Es war einmal …
Unter dem Titel "Canal House" verwandelte das Amsterdamer Studio i29 ein heruntergekommenes Gebäude aus dem 17. Jahrhundert in ein lichtdurchflutetes Wohnhaus. Die Lage an den Grachten in der Nähe von Amstelveld eröffnet unerwartete Ausblicke und auch das Innenraumkonzept weiß zu überraschen. Für die zwei Jahre dauernden Renovierungsarbeiten war ein ganzes Team von Spezialisten vor Ort.
Unter dem Titel „Canal House“ verwandelte das Amsterdamer Studio i29 ein heruntergekommenes Gebäude aus dem 17. Jahrhundert in ein lichtdurchflutetes Wohnhaus. Die Lage an den Grachten in der Nähe von Amstelveld eröffnet unerwartete Ausblicke und auch das Innenraumkonzept weiß zu überraschen. Für die zwei Jahre dauernden Renovierungsarbeiten war ein ganzes Team von Spezialisten vor Ort.
Die Hauptstadt der Niederlande ist weltweit bekannt für ihre Vielzahl an malerischen Kanälen, welche das Stadtbild prägen und für das ganz spezielle Amsterdam-Flair sorgen. Der sogenannte Grachtengürtel entstand im frühen 17. Jahrhundert im Rahmen eines Erweiterungsplans, der darauf abzielte, Wohnraum für die rasant wachsende Bevölkerung zu schaffen. Auch das Canal House fällt in die Epoche des Goldenen Zeitalters: Es wurde 1675 erbaut.
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Das Gebäude befindet sich in der Nähe von Amstelveld, einem Platz, der vornehmlich dann zum Leben erwacht, wenn hier Märkte stattfinden, auf denen – natürlich – Blumen, aber auch Antiquitäten angeboten werden. Als die Architekten des ortsansässigen Studios i29 zur Ortsbesichtigung anrückten, erwartete sie hinter einer schmucken Fassade ein relativ heruntergekommenes und baufälliges Gebäude. Gleichzeitig erkannten sie das schlummernde Potenzial und nahmen sich voller Elan der Aufgabe an, das schlafende Dornröschen sachte zu wecken. Allein die akribisch durchgeführten Renovierungsarbeiten dauerten mehr als zwei Jahre und hielten ein ganzes Team an Spezialisten auf Trab.
Grachtenhäuser sind generell geprägt durch eine ganz besondere Architektur, die perfekt auf die Bedürfnisse der Bewohner zugeschnitten war. Sie dienten oftmals gleichzeitig als Wohn- und Arbeitsstätte und wurden vor allem von wohlhabenden Kaufleuten und dem Großbürgertum bewohnt. Letztere benutzten den repräsentativen Eingang oberhalb der Treppe, während den Dienstboten ein eigener Zugang unterhalb der Treppe vorbehalten war. Die Häuser sind schmal und tief gebaut. Zur Vorderseite hin fallen vor allem die verschieden ausgeformten Giebel auf, die sich praktischer- wie imposanterweise in Richtung Straße neigen und an denen meist Eisenhaken als Vorrichtung zum Bewegen von Gütern befestigt waren. Nach hinten verfügen die meisten Grachtenhäuser über eigene Gärten. Klein aber fein, erfüllten diese dennoch schon damals ihren Zweck, Grün und Blumenpracht in die Stadt zu holen. Heute lässt sich hier ganz vorzüglich das eigene Lastenrad parken.
Das Canal House kennt keine Standesunterschiede und gibt sich mit einem Eingang zufrieden. Ohnehin wäre es für die heutigen Bewohner wohl eher eine Zumutung als Erleichterung, den wertvollen Wohnraum noch mit weiteren Untermietern zu teilen. Den Architekten ist es trotz der enormen Tiefe der Räume, dank eines wohl durchdachten reduzierten räumlichen Konzepts, gelungen, das alte Grachtenhaus hell, großzügig und offen wirken zu lassen. Gerade die Sichtachsen, die sich in allen Ecken und über die Ebenen hinweg auftun, tragen maßgeblich zu der einladenden und wohnlichen Atmosphäre bei.
