und Raum beeinflussen sich auf diese Weise in bestärkender Art – letztlich zum Besten der Eltern, Betreuer und Kinder.

So wie der Nachwuchs in unseren Vorzeiten rein durch das Beobachten und Nachahmen lernte, funktioniert auch das Konzept in Kennelbach. Während die Kleinsten zu den Älteren aufblicken, übernehmen diese ganz selbstverständlich Verantwortung für die Jüngeren. Essenziell hierfür sind offene Strukturen, die Bewegungs- und Begegnungsräume ermöglichen. Die architektonische Hülle, entworfen von den in Bregenz ansässigen HEIN architekten, lässt eben diese Interaktionen zu, provoziert sie vielmehr noch. So konzipierten die Planer das Kinderhaus ähnlich einem begehbaren Wimmelbuch – voller Überraschungen und Entdeckungsmöglichkeiten.

 

Kinderhaus Kennelbach HEIN architekten

 

Das Kinderhaus Kennelbach will offen und einladend auf seine kleinen Gäste wirken. So werden die Ein- bis Sechsjährigen auch von der Architektur ohne Scheu empfangen. Der zweigeschossige Quader ist mit vertikal angebrachten, schmalen Holzlamellen aus Weißtanne verkleidet, was dem Bauwerk eine natürliche und haptische Anmutung verleiht.  Im unteren Bereich wurde das unbehandelte Holz aus der Region zum Schutz der Kinder gehobelt, weiter oben bildet die sehr raue Struktur des Holzes einen angenehmen Kontrast. In Zukunft soll sich dieser durch die Alterung noch verstärken. Die Zwischenräume wurden in einem kräftigen Rotton lasiert, sodass sich das äußere Erscheinungsbild der Fassade je nach Lichtstimmung und Blickwinkel stetig verändert. “Mit einfachen Mitteln Wirkung erzielen”, beschreibt Architekt Matthias Hein die Herangehensweise an dieses Projekt.

 

[See image gallery at www.architektur-online.com]

So kompakt und zurückhaltend sich das Kinderhaus von außen präsentieren mag – im Inneren dominieren Ideenreichtum und planerisches Geschick. „Kinder kennen weder Vergangenheit noch Zukunft, und – was uns Erwachsenen kaum passieren kann – sie genießen die Gegenwart.“  Was Jean de la Bruyère so treffend in Worte gefasst hat, haben die Architekten in räumliche Strukturen übersetzt. Jede Ecke oder Nische lädt zum spielerischen Erkunden ein, ungenutzte Flächen gibt es somit kaum. Selbst das Stiegenhaus dient nicht nur der praktischen Erschließung des Gebäudes, sondern bietet darüber hinaus – konzipiert als Haus im Haus – Nischen, die zum Verstecken und Spielen einladen. Gekrönt wird dieses von einem kuscheligen “Baumhaus” ganz oben unter dem Dach. Das darüberliegende Oberlicht transportiert die einfallenden Sonnenstrahlen bis ins Erdgeschoss. Während im restlichen Gebäude Oberflächen aus Holz dominieren, sind die Wände des Stiegenhauses mit Tafelflächen beschichtet, welche die Kinder nach Lust und Laune mit Kreide bemalen dürfen.

 

Kinderhaus Kennelbach HEIN architekten

 

Großzügige Fensterflächen vermitteln Transparenz, gewähren Einblicke, ermöglichen aber auch den Ausblick. Auf diese Weise tritt das Kinderhaus in direkten Kontakt mit seiner Umgebung. So steht es im Moment hinter der „Alten Gmoand“, dem Gebäude, in dem heute unter anderem das Postamt untergebracht ist. Langfristig gesehen soll das Kinderhaus allerdings den Auftakt zur Entwicklung eines neuen Zentrums im Dorf bilden. Einige umliegende Gebäude sollen in diesem Zusammenhang abgetragen und durch neue Strukturen ersetzt werden. Der Masterplan von HEIN architekten sieht für die weitere Zukunft vor, Kennelbach das Dorfzentrum zu geben, welches im Moment aus siedlungstechnischer Historie nicht existiert.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Erklärung für die Positionierung des Gebäudes mit dem prominenten Eingang nach Süden, wohingegen die Freiflächen eher untypisch im Norden und Osten liegen. Der Qualität tut dies aber keinen Abbruch, denn die Grünflächen grenzen im Norden ohnehin an eine bewaldete Hangsituation, von der aus keine Erschließung möglich ist. Im Gegenzug lässt sich dieser Wald aber wunderbar als erweiterter Spielbereich nutzen. Zusätzlich gibt es einen überdachten Spielbereich mit Lagermöglichkeiten, in dem sich Kinder aller Altersstufen treffen.

 

 

Den einzigen Einschnitt in das kompakte Gebäude stellt der Zugang dar. Über die Garderoben gelangen die Kinder in das Innere des Hauses. Im Erdgeschoss befinden sich zwei Räume für die Kleinkinder, die als in sich abgeschlossene “Nester” funktionieren. Die Räume verfügen über eine eigene Nasszelle und einen Zugang zum Garten. Sobald die Kleinsten bereit sind, das Haus auf eigene Faust zu erkunden, dürfen sie diesen geschützten Kokon verlassen. Die Stiege kann dann aber von den Betreuerinnen so abgetrennt werden, dass keine Gefahr für die Abenteurer besteht. Außerdem ebenerdig angeordnet sind die Bewegungsräume und die Bereiche für das Essen und Kochen bzw. die Mittagsbetreuung.

 

Kinderhaus Kennelbach HEIN architekten

 

Im Obergeschoss ordnen sich die Räumlichkeiten der drei Kindergartengruppen und der Verwaltung sowie die multifunktionalen Schlafräume um das verbindende Element Stiegenhaus. Es ergeben sich hier aus allen Blickwinkeln immer wieder verbindende Sichtachsen, die das Miteinander im Haus in den Fokus rücken. Generell erfolgte die Entwicklung der Architektur sowie auch des Innenausbaus und der Möblierung in enger Zusammenarbeit mit der pädagogischen Leitung des Hauses. So sind die Räume des Kindergartens keine Gruppen-, sondern Themenräume, deren Besuch und Nutzung von den Kindern selbst gewählt und bestimmt werden kann. Dabei herrscht im gesamten Haus keinesfalls Hektik oder Chaos, vielmehr sind die Kinder völlig bei sich und – wie beim Betrachten eines Wimmelbuches – ganz bei der Sache.

Die kräftigen Farbakzente haben die Architekten frei nach dem Motto des Kinderhaus Kennelbach intuitiv und aus dem Bauch heraus gesetzt. Die dazu passende Signaletik stammt vom Büro Sägenvier aus Dornbirn. Die Gestalter haben die Kinder selbst Bilder zeichnen lassen, die sich dem Thema Größe und Wachsen widmen. Übertragen auf das Tierreich und mittels einer Messleiste mäandern die Ergebnisse nun als grafische Linienstrukturen über die Fensterflächen. Auch die auffälligen Spots, die sich an allen Ecken des Hauses finden lassen, stammen aus der Region: der Vorarlberger Lichtplaner Georg Bechter ist der Urheber.

 

[See image gallery at www.architektur-online.com]

Eine kindgerechte Umgebung umfasst neben den weichen Faktoren aber auch greifbare Fakten und Maßnahmen, allen voran im Bereich des umweltverträglichen und schadstoffarmen Bauens. Während das Untergeschoss in WU-Beton mit Außendämmung ausgeführt ist, wurden die beiden oberirdischen Geschosse als vorgefertigter Holzständerbau realisiert. Durch die kompakte Bauweise und die Wahl nachwachsender Rohstoffe – insbesondere durch den Einsatz von Holz – konnte die Verwendung von grauer Energie für die Baumaterialien gering gehalten werden. Aufgrund der Effizienz und der Eigenstromproduktion trägt das Kinderhaus zudem das Siegel „nearly zero emission“. Zusätzlich konnten 90% der üblicherweise baubedingten Emissionen von „Bauchemikalien“ in die Innenräume vermieden werden.

Das Kinderhaus Kennelbach bietet somit ein umfassend aktivierendes Klima zum Lernen, Spielen und Entdecken. Davon werden auch die Eltern nicht ausgeschlossen. Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen und Austausch mit anderen Eltern und Pädagogen ein. Das Kinderhaus soll ein Ort des gemeinsamen Wachsens sein. Als Grundstein des neuen Zentrums soll von hier aus auch die Dorfgemeinschaft gestärkt und belebt werden. Schön zu sehen, dass gerade die Kinder das Bild dieser zukünftigen Dorfgemeinschaft aktiv und als treibende Kraft mitgestalten können.

 

[See image gallery at www.architektur-online.com]

 

Kinderhaus Kennelbach
Kennelbach, Österreich

Bauherr: Gemeinde Kennelbach
Planung: HEIN architekten ZT
Mitarbeiter: Bernd Rommel, Egon Maier
Bauleitung / Baumanagement: Baukultur GmbH, Schwarzenberg
Statik: merz kley partner GmbH

Grundstücksfläche: 1.915 m2
Bebaute Fläche: 570 m2
Bruttogeschossfläche: ca. 1.000 m2 Neubau
Nutzfläche: 837 m2
Planungsbeginn: 11/2017
Bauzeit: 07/2018 – 09/2019
Baukosten: ca. 3 Mio. Euro netto

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: David Schreyer

 

 

Der Beitrag Das begehbare Wimmelbuch erschien zuerst auf architektur-online.