Der Anfang eines (zirkulären) Transformationsprozesses

Interview mit Peter Kneidinger von materialnomaden. Sievereinen das Know-how der Firmen Bauteiler (Expert:innen für Re-use-Projekt- und Produktentwicklung) und HarvestMAP (eine Plattform für die Vermittlung von Re-use-Bauteilen) unter einem gemeinsamen Namen. Als Pionier im Bereich Circular Design & Architecture ist das kleine Unternehmen auf kreislauffähige Prozesse spezialisiert und möchte so zu einer nachhaltigeren, gebauten Zukunft beitragen. Unter dem Motto "reduce > re:use > re:cycle" widmet sich das interdisziplinäre Team dem Consulting und der Fachplanung mit wiederverwendeten Materialien und Bauteilen. Peter Kneidinger spricht im Interview über die Arbeit der materialnomaden. Er erläutert die Wichtigkeit zirkulärer Ansätze, thematisiert besondere Herausforderungen und gibt anhand von Projekten Einblick in Abläufe und Aufgaben.

Der Anfang eines (zirkulären) Transformationsprozesses

materialnomaden vereinen das Know-how der Firmen Bauteiler (Expert:innen für Re-use-Projekt- und Produktentwicklung) und HarvestMAP (eine Plattform für die Vermittlung von Re-use-Bauteilen) unter einem gemeinsamen Namen. Als Pionier im Bereich Circular Design & Architecture ist das kleine Unternehmen auf kreislauffähige Prozesse spezialisiert und möchte so zu einer nachhaltigeren, gebauten Zukunft beitragen. Unter dem Motto „reduce > re:use > re:cycle“ widmet sich das interdisziplinäre Team dem Consulting und der Fachplanung mit wiederverwendeten Materialien und Bauteilen. Peter Kneidinger spricht im Interview über die Arbeit der materialnomaden. Er erläutert die Wichtigkeit zirkulärer Ansätze, thematisiert besondere Herausforderungen und gibt anhand von Projekten Einblick in Abläufe und Aufgaben.

 

materialnomaden Gruppenbild
© Benedikt Novak

 

Wer sind Materialnomaden und was machen sie?

Wir katalogisieren und analysieren bestehende Bauteile für eine Wiederverwendung im Kontext von Architektur und Bauproduktentwicklung. Zudem bauen wir kooperative Prozesse auf, welche eine zukunftsfähige Architektur und Baubranche ermöglichen sollen. Obwohl das Thema in aller Munde ist, sind wir der Meinung, dass aktuell nichts zirkulär ist. Und genau darauf bauen wir auf und versuchen, dies zu ändern. Wir stehen also am Anfang eines Transformationsprozesses.

Wie sehen ganzheitliche, kreislauffähige Prozesse aus und warum sind diese gerade beim Bauen so wichtig?

Es wäre anmaßend zu sagen, dass wir wissen, wie zu 100 % kreislauffähige Prozesse aussehen. Es gibt nicht nur eine Wahrheit. Unsere Erkenntnisse sind nur einer von vielen Ansätzen. Wir befinden uns in einer Transformation und bis hin zur wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zirkularität ist es noch ein weiter Weg. Mithilfe einer zirkulären Bauwirtschaft könnte man 40 bis 50 % der globalen CO2-Ausstöße vermeiden. Dafür gilt es in erster Linie, Nutzer:innen und Eigentümer:innen zu sensibilisieren und ein Bewusstsein zu schaffen. Insbesondere die Wertschätzung für den Bestand bzw. die gebaute Umgebung und deren Infrastruktur lässt sehr zu wünschen übrig – von der sozialen Ebene bis hin zu den einzelnen Bauteilen.

 

materialnomaden - CUBE Pop-up-Installation
CUBE ist eine Pop-up-Installation, die je nach Materialquelle in Wien wandert, großteils aus rückgebauten Baustoffen besteht und Raum für Vermittlung sowie Veranstaltungen bietet.

 

Welche Parameter sollte man beim zirkulären Bauen berücksichtigen?

Um den Wert einer bestehenden Struktur zu erkennen, muss man zunächst deren Potenziale anhand verschiedenster Bewertungssysteme ermitteln und herausfinden, was sich zur Weiterverwendung eignet. Ein solches Potenzial kann auch der Mehrwert sein, den z.B. ein Gebäude für die Umgebung bietet. Darauf aufbauend lässt sich dann ein Design für die Wieder- bzw. Weiterverwendung entwickeln. Kommen zusätzlich primäre Rohstoffe zum Einsatz, sollte man in einem zirkulären Prozess auf natürliche Materialien wie Stroh, Lehm und Holz oder modulare, leicht demontierbare Bauteile zurückgreifen. Zudem gilt es, inklusiv zu arbeiten, immaterielle Qualitäten zu berücksichtigen und vielseitig nutzbare Räume zu schaffen – auch das bedeutet für uns Zirkularität.

Welche großen Herausforderungen begegnen einem beim zirkulären Bauen? Wie könnte man es vereinfachen?

In meinen Augen gehören die bestehenden Strukturen in der Bauwirtschaft mit ihren eingefahrenen, starren Prozessen zu den größten Her ausforderungen. Dabei stellt z.B. das Thema Kosten ein spannendes Regulativ dar. Viele Kund:innen gehen davon aus, dass Bauen mit Re-use-Materialien billiger ist, obwohl für deren Einsatz genau so viel Arbeit nötig ist. Dieses fehlende Verständnis schränkt uns oft ein und ist eine der Haupthürden. Zukunftsfähiges Planen und Bauen erfordert eine gewisse Grundhaltung und einen Paradigmenwechsel – weg von einer linearen, ressourcenintensiven hin zu einer Kreislaufwirtschaft. EU-Taxonomie-Verordnungen sowie Unterstützungen seitens der öffentlichen Hand bieten ebenfalls ein nützliches Instrument, um zirkuläre Ansätze attraktiver zu machen und die Neugierde zu wecken.

 

materialnomaden -Bei der Realisierung von magdas Großküche und Bürostandort kamen neben eigens angefertigten Lampen auch leuchtende, gefaltete Wandpaneele (neele) aus einstigen Lochblechdecken aus den 80er-Jahren zum Einsatz.
Bei der Realisierung von magdas Großküche und Bürostandort kamen neben eigens angefertigten Lampen auch leuchtende, gefaltete Wandpaneele (neele) aus einstigen Lochblechdecken aus den 80er-Jahren zum Einsatz. © Benedikt Novak

 

Welche Leistungen bieten materialnomaden an? Wer kommt auf Sie zu und wie sieht eine Zusammenarbeit aus?

Wir haben unterschiedliche Interessent: innen. Das sind zum einen Eigentümer:innen, die Material loswerden wollen, sowie Entwickler:innen bzw. Architekt:innen, die uns in Projekte einbinden möchten, und zum anderen große Konzerne mit trägen Betriebsstrukturen, die sich für kreislauffähige Ansätze interessieren (wie z.B. die ÖBB oder die BIG). Jede dieser drei Gruppen benötigt ein individuelles Konzept. Die Basis dafür bildet meist eine sogenannte friday-challenge. Bei dieser handelt es sich um einen Beratungsworkshop, in dem wir zunächst anhand von Ideen und ersten Unterlagen die weitere Vorgehensweise definieren. Darauf aufbauend erfolgt bei Bestandsobjekten in den meisten Fällen eine Analyse sowie die Erstellung eines Bauteilkatalogs. Anhang dieser Dokumentation geht es im nächsten Schritt an das „Herauspicken der Rosinen“. Dabei ermitteln wir jene Elemente, die weiterverwendet werden sollen. Dann steht eine exemplarische Demontage auf dem Programm. Sie dient als Grundlage für die Beauftragung eines Abbruchunternehmens für den Rückbau. Außerdem verwenden wir die gezielt demontierten Bauteile für 1:1-Protoypen und als Muster für den Designprozess bzw. den neuen Entwurf. Werden hingegen für ein Projekt Materialien benötigt, liefern wir Kataloge mit geeigneten Bauteilen.

Welche Möglichkeiten gibt es noch, Re-use-Materialien zu erwerben?

Meist kann bei Re-use-Projekten nicht alles weiterverwendet werden. Nachdem wir mit den Eigentümer:innen bzw. Architekt:innen eine Auswahl getroffen haben, organisieren wir vor einem geplanten Abbruch oft Pop-up-Märkte direkt im Objekt für Interessierte aus der Umgebung. Zusätzlich betreiben wir gemeinsam mit HarvestMAP auch den „re:store“. Das ist eine Online-Plattform bzw. ein Marktplatz für die Vermittlung von Re-use-Bauteilen. Dort gibt es je nach Verfügbarkeit z.B. Werkstoffe wie Dachziegel und Metallwaren, aber auch Türen, Leuchten oder individuelle, upgecycelte Möbelstücke bzw. Einrichtungsgegenstände. Kund:innen haben die Möglichkeit Dinge zu reservieren und sich diese dann vor Ort beim Pop-up anzusehen.

 

materialnomaden - Das Projekt LenA umfasst zwei Gebäude, die zu 70 % aus wiederverwendeten Bauteilen gefertigt werden.
Das Projekt LenA umfasst zwei Gebäude, die zu 70 % aus wiederverwendeten Bauteilen gefertigt werden. Organische Werkstoffe und eine innovative Dachhaut mit Solarpaneel-Schindeln komplettieren das weitgehend energieautarke Design.

 

Welche Aufgaben übernehmen Sie abseits von Organisation bzw. Vermittlung?

Tatsächlich passiert im Hintergrund noch viel mehr. Wir bringen nicht nur Verkäufer:innen und Käufer:innen in Verbindung, sondern liefern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen. In den letzten Jahren haben wir klar definierte Vermittlungsverträge erarbeitet, die keinerlei Graubereiche zulassen und die Basis für den Eigentumswechsel bilden. Diese beinhalten unter anderem Themen wie den Umgang mit Schad bzw. Störstoffen, Haftungsfragen oder die Definition der Zuständigkeiten der beteiligten Parteien. Nach dem Prototypenbau geht es um die fachplanerische Begleitung. Im Zuge dessen entwickeln wir gemeinsam Prozesse für die optimale Integration der Re-use-Bauteile. Dazu gehört unter anderem die Logistik (z.B. die Lagerung der verwendeten Materialien sowie die Organisation der Abläufe auf der Baustelle) und die Zusammenarbeit mit den umsetzenden Gewerken. Wichtig ist dabei sowohl die digitale Einbindung der Bauteile und Kataloge mittels CAD als auch die handwerkliche Arbeit vor Ort. Ohne die Kooperation von Zimmereien, Tischlereien, Baumeister:innen etc. wäre die Weiterverwendung in diesem Rahmen nicht möglich. Wir unterstützen auch in diesem Schritt und stehen mit unserem langjährigen Know-how bis zum Ende zur Seite.

 

Bei dem Projekt Grellgasse arbeiteten materialnomaden unter anderem mit Carla Lo Landschaftsarchitektur zusammen und integrierten Re-use-Materialien in die Neugestaltung des Außenraumes. © Fabian Kessler
Bei dem Projekt Grellgasse arbeiteten materialnomaden unter anderem mit Carla Lo Landschaftsarchitektur zusammen und integrierten Re-use-Materialien in die Neugestaltung des Außenraumes. © Fabian Kessler

 

Welche Aufgaben übernehmen materialnomaden noch?

Wir machen Ausstellungsarchitektur oder begleiten andere Architekt:innen im Prozess und sind außerdem in der Lehre tätig, um Awareness zu generieren. Gemeinsam mit Barbara Buser des Schweizer Büros in situ haben wir z.B. die Circular[X] change-Challenge ins Leben gerufen, die 2022 in Wien stattfand. Diese dient der europaweiten Vernetzung von Pionier:innen und Akteur:innen im Bereich der zirkulären Ansätze in Design und Architektur. Abschließend widmen wir uns im Rahmen des sogenannten Urban Mining (also der Rückgewinnung von Baumaterialien im urbanen Raum) auch der Produktaufbereitung. Mit dem ReParkett konnten wir in Kooperation mit der Firma Weitzer Parkett unser erstes eigenes Industrieprodukt entwickeln und so die Wertschöpfungskette komplett schließen. Dabei kaufen wir das Parkett Kund:innen zu üblichen Kubikmeterpreisen ab und bauen es kostenlos aus. Anschließend wird das Material im Werk in Weiz sorgfältig aufbereitet, bevor es palettiert als normgerechter Stabparkett wieder eingesetzt werden kann. Gerade arbeiten wir daran, ein ähnliches System für Leuchten zu implementieren und geeignete Hersteller:innen dafür zu finden. Gibt es Projekte, die Ihre Arbeit genauer veranschaulichen? Ein besonders schönes Projekt ist das magdas Hotel. Die Auftraggeberin (Caritas Wien) demonstriert mit ihm, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Bestandsstrukturen aussehen kann. Nach der Revitalisierung eines Gebäudes in der Laufbergergasse (erster Standort im Prater, der mittlerweile zur Flüchtlingsunterkunft umgewandelt wurde), waren wir auch bei der Umsetzung des neuen Hauses in der Ungargasse beteiligt. Von ehemaligen Akustik-Deckenpaneelen und Parkettböden bis hin zu mobilen Trennwänden aus den 80er-Jahren, Lampen und Beichtstühlen aus der Kirche, die als Barverkleidung eine neue Verwendung fanden, gelang es, etliche Materialien wieder in den Kreislauf einzubringen. Für magdas Großküche und Bürostandort stellte z.B. das ehemalige Bürogebäude der OMV in der Grellgasse eine wichtige Quelle dar, wo wir viele Reuse-Werkstoffe „ernten“ konnten.

www.materialnomaden.at