Nachwachsende Rohstoffe haben noch immer schlechte Karten

Interview: Ursula Schneider beschäftigt sich seit 30 Jahren mit ökologischer, klimasensitiver Architektur. Als Leiterin des Wiener Architekturbüros POS, Lehrende und Vorsitzende des Ausschusses Nachhaltiges Bauen in der Kammer der ZiviltechnikerInnen steht sie für nachhaltige Themen wie passive Gebäudeplanung, CO2-neutrales und kreislauffähiges Bauen und gibt diese Werte auch weiter. Ihr nachhaltiger Fokus war von Anfang an vorhanden und entwickelte sich von solarer Architektur hin zu einem ganzheitlichen Ansatz voll zukunftsfähiger Gebäudekonzepte.

Nachwachsende  Rohstoffe haben noch immer schlechte Karten

Ursula Schneider beschäftigt sich seit 30 Jahren mit ökologischer, klimasensitiver Architektur. Als Leiterin des Wiener Architekturbüros POS, Lehrende und Vorsitzende des Ausschusses Nachhaltiges Bauen in der Kammer der ZiviltechnikerInnen steht sie für nachhaltige Themen wie passive Gebäudeplanung, CO2-neutrales und kreislauffähiges Bauen und gibt diese Werte auch weiter. Ihr nachhaltiger Fokus war von Anfang an vorhanden und entwickelte sich von solarer Architektur hin zu einem ganzheitlichen Ansatz voll zukunftsfähiger Gebäudekonzepte.

 

Ursula Schneider - Leiterin des Wiener Architekturbüros POS, Lehrende und Vorsitzende des Ausschusses Nachhaltiges Bauen in der Kammer der ZiviltechnikerInnen
© Danielle Basser

 

Was sind die größten Herausforderungen in der Architektur und für ArchitektInnen?
Eine große Herausforderung ist bestimmt, dass die Ausführungsplanung immer komplexer wird und stets neue Felder dazukommen. Vor allem im Bereich Elektrotechnik und Haustechnik bedeutet das einen großen Abstimmungsaufwand. Oft gibt es dann Schnittstellen, wo noch gar nicht definiert ist, wer was zu bearbeiten hat. Viele Bauelemente haben sich technisch in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt und können heute viel mehr – z.B. Türen. Die Planung dieser zum Teil komplexen Komponenten, wird dann nach wie vor bei den ArchitektInnen gesehen, obwohl uns selbst das Fachwissen fehlt.

Wo macht sich diese Entwicklung besonders bemerkbar?
Es bilden sich vor allem im (elektro-)technischen und Informatik-Bereich neue Berufsfelder aus, die aber von den Bauherren noch nicht beauftragt werden. Für Steuerungen von Hochbauteilen wie z.B. Türen, Lüftungsflügeln oder Sonnenschutz gäbe es heute Mechatroniker, die sich mit dieser speziellen Art der Mess-Steuer-Regeltechnik beschäftigen. Dass diese auch beauftragt werden sollten, wird aber oftmals vergessen.

Gibt es heutzutage noch weitere besondere Herausforderungen für ArchitektInnen?
Neben den rasanten technologischen Veränderungen, werden auch die Normen und Gesetze immer mehr und mehr. Diese Änderungen sind teilweise sinnvoll, teilweise weniger. Sie passieren mit einer Frequenz, die es uns schwer macht, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Kaum ist eine OIB-Richtlinie, Bauordnung oder Norm draußen, kommt die nächste. Schwierig ist dabei vor allem, dass die Honorare oft nicht dem entsprechen, was an Schulungen eigentlich notwendig wäre.

 

Das Projekt Wohnen im 8ten zeigt wie Nachverdichtung aussehen kann. Mitten in Wien treffen hier hochwertige Wohn- und Freiräume aufeinander. Energieeffizienz und Langlebigkeit stehen mit optimierter Dämmung, Dreifachverglasung und einer Natursteinfassade im Mittelpunkt.
Das Projekt Wohnen im 8ten zeigt wie Nachverdichtung aussehen kann. Mitten in Wien treffen hier hochwertige Wohn- und Freiräume aufeinander. Energieeffizienz und Langlebigkeit stehen mit optimierter Dämmung, Dreifachverglasung und einer Natursteinfassade im Mittelpunkt.
© Liv Immobilien

 

Wie sehr wirken sich Themen wie Rohstoffverknappung und Preisdruck auf die Arbeit aus?
Derzeit sind durch Corona Lieferengpässe bemerkbar. Manche Sachen gibt es einfach nicht, oder ewig lange nicht. Wir wollten bei einem aktuellen Bauvorhaben ein paar Duschtüren in einer bestimmten Farbe haben, die bekommen wir erst in 5 Monaten.
Produkte wie Stahl werden seit einigen Jahren kontinuierlich teurer. Soviel ich weiß, gibt es in manchen EU-Ländern auch schon eine Verknappung bei Sand und Kies, bei uns jedoch noch nicht.

Ist hinsichtlich Themen wie Klimawandel und Nachhaltigkeit ein Umdenken zu bemerken?
Um die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit kommt heute niemand mehr herum. Sie können keinem egal sein. Speziell bei professionellen Auftraggebern ist ein Umdenken zu bemerken, dass dies schnell genug wäre, könnte ich aber nicht behaupten. Die Frage ist immer, wie ernst man die Thematik nimmt und was man darunter genau versteht: Betrachtet man nur einzelne, wenige Teilbereiche oder geht es um eine ganzheitlichere und engagierte Betrachtung?

Sind die Auftraggeber die einzigen, wo sich das bemerkbar macht?
NutzerInnen sehen das Thema Nachhaltigkeit zwar wohl global, aber nicht, dass es sie selbst betrifft und sie viel dazu beitragen könnten. Gebäudeintegrierte Photovoltaik sollte z.B. einen Beitrag dazu leisten, dass wir gesamtösterreichisch den Umstieg auf 100% erneuerbare Energien schaffen, nicht damit jeder einzelne dann mit „reinem“ Gewissen mehr Strom verbrauchen kann – und das ist in der breiten Bevölkerung noch nicht angekommen bzw. es wird zu wenig darüber aufgeklärt. Man könnte dem Otto Normalverbraucher sagen, was sein Gesamtenergiebedarf sein sollte, um einen ausreichenden Beitrag zur Energiewende zu leisten – von den eingesetzten Materialien noch gar nicht gesprochen… 

Prognosen der Klimakrise gibt es seit den 80er-Jahren. Die Politik hat hier geschlafen, sie denkt immer noch in zu kurzen Zeiträumen und entscheidet nur, was sie für mehrheitsfähig hält. Wenn Österreich bis 2030 zu 100% auf erneuerbaren Strom umgestellt sein soll, hätte man dafür auch viel früher die Voraussetzungen schaffen müssen. Wenn ich weitreichend Dächer für Photovoltaik nutzen will, muss das auch rechtlich, technisch und von der Größe der sinnvoll nutzbaren Flächen her möglich sein. Das benötigt Vorbereitung.

 

Die österreichische Botschaft in Jakarta war nicht nur das erste „grüne Botschaftsgebäude“, sondern auch das erste Passivhaus Indonesiens. Mit minimaler Haustechnik und lokalen Materialien vereint es Raumqualität, Klimakomfort und Nachhaltigkeit.
Die österreichische Botschaft in Jakarta war nicht nur das erste „grüne Botschaftsgebäude“, sondern auch das erste Passivhaus Indonesiens. Mit minimaler Haustechnik und lokalen Materialien vereint es Raumqualität, Klimakomfort und Nachhaltigkeit.
© Lucko Prawito

 

Können Architekturbüros auch dazu beitragen?
Natürlich könnten wir da mehr tun, aber ArchitektInnen sind Dienstleister und müssen vor allem das machen, was seitens eines Auftraggebers gewünscht wird – ist das ein Gebäude aus nachwachsenden Rohstoffen, planen sie das, wird es nicht gefordert, scheidet diese Variante meist aus. Einen Wettbewerb gewinnt man mit Nachhaltigkeit nicht, da sind andere Faktoren wichtiger – damit würde man einen Wettbewerb aber auch überfrachten. Trotzdem sieht man bei einer Ausschreibung sofort, wie ernst es ein Auslober mit dem Thema Nachhaltigkeit meint. Ambitionierte Ziele wie ÖGNB-Zertifikate über 950 Punkte, weitestgehend erneuerbare Energiebereitstellung auf dem Grundstück, Anforderungen hinsichtlich Rückbaubarkeit oder möglichst wenig Abfall im Bauprozess stehen leider kaum drin.

Inwiefern wirkt sich die voranschreitende Digitalisierung auf die Arbeit von ArchitektInnen aus?
Das bemerkt man darin, dass Architekturbüros auf BIM-Planung umsteigen. Die Arbeit der unterschiedlichen Disziplinen an einem gemeinsamen Gebäudemodell steckt meiner Meinung nach aber noch in den Kinderschuhen, da es die Datenmengen noch kaum zulassen – das ist aber bestimmt die Zukunft. Momentan arbeiten wir über Schnittstellen. Schwierig ist dabei, dass die einzelnen Beteiligten ganz unterschiedliche Parameter abfragen müssen und deshalb im Aufbau völlig unterschiedliche 3D-Modelle brauchen. Einfacher wird der Prozess bzw. die Arbeit durch die Digitalisierung nicht, man setzt damit vor allem komplexere Dinge als früher um.

Was müssen moderne Produkte, Baustoffe und Technologien können, um diesen Prozess zu unterstützen?
Ich denke, da ist sehr viel Entwicklung im Gange, die durchaus auch einer Ökologisierung zugutekommen könnte. Für mich geht es hauptsächlich um zwei Punkte: Zum einen wird man meiner Meinung nach auf Seite der Verarbeiter aufrüsten müssen, um vermehrt auf ökologischere, oft aufwendiger zu verarbeitende Produkte umsteigen zu können. Heute sind die Arbeitskräfte am Bau in vielen Bereichen immer noch ungelernt.

Zum anderen könnte es verstärkt in Richtung Robotik und 3D-Druck gehen. Damit lassen sich ganz andere Formen realisieren. In beiden Fällen müsste man die Leute in völlig neue Richtungen qualifizieren.

 


Für das Sperlgymnasium in Wien entwarf POS architecture einen Neubau, der den Bestand harmonisch ergänzt. Automatisierte Fenster, Speichermasse und als Lernzonen ausgebildete Lufträume regulieren das Raumklima.
© Hertha Hurnaus

 

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Lieferanten und Herstellern bzw. gibt es Verbesserungsbedarf?
Im Großen und Ganzen funktioniert sie gut. Hinderlich ist manchmal, dass wir mit den ausführenden Firmen keinen Kontakt aufnehmen können – weil diese im Planungsprozess noch nicht feststehen. Hinsichtlich Produktherstellern wäre es interessant, wenn diese die Zusammenarbeit mit uns suchen würden. Generell reagieren die Firmen vor allem auf gesetzliche Rahmenbedingungen. Hier ist wieder der Gesetzgeber gefragt: Es braucht mehr ökologische Rahmenbedingungen. Dann würden große Hersteller und Industrien ihre Produktpalette umstellen und sich in eine nachhaltