Der gläserne Bruder

Eine sehenswerte Architektur, inspiriert von der lokalen Tradition der schindelverkleideten Bauten und gleichzeitig Ausdruck einer innovativen Technologie haben die ov architekti aus Prag für den Glasproduzenten Lasvit in Nový Bor in Tschechien realisiert. Hier trifft sich Moderne mit Kreativität und einer klugen Neuinterpretation der lokalen Baukultur. Der Beitrag Der gläserne Bruder erschien zuerst auf architektur-online.

Der gläserne Bruder

Eine sehenswerte Architektur, inspiriert von der lokalen Tradition der schindelverkleideten Bauten und gleichzeitig Ausdruck einer innovativen Technologie haben die ov architekti aus Prag für den Glasproduzenten Lasvit in Nový Bor in Tschechien realisiert. Hier trifft sich Moderne mit Kreativität und einer klugen Neuinterpretation der lokalen Baukultur.

 

ov architekti - Lasvit Firmencampus

 

Nový Bor (ehem. Hayda) in Tschechien und die gesamte Region am sogenannten Lausitzer Gebirge war seit Jahrhunderten ein Zentrum der Glasfabrikation. In der Stadt waren in vielen Häusern am Palackého Platz seit dem späten 18. Jahrhundert Glasmacher beheimatet. Hier war auch der Wirkungsort von Friedrich Egermann, der durch seine Erfindungen wie Achatglas, Perlmutt- und Biskuit-Emaille, Lithyalinglas oder die gelbe und vor allem die rote Lasur bereits 1832 Weltgeltung erlangte.

Die Firma Lasvit, 2007 gegründet, hat sich seither mit ihren Designprodukten und Auftragsarbeiten für die bedeutendsten Hotels und Institutionen auf der ganzen Welt einen Namen in der Architekturszene gemacht. Sie hat ihren Firmensitz in einem Häuserblock am Palackého Platz. Der Betrieb ist ein wichtiger Teil in der langen Geschichte der nordböhmischen Glasproduktion und das drückt sich auch im Firmenname „Lasvit“ aus. Dieser ist eine Komposition aus den beiden tschechischen Wörtern für „Liebe“ und „Licht“ und deshalb ist auch das Aussehen und die Erscheinung des neuen Firmensitzes keine Überraschung.

 

ov architekti - Lasvit Firmencampus

 

Der Firmencampus der Glasdesignfirma umfasst heute sechs Bauten, die sich – durch schmale Verbindungsgänge miteinander verknüpft – um einen grünen Innenhof gruppieren. Durch internationale Erfolge ergab sich ein größerer Platzbedarf und man wollte mit der notwendigen Erweiterung die Geschichte der bereits existierenden Gebäude weiterschreiben. Lasvit lud daher einige Architekturbüros ein, Vorschläge und Entwürfe für die Neugestaltung des Campus zu machen. Das Briefing war, ein starkes Identitätszeichen und eine Verbindung mit dem Kontext zu schaffen. Gewinner waren die von Štěpán Valouch und Jiří Opočenský gegründeten tschechischen ov architekti aus Prag.

 

ov architekti - Lasvit Firmencampus

 

Die Architekten ersetzten im bestehenden Ensemble zwei der Körper durch Neubauten. Beide sind in ihren Kubaturen und ihrer Formensprache ähnlich. Der Imageträchtigere materialisiert sich gläsern zwischen den beiden auffallendsten – aus der Zeit des volkstümlichen Neobarock und Neoklassizismus stammenden, denkmalgeschützten Bauten an der Nordseite des Platzens. Der durchscheinende, in der Nacht wie ein Kristall leuchtende Körper, gleicht sich in seinen Proportionen an das Ensemble der nebenstehenden Bauten, die schon immer für Glasworkshops verwendet wurden, an.

 

 

Ein zweiter Neubau befindet sich an der nördlichen Seite des Grundstückes und ist komplett mit schwarzen Faserzementschindeln – sowohl Fassade wie auch Dach – bedeckt. Er beherbergt die mehrgeschossige Produktionshalle und tritt eher in den Hintergrund. In diesem Bauteil befindet sich auch ein Luftraum, in dem die eigens (auf Auftrag) gefertigten Glaslüster und -installationen für diverse Designhotels auf der ganzen Welt getestet werden können. Diese haben manchmal bis zu fünf Tonnen Gewicht. Die Fassadengestaltungen beider Baukörper nehmen Bezug auf die für die Region Česká Lípa typischen Schindelverkleidungen.

 

ov architekti - Lasvit Firmencampus

 

Das gläserne Haus – mit seiner prominenten Positionierung zwischen den beiden restaurierten Bauten – wird als eine Art Kommunikationszentrum für die ca. 100 Personen umfassende Mitarbeiterschar benutzt. Hinter der vorgesetzten Fassade aus Glasschindeln bildet eine zweite Glasfassade den konventionellen Abschluss der Räume: Im Erdgeschoss befindet sich eine Cafeteria mit einer zum Innenhof gerichteten, vorgelagerten Terrasse, im oberen Stockwerk findet man einen großen Besprechungsraum unter einer gewölbten Betonrippendecke.

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Die Architektur wird durch ein Stahlbetonskelett gebildet, außerhalb der abschließenden Glaswand liegt noch ein Raster aus Metallstützen und Trägern, auf denen die bildgebenden Glasschindeln aufgebracht sind. Insgesamt sind es 1.400 Stück, je 60 x 60 cm groß, 8 mm dick und 7,5 kg schwer. Sie stehen auf der Spitze und gleichen sich so dem üblichen Erscheinungsbild der traditionellen Architektur mit deren Schindelverkleidungen an. Ihre Größe ist genau überlegt, denn kleinere hätten durch ihre Überlappungen eine zu geringe Lichtausbeute bewirkt und größere wären zu schwer geworden. Steht man vor dem gläsernen Haus in einiger Entfernung und betrachtet das Dach, so scheinen die hier benutzten Glasschindel gleich groß wie an den Wänden zu sein. Das bewirkt die perspektivische Verzerrung und die Dachneigung, denn in Wirklichkeit sind die Dachschindel 120 x 120 cm groß, 10 mm dick und 12 kg schwer. Das größere Format reduziert auch gleichzeitig die notwendige Fugenanzahl. Das ganze System der Glasschindel wurde von Lasvit entwickelt und dermaßen gestaltet, dass es auch für zukünftige, weitere Projekte in der Architektur verwendet und adaptiert werden kann.

 

 

Die seitlichen, den Glasbau flankierenden Bauten wurden von den Architekten – im Einklang mit dem Denkmalschutz – von diversem, nicht notwendigen Zierrat befreit und liebevoll restauriert. In ihren Innenräumen sind zeitgemäße Büroräume untergebracht. Auch hier sieht man, dass die Verwendung von ganz „normalen“ Materialien wie Holz, mit etwas Kreativität zu einem Hingucker werden kann. Die typischen, gehackten Pfosten sind – gepaart mit nüchternen weißen Türblenden und ebensolchen Wänden und puristischen Metallstiegen mit Holzauflagen – sehenswert. Im Eingangsbereich sind die alten Zementfliesen erhalten und geben einen reizvollen Kontrast mit der alten Eingangstüre und den neuen Betonstufen einer Stiege in das Obergeschoss. Sehr deutlich wird die Sprache der Materialien beim Durchschreiten der schmalen Verbindungsgänge zum Glaskörper. Hier verbindet eine lamellenförmige Wand- und Deckenverkleidung aus Holz das Alte mit dem Neuen. Die Schattenfugen in der Wand und Decke erinnern wiederum an die Tradition der volkstümlichen Architektur der Region, allerdings wird auch der Zeit- und Technologiesprung augenscheinlich.

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Während der Bauarbeiten fand man in den Grundfesten einen alten, bisher unentdeckten Brunnen. Von diesem „historischen“ Fund inspiriert beschloss man, ihn als interessantes architektonisches Element sichtbar zu lassen und so kann man heute durch eine Glasplatte bis in die Tiefe bis zur – möglicherweise – einstigen Originalgründung des Hauses blicken.

Der Masterplan des Campus beherbergt Alt und Neu, Tradition und Innovation und durch die Hinzufügung der beiden neuen Körper – einer durchsichtig, beinahe ephemer und der andere schwer, schwarz und geheimnisvoll – berücksichtigt er die Existenz der klassizistischen Bauten, der Volksarchitektur und den Wunsch der Auftraggeber nach einem starken Symbol. In naher Zukunft will man zwei weitere Baukörper hinzufügen, um den städtebaulichen Block in der Stadt zu schließen. Eines der Bauwerke soll ein öffentliches Kaffeehaus enthalten, die Nutzung des zweiten ist noch ungewiss.

 

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Lasvit Headquarters
Nový Bor, Tschechische Republik

Bauherr: Lasvit s.r.o.
Planung: Ing. Arch. Štěpán Valouch, Ing. Arch Jiřì Opanský
Mitarbeiter: Ing. Arch David Balaika, Ing. Arch Anna Schneiderová
Statik: Marcel Vojanec

Grundstücksfläche: 779 m2
Bebaute Fläche: 510 m2
Nutzfläche: 269 m2
Planungsbeginn: 2014
Bauzeit: 2017 – 2019

 

Text: Peter Reischer
Fotos: Tomáš Souček

 

 

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