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Das Interieurkonzept zielte darauf ab, verschiedene Bereiche farblich hervorzuheben, um so eine neue Perspektive auf das Denkmal zu eröffnen. Historische Elemente wurden über die Räume hinweg auf unterschiedliche Weise freigelegt oder versteckt. Die Verbindung der verschiedenen Räume ergibt sich neben überraschend inszenierten Blickwinkeln auch aus dem Spiel mit Farben und Finish, indem sich diese von einem Raum in den anderen hinüberziehen. Im Gegensatz zur bestehenden Struktur, sind die modernen Interventionen und die von i29 ergänzte Ausstattungen deutlich zu erkennen. Eine Besonderheit sind die alten Holzdecken, die in vielen Bereichen bewusst in Szene gesetzt wurden. Denn hinter den steinernen Fassaden der Grachtenbauten verbergen sich leichte Holzskelette – die perfekte Antwort auf den Pfahlbau im sumpfigen Untergrund.
Über eine Treppe gelangt man von der Straße aus über eine erhöht gelegene Zwischenebene wieder hinab in das eigentliche Erdgeschoss, wo der erste Blick gleich auf den langgezogenen Küchenbereich mit großem Holztisch aus massiver Eiche fällt. Daneben eine Holztür mit Glaselementen, die in einen kleinen, grünen Innenhof führt. An der langen Wand befindet sich auch ein Ofen und eine halbe Ebene höher ein kleine Sitznische mit Blick auf die Gracht. Weißer Beton, helle Wände und rauer Ziegelstein dominieren die Oberflächen. Durchquert man die Ebene auf seiner ganzen Länge, tut sich im Anschluss an die Küche, markiert durch grün getöntes Glas, ein verstecktes Gästezimmer auf, das mit einem eigenen Bad und Zugang zum Garten ausgestattet ist.
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Die Küche ist durch eine grau gebeizte Eichenwand optisch mit dem darüber liegenden Arbeitszimmer verbunden, das wiederum das Entrée zu den anschließenden Räumen bildet. Das gleiche Grau setzt sich im Wohnzimmer mit imposantem Kamin aus Stein fort, allerdings in Form einer textilen Wandverkleidung, die der Akustik dient. Die erste Überraschung: Ein Oberlicht taucht den überhöhten Raum in strahlendes Sonnenlicht. Die zweite: Die drehbare Bücherwand führt in einen weiteren versteckten Bereich. In dezentes Blau gehüllt, lädt dieser Rückzugsort zum Lesen oder Entspannen ein.
Im obersten Geschoss und unter dem Dachgiebel angelangt, hat sich die Grundfläche des abgetreppt angelegten Volumens bis hierhin in ihrer Tiefe nahezu halbiert. Unter den auf Sicht belassenen, weiß lasierten Holzbalken befindet sich der Schlafbereich mit eingebautem Kleiderschrank sowie ein davon abgetrenntes Badezimmer. Die Duschwände sind mit zweiseitigen Spiegeln versehen, die einen direkten Blick auf die Kanäle ermöglichen und den Raum optisch vergrößern. Das Badezimmer selbst wird dominiert durch eine traditionelle japanische Badewanne und ein dazu passendes freistehendes Waschbecken aus Holz. Über diesem Bereich befindet sich noch eine Relax-Ebene, die über eine Leiter zugänglich ist.
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Um sicherzustellen, dass sich das Haus aus dem 17. Jahrhundert auch nach seiner Rundumerneuerung weiter nahtlos in die bestehenden Stadtstrukturen einfügen würde, mussten die Gestalter von i29 alle Eingriffe und Einbauten individuell und maßgeschneidert vornehmen. Die verschiedenen, sich ständig kreuzenden und überschneidenden Ebenen, boten dabei Herausforderungen und Chancen zugleich. Die Architekten nutzten die Qualität und das Potenzial der Substanz, um mit einigen geschickten Kniffen ein völlig neues Wohnerlebnis zu kreieren. Ein Zuhause, das vermutlich die Bewohner jeden Tag aufs Neue zu überraschen vermag …
Canal House
Amsterdam, Niederlande
Planung: i29
Mitarbeiter: Jaspar Jansen, Jeroen Dellensen, Joep Esseling
Restaurierung: Kodde
Bauunternehmen: G.K. Visbeen & Co.
Innenraumausbau: Schneider Interieurbouw
Grundstücksfläche: 140 m2
Bebaute Fläche: 50 m2
Nutzfläche: 115 m2
Planungsbeginn: 06-2019
Bauzeit: 12 Monate
Fertigstellung: 01-2022
Text: Linda Pezzei
Fotos: Ewout Huibers