Glaubwürdig bleiben
"Letztendlich hat die Architektur nur drei Möglichkeiten, sich auszudrücken: die Geometrie, die Materialität und das Licht. Damit muss sie ihre Geschichten erzählen", so Professor Dietmar Eberle, Gründer von Baumschlager Eberle Architekten. Im Interview spricht Professor Dietmar Eberle über die Notwendigkeit der Umorientierung des Architekturverständnisses weg von der reinen Nutzung hin zum Mehrwert für die Öffentlichkeit.
„Letztendlich hat die Architektur nur drei Möglichkeiten, sich auszudrücken: die Geometrie, die Materiälitat und das Licht. Damit muss sie ihre Geschichten erzählen”, so Professor Dietmar Eberle, Gründer von Baumschlager Eberle Architekten. Im Interview spricht Professor Dietmar Eberle über die Notwendigkeit der Umorientierung des Architekturverständnisses weg von der reinen Nutzung hin zum Mehrwert für die Öffentlichkeit. Auch die Frage, wie Gebäude in Würde altern können – nämlich durch soziale und kulturelle Akzeptanz – treibt den Architekten um. Ihm geht es um die Erkenntnis, dass die Wertschatzung, Identität, „Schönheit“ oder Beliebtheit eines Bauwerks heute im Grunde wichtiger sind für ein ökologisches und verantwortliches Bauen als der reine CO2-Fusabdruck. So sollte sich jeder fragen: Was verändert sich dadurch, dass ich hier baue? Denn nur so lasst sich letztlich auch der Wert einer Immobilie steigern – indem sie über die Generationen wandelbar ist und im öffentlichen Raum fest verankert.
© Baumschlager Eberle Architekten
Herr Professor Eberle, waren Architekt:innen Ihrer Meinung nach früher freier im Denken, Planen und Bauen?
Im Denken sind wir sicher alle noch immer gleich frei, im Planen und Bauen heute aber deutlich eingeschränkter. Immer mehr Planungs- und Baubeteiligte treten auf den Plan. Ich sehe dabei zwei wesentliche Träger, die die Rolle des Architekten verändert haben: zum einen die ständig wachsende Bürokratie, der wir stetig hechelnd hinterherhinken, weil Neues angehäuft, Altes aber nicht abgeschafft wird. Zum anderen ist da die Differenzierung der Projektentwickler, die aufgrund von ökonomischen Hintergründen gewisse Dinge vorschreiben, dass man sich als Architekt manchmal fragen muss: Ist man das noch selbst oder ist das nur der Abdruck des Entwicklers? Aber auch da gibt es – wie überall – gute und schlechte Beispiele. Ich denke, dass momentan eine große Unsicherheit herrscht – gefühlt alle fünf Jahre poppen neue Themen auf, die sich sehr wichtig nehmen, es im Grunde aber gar nicht sind.
Alpe Furx: Das Ensemble aus kleinteiligen Holzbauten fügt sich zurückhaltend in die Naturlandschaft und inszeniert gekonnt den Anblick der Szenerie. © Albrecht Immanuel Schnabel
Wie lässt sich Architektur Ihrer Meinung nach im Kontext zunehmender Zwänge glaubwürdig gestalten?
Gewissermaßen spiegelt sich das schon in der Antwort auf die erste Frage wider – das Ergebnis lässt sich in der Realität beobachten. Denn zu all den externen Zwängen gehört auch, was sich in der Architekturszene selbst abspielt. Während früher die Funktion und der Nutzen zu Form, Ausdruck und Glaubwürdigkeit unserer gebauten Umwelt geführt haben, änderten die Möglichkeiten der Produktion – man denke nur an das Bauhaus – das gesamte Architekturdenken. Die Haltung, sich auf die Funktion und das Programm zu reduzieren, stammt aus dem 20. Jahrhundert und hat nichts mit dem Denken des 21. Jahrhunderts zu tun. Dabei wurden die Gebäude in ihrer Funktion nur für eine Generation gebaut, wobei nachfolgende Generationen anders leben, Räume anders denken und nutzen wollen. Das ist legitim, aber echte Nachhaltigkeit und eine tiefergehende Identität sollten meiner Ansicht nach 100 Jahre oder mehr überdauern. Damit ist die Architektur des 20. Jahrhunderts zum Großteil rein methodisch zum Scheitern verurteilt. Die große Frage des 21. Jahrhunderts ist doch, was ein Gebäude zur Öffentlichkeit beitragen kann. Diese Frage wird aber heute im öffentlichen Planungsprozess noch nicht einmal gestellt. Das führt dazu, dass die Architektur von heute – analog zu den Bauten aus den 60er- und 70er-Jahren – eine geringe soziale Akzeptanz erfährt. Sich also allein auf die Funktionalität und Quantität von Architektur zu beschränken, wird nicht die Lösung sein, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Oder anders gesagt: Die Frage des quantitativen Wachstums in unserer gesellschaftlichen Entwicklung stößt bereits jetzt auf vielen Ebenen an ihre Grenzen – überall erkennen wir: so kann es nicht weitergehen. Dekorative Vorschriften verunstalten nur, wir müssen aber im Grundsatz unser Denken von funktionsbezogener Architektur zu einer gebauten Umwelt ändern, die den öffentlichen Raum definiert. Während unsere Altstädte öffentlicher Aufenthaltsraum sind, sind es die neuen Stadtteile meist nicht – das empfinde ich als große Tragik.
Die wichtigsten Anforderungen an die Planung und Gestaltung des neuen Komplexes der Alpe Furx, der aus einer Gruppe von Chalets und einem Hauptgebäude besteht, waren die sorgfältige Behandlung des Geländes und die Beziehung zwischen den Strukturen, die formale Schönheit und der hohe Freizeitwert. © Albrecht Immanuel Schnabel
Was ist Ihrer Auffassung nach „authentische Architektur“?
Authentische Architektur ist für mich gegeben, wenn es eine große Übereinstimmung der vermittelten Werte und der Person, die sie entwickelt hat, gibt. Eine solche Architektur ist also sehr individuell und lässt sich schwer vergesellschaften, weil sie sich auf Einzelpersonen bezieht. Ursprüngliche, einfache, reduzierte und materialgetreue Architektur ist in meinen Augen noch nicht authentisch, aber eine Haltung, die mir nahe liegt. So zu denken, heißt aber auch, die Flucht in die Vergangenheit anzutreten. Wir können die alten Zeiten dahingegen analysieren und das Wissen von damals in das Hier und Jetzt übersetzen. Ich selbst habe mich eingehend mit dem Thema Energie beschäftigt und bin dabei zu dem Schluss gekommen, dass alle vor dem Ersten Weltkrieg gebauten Gebäude ökologisch viel sinnvoller gedacht sind, als es nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Warum also ist das Wissen verloren gegangen, wie man dem Ort entsprechend baut?
Ein Projektbeispiel, das Ihre Philosophie des methodischen und poetischen Bauens widerspiegelt?
Ich denke, es gibt zwei Arten der Architektur: die „Sonntagsarchitektur“, also Kirchen, Fußballstadien, Museen und so weiter und die „Werktagsarchitektur“ wie Büros, Wohnhäuser, Schulen und mehr. Einfacher für mich wäre es, an dieser Stelle die Sonntagsarchitektur zu benennen – man nehme die Oper in Oslo oder die Elbphilharmonie – das aber sind Monumente, die einen großen Freiheitsgrad in sich tragen, bei dem sich architektonische Wertvorstellungen effektiver durchsetzen lassen. Schwieriger ist da die Alltagsarchitektur, die weniger bekannt und weniger dokumentiert ist. Es gibt aber einige Beispiele, die hinter dem poetischen und methodischen Anspruch eine gewisse Geschichte, Haltung und Wertvorstellung widerspiegeln.
Mit der Alpe Furx zeigen Sie, wie unaufgeregt sich ein Chaletdorf in die bestehende Naturlandschaft einfügen kann – was macht die Qualität des Projekts aus?
Die Qualität besteht in der Selbstverständlichkeit der hiesigen Tradition von Stadeln, also Heulagern, die topografisch gesehen ja sehr spezifisch verortet sind. Man hat mir erzählt, dass die Gäste sich in der Alpe Furx sehr wohlfühlen. In großen Räumen fühlt man sich hingegen oft verloren, also haben wir ein Raumkontinuum mit unterschiedlichen Nischen und Blickrichtungen mit Bezug zur Landschaft geschaffen. Ähnliche Konzepte haben wir bereits früher umgesetzt, denn auch im Einkauf sehen wir oft das Problem weitläufiger Räume. Diese kann man in dezentrale aber verknüpfte Einheiten aufsplitten – so wie im Fall der Alpe Furx vereinfacht gesagt in viele kleine Heustadel unter einem großen Dach.
Holz innen und außen von Lärchenschindeln bis zur Weißtanne und Möbeln aus schwarz gebeizter Esche und Ahorn. © Albrecht Immanuel Schnabel
Wie kann so etwas auch mit Gewerbe- und Industriebauten auf der grünen Wiese gelingen?
Auf dieselbe Weise. Wir leben in reichen Kulturlandschaften, es gibt Unmengen an Typologien aus der Vergangenheit, die wir zwar nicht kopieren, aber weiterentwickeln können. Das entspricht auch meinem Anspruch: Architektur ist für mich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem. Dabei geht es um die Frage nach der Aufgabe und nach dem Standort: Auch der Umgang mit dem öffentlichen Raum ist wichtig. Es gibt für mich keine private Architektur, speziell im Alpenland aber unterschiedliche und starke Identitäten, die es lohnen, sie weiterzuentwickeln. In den vergangenen Jahren wurden diese oft kontrastiert, was meist peinlich anmutet, denn die alten Zusammenhänge sind doch wunderbar und wir sollten sie lieber fortschreiben. Die Vergangenheit können wir Architekten als Quelle des Wissens nutzen, die man auf die Zukunft anwenden kann. Es ist alles eine Frage der Dimension und wie man mit Bauwerken mitten in der Landschaft umgeht. Dafür muss man bereit sein, sich mit der Geschichte des Ortes zu beschäftigen.
Ein Projekt, das Sie unlängst beeindruckt hat und warum?
Da kommen mir einige Wiederentdeckungen in den Sinn, die mir zwar aus der Literatur bekannt waren, die ich aber erst jetzt gesehen habe. Bestes Beispiel Madrid: Da gibt es viele interessante, neue Bauten, die sich in die stadteigene Härte und Tradition fügen – das beeindruckt, weil die Architekten damit das machen, was ich richtig finde: sich aus einer gewissen Identität heraus treu bleiben. Rafael Moneo hat beispielsweise einige Zubauten geschaffen, die so in den Bestand integriert sind, dass sie kaum auffallen.
Interview: Linda Pezzei