Grenzgänger
In den flirrenden Grenzbereich des Prager Stadtraums - eben dort, wo der urbane und natürliche Raum nahtlos ineinanderfließen scheinen - haben die in Brünn ansässigen RO_AR Szymon Rozwalka architects für einen privaten Bauherren ein Einfamilienhaus gesetzt. Ein Volumen, einerseits schlicht und klar und andererseits verspielt und einladend für jeden, der einen Moment verweilen mag.
In den flirrenden Grenzbereich des Prager Stadtraums – eben dort, wo der urbane und natürliche Raum nahtlos ineinanderfließen scheinen – haben die in Brünn ansässigen RO_AR Szymon Rozwalka architects für einen privaten Bauherren ein Einfamilienhaus gesetzt. Ein Volumen, einerseits schlicht und klar und andererseits verspielt und einladend für jeden, der einen Moment verweilen mag.
Unweit des Nationalparks Prokopské údolí und nur einen Katzensprung entfernt von den berühmten Filmstudios Barrandov befindet sich, malerisch in einem Tal gelegen, der gutbürgerliche Prager Stadtteil Hlubočepy. Aus jedem Winkel eröffnen sich hier eindrucksvolle Ausblicke auf die Bögen eines Viadukts und den 310 Meter hohen Hügel Děvín sowie dazwischen eine beinahe wilde Naturlandschaft, die im Laufe der Jahreszeiten nicht mit ihren Reizen geizt. Auf der Grenze dieser beiden Welten – der urbanen Metropole Prag und der unberührten Natur – haben RO_AR Szymon Rozwalka architects für einen privaten Bauherren ein Einfamilienhaus geplant, das mit dieser Gegensätzlichkeit virtuos zu spielen vermag.
Während sich an der nordwestlichen Seite des Grundstücks entlang des Bachs Dalejský ein Biokorridor erstreckt, der durch die markante Lage der Felsformationen von Hlubočepy noch verstärkt wird, ist der Baugrund im Süden und Osten an den städtischen Raum angeschlossen. Dabei handelt sich um eine chaotische und zufällige räumliche Stadtentwicklung. Während dieser Umstand andernorts den Wert eines Baugrunds beeinträchtigen würde, haben die Architekten mit der Form und der räumlichen Gliederung des Volumens eine direkte Antwort auf diesen herausfordernden Kontext gefunden.
Das Konzept der Planer bestand darin, nicht das Grundstück den eigenen Vorstellungen anzupassen, sondern die gewachsene Umgebung in die Baufläche und das Haus hinein zu verlängern. „Auf diese Weise erfährt das Bauwerk eine Abkapselung von der städtischen Welt, für die es zu einem abstrakten Körper wird, der durch seine Form und seinen Maßstab mit den umgebenden Felsen im Hintergrund korrespondiert“, sagen die Architekten. Gleichzeitig geht die Form des Gebäudes auf die Notwendigkeit einer angemessenen natürlichen Belichtung der Räume, auf die Herausforderung eines recht engen Zugangsbereiches und auf die problematische Lage des Nachbargebäudes an der südlichen Grundstücksgrenze ein.
„In den ersten Schritten haben wir ein Gebäude entworfen, dessen Gestalt durch die Methode der Geländeverformung bestimmt wurde. Die Landschaft sollte von der Nordwestseite her fließend in einen künstlichen Hügel übergehen, in den das Haus hineingestellt werden sollte. An der Südostseite sollte der so entstehende «Hügel» unterhöhlt werden, um die Situation eines Eingangshofs unter dem Gebäude zu ermöglichen, der in diesem Teil durch eine weitere rechteckige Geometrie entstehen würde“, erklärt Architekt Szymon Rozwalka das ursprüngliche Konzept.
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Letztlich zwang das zu eng gewordene Budgetkorsett Rozwalka dazu, das zuerst vorgeschlagene Gebäudevolumen erheblich zu verkleinern. „Man entschied sich für die riskante Methode des direkten Wegschneidens „unnötiger“ Elemente, die das Endergebnis erheblich beeinflussen mussten. Eine solche bewusst primitive und direkte Einsparung hat an einigen Stellen letztlich jedoch zu überraschend guten, an anderen Stellen zu eher schlechteren Ergebnissen geführt. Die Veränderungen betrafen dabei fast ausschließlich den organischen, hinteren Teil des Gebäudes und hatten kaum Auswirkungen auf die Innenräume, die nach dem ursprünglichen Konzept durch das Aufeinandertreffen von organischen und rechteckigen Geometrien entstanden sind“, legt Rozwalka weiter dar.
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Betrachtet man das Einfamilienhaus Hlubocepy als zufällig vorbei spazierender Besucher einzig und unbedarft im Nachhinein, so wirkt das Bauwerk trotz einer gewissen vorherrschenden Chaotik durchaus harmonisch und in sich ruhend. Die einzelnen, eher kantigen Kuben sind zur Straßenseite hin gefasst durch eine semitransparente Lamellenstruktur aus Thermoholz, die das Ineinanderfließen von Außen und Innen perfekt in Szene setzt und den Ecken einiges an Schärfe nimmt. Ganz getreu dem Motto des Kontrasts wurden die Wände an anderer Stelle wieder offen belassen und bieten mit den großflächigen Glasfassaden und der schwungvollen räumlichen Entwicklung in Richtung Himmel ein Bild so wild wie die umgebende Landschaft.
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Im Inneren hingegen wirkt alles ruhig und balanciert. Eine elegant geschwungene Decke aus Sichtbeton öffnet den Raum und fängt zusammen mit den orthogonal gebauten Wänden und Decken – ebenso ausgeführt in Sichtbeton – die warmen Sonnenstrahlen ein. Die skulptural ausformulierte Treppe wurde ebenso wie ein Teil des Bodens in lebhaftem Eichenholz ausgeführt, wobei an anderer Stelle ruhige Keramikfliesen dominieren, die sich auch an den Wänden wiederfinden. Eigens entworfene Einbaumöbel aus Beton und Eiche runden den Raumeindruck gelungen ab und setzen dezent platzierte Möbelstücke bewusst in Szene.
Von außen in seiner Gesamtheit betrachtet, sorgt das begrünte Dach in Kombination mit der Holzstruktur und der durchdachten Landschaftsgestaltung des Grundstücks optisch für ein Verschwimmen von Nah und Fern, wobei man nicht mehr sicher sein kann, was noch zum Garten und was schon zum Horizont gehört. Ein Grenzgänger auf allen Ebenen.
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Einfamilienhaus Hlubocepy
Prag, Tschechien
Bauherr: Privat
Planung: RO_AR Szymon Rozwalka architects
Design Team: Szymon Rozwalka, Adéla Kyselová, Ada Rypl-Žabčíková, Jakub Staník, Jan Vojtíšek
Statik: STATIKA Olomouc
Haustechnik: Projekce TZB Prokeš
Landschaftsarchitekt: Flera
GU: Bursik Holding
Grundstücksfläche: 2.495 m2
Bebaute Fläche: 268 m2
BGF: 331 m2
Nutzfläche: 260 m2
Planungsbeginn: 2015
Fertigstellung: 2021
Text: Linda Pezzei
Fotos: Viola Hertelová