Martin Rauch – Den Lehmbau die Stadt aneignen lassen
Interview - Der Lehmbau wird von Martin Rauch seit über drei Jahrzehnten theoretisch und praktisch erforscht, mit dem Ziel, ihn an den heutigen Stand der Technik anzupassen und in der zeitgenössischen Architektur zu etablieren. Sein Interesse gilt dabei vor allem auch Stampflehmbauten. Durch seinen Ehrgeiz und sein Wissen zählt er zu den wichtigsten Lehmbauexperten weltweit. Der Beitrag Martin Rauch – Den Lehmbau die Stadt aneignen lassen erschien zuerst auf architektur-online.
Der Lehmbau wird von Martin Rauch seit über drei Jahrzehnten theoretisch und praktisch erforscht, mit dem Ziel, ihn an den heutigen Stand der Technik anzupassen und in der zeitgenössischen Architektur zu etablieren. Sein Interesse gilt dabei vor allem auch Stampflehmbauten. Durch seinen Ehrgeiz und sein Wissen zählt er zu den wichtigsten Lehmbauexperten weltweit. Er unterstützt Architekturbüros bei der Umsetzung von Lehmarchitektur und leistet mit seiner Lehrtätigkeit, seinen Publikationen und Fachvorträgen einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung von Lehm als bedeutendes Baumaterial.
Was begeistert Sie an Lehm als Baumaterial?
Lehm ist eines der ersten Baumaterialien überhaupt und es ist auf der ganzen Welt unbegrenzt verfügbar. Es ist ein sehr ursprüngliches Material, leicht formbar, nachhaltig und gesund. Lehm ist sehr verkannt, das macht es spannend ihn neu zu entdecken.
Inwiefern ist Lehm ein begrenzt eingesetztes Baumaterial?
Gesellschaftsbedingt und auch durch die Industrialisierung ist es so, dass jedes neue Baumaterial besser angesehen wird als das alte. Das Alte hat man eigentlich immer wieder vergessen. Lehm hat natürlich auch seine Limits. Er ist relativ schwach und praktisch wasserlöslich. Das hat man oft als negatives Kriterium gesehen, wobei die Wasserlöslichkeit eigentlich auch die größte Tugend ist. Dadurch kann er recycelt und so oft man möchte wiederverwendet werden. Wir haben verlernt mit den Limits des Baumaterials zu arbeiten. Die Grenzen von Lehm muss man kennen, um mit ihm arbeiten zu können. Lehm ist noch nicht zertifiziert, wodurch es kompliziert ist ihn anzuwenden. Etwas was man nicht kennt, wird oft nicht in Erwägung gezogen.
Vor mittlerweile fast 15 Jahren baute Martin Rauch sein eigenes Wohnhaus in Vorarlberg aus Stampflehm. Heute würde er es zwar genauso bauen, aber noch konsequenter und radikaler umsetzen. © Beat Bühler
Wieso ist Lehmbau wieder verstärkt präsent?
Im Zuge der Klimafrage und der Nachhaltigkeitsdebatte sucht man natürlich neue Wege. Wir wissen, dass die herkömmlichen Baumaterialien zu viel CO2 verursachen. Die wirklichen Alternativen sind dabei Holz und Lehm. In Bezug auf das gesamte Bauvolumen in Europa ist Lehm noch nicht wirklich präsent, das Interesse ist aber ganz stark vorhanden. Bei der Wahl der Baumaterialien ist die Kostenfrage noch immer größer als die nach Ökologie oder Nachhaltigkeit.
Sehen Sie es als Ihre Aufgabe, Vorzeigeprojekte aus Stampflehm für den „Eigenbedarf“ zu bauen, um zu zeigen, was mit Lehm alles möglich ist?
Als Planer, Bauherr und Baumeister kann ich ein Projekt mit mir selbst ausmachen. Ich kann an die Grenzen gehen und das Material ausloten. Das sehe ich als Selbstversuch und Forschungsprojekt, um aufzuzeigen, was mit Lehm alles möglich ist. Der Selbstversuch war immer ein wichtiges Instrument, um Projekte risikofrei umzusetzen. Die Projekte und Elemente wurden ausprobiert und werden dann weiterentwickelt. Denn Lehmbau überzeugt durch gebaute Beispiele.
Sind Lehmbauten im städtischen Umfeld denkbar?
In Zukunft werden immer mehr Leute in der Stadt wohnen, es ist also wichtig, den Lehm dorthin zu bringen. Die Lehmbautechniken müssen der Stadt gemäß entwickelt werden. In der Stadt gibt es immer auch einen gewissen Platzmangel, der es erforderlich macht, dass man mit vorgefertigten Modulen die Städte zusammenfügt. Genauso wie man Betonelemente zusammenfügt, kann ich mir vorstellen, dass man Lehmbau mit Modulen und Systembauweisen städtisch weiterentwickeln wird.
[See image gallery at www.architektur-online.com]
Für das Ricola Kräuterzentrum schätzten die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron die Expertise von Martin Rauch, der sie bei der Umsetzung der Stampflehmfassade einbrachte. © Benedikt Redmann
Welche Eigenschaften des Lehmbaues sind für die Stadt wichtig?
Er hat eine sehr gute akustische Schutzfunktion, könnte also im Innenraum gut für Wohnungstrennwände verwendet werden. Er ist feuchtigkeits- und klimaregulativ sowie geruchsabsorbierend, was wichtige Voraussetzungen für gesundes Wohnen auch in der Stadt sind. Lehm als Baustoff kann effektiv mithelfen, mit weniger Technik und weniger Energieeinsatz behagliche Behausungen zu ermöglichen. Die Kombination zwischen Holz und Lehm könnte eine ideale Kombination sein für zukünftiges Bauen in Städten. Holz ist konstruktiv wahnsinnig stark, ist aber sehr leicht und braucht dazu eine entsprechende Speichermasse. Lehm speichert die Wärme und hat einen sehr guten Feuerschutz. Wenn der Wille da ist, könnte man aus dieser Materialkombination neue Konstruktionen entwickeln.
Wieso wurden bis jetzt noch keine größeren Lehmbauten im innerstädtischen Bereich umgesetzt?
Die Voraussetzung der Machbarkeit muss da sein. Es muss einen Bauteilkatalog und genug Firmen geben, die diese Produkte anbieten. Eine Zertifizierung ist auch dringend notwendig. Wenn das Einbauen von Lehmelementen einfacher wird und ökologische Vorgaben gesetzt werden, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit bis sich der Lehmbau durchsetzt. Die Qualität des Lehmbaues selbst ist schon präsent, auch in den Köpfen der Menschen und Planer. Das Bauen mit Lehm ist in der Umsetzung noch schwierig und hat noch Prototypcharakter. Aus diesem müssen wir den Lehm befreien, damit er zum Standardmaterial werden kann.
Die Werkhalle Erden wurde als Hybridkonstruktion von Holz und Lehm realisiert. In dieser Technik konnte man die enorme Größe der 64 m langen und bis zu 24 m breiten Halle umsetzen. In ihr möchte Martin Rauch Stampflehmelemente vorfertigen. © Hanno Mackowitz
Für welche Bauaufgaben kann der Lehm in der Stadt eingesetzt werden?
Zuerst braucht es Pilotprojekte, was Schulen, Kirchen oder Versammlungshallen sein können. Die große Masse liegt aber im Wohnbau. Damit das in Zukunft möglich ist, arbeiten wir an einem Bauteilkatalog, damit man mehrgeschossige Wohnsiedlungen mit Lehm und Holz relativ einfach umsetzen kann. Das Bauen mit Lehm und Holz muss einfacher werden und es braucht Prototypen, damit er im größeren Stil im Wohnbau eingesetzt werden kann. Ich bin überzeugt, dass sich das durchsetzen kann und zu einem praktikablen Konzept wird, damit ehrlich nachhaltiger Wohnraum geschaffen wird.
Wird Lehm in Zukunft andere Baumaterialien ersetzen?
Man darf nicht den Fehler machen und glauben, dass Lehm Beton oder andere Baumaterialien ersetzt, denn er ist immer eine Hybridkonstruktion. Beton ist eigentlich ein geniales Material, wird aber zu inflationär verwendet und muss auf das Minimum reduziert werden. Beton benötigt man aber auch im Lehmbau, etwa als Fundament, Tragkonstruktion oder Ringbalken. Der Lehm ist in Kombination stark, vor allem mit Holz oder Beton. Um große Strukturen zu schaffen, benötigt er immer eine Verbindung mit verschiedenen Bautechniken. Dann wäre Lehm im städtischen Kontext auch ein Hauptmaterial, aber es ist eben nicht das Alleinige.
Der Alnatura Campus in Darmstadt wurde von haascookzemmrich STUDIO 2050 als Firmensitz für die gleichnamige Marke gestaltet. Durch die Expertise von Martin Rauch konnte hier mit industrieller Vorfertigung Europas größtes Gebäude mit Lehmfassade geschaffen werden. Dafür erfolgte die Auszeichnung mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2019. © Olaf Wiechers
Wie kann sich die Identität der Stadt durch den Lehmbau verändern?
Der Lehmbau eignet sich die Stadt an. Wir müssen uns als Benutzer und Bauherr ändern und weg vom Überperfektionismus kommen. Die Natur und die Vergänglichkeit muss mehr zugelassen werden. Die Außenwände von Stampflehmbauten erodieren und es werden die feinen Teile ausgewaschen. Diese Veränderung ist kein technisches Problem, denn die Erosion kann kalkuliert werden. Es ist eher ein psychologisches Problem. Verwitterte Holzfassaden finden schon langsam Akzeptanz, beim Lehmbau ist das aber oft noch nicht so. Da muss noch mehr geforscht, vermittelt und vor allem mehr Beispiele gesetzt werden. Dass man vierzig Prozent der Baumasse einer Stadt in Lehmbau ausführt ist durchaus möglich. Diese Stadt schaut dann aber anders aus als die, die wir heute kennen.
Wie kann sich der Lehmbau in der Architektur etablieren?
Für den Lehm müssen wir eine andere Architektursprache entwickeln für den Innen- und auch den Außenraum, die diese Veränderungen des Lehmbaues zulässt. Bei Wohnungsgrundrissen muss man beispielsweise mit dickeren Wänden arbeiten. Das heißt wir müssen weg von Investoren dominierten Quadratmeterkalkulationen, hin zu Raumqualität durch Architektur und Material. Wenn wir tiefgreifend eine Stadt ökologisieren wollen, dann schaut diese Stadt anders aus, ist aber sicherlich lebenswerter.
Der Beitrag Martin Rauch – Den Lehmbau die Stadt aneignen lassen erschien zuerst auf architektur-online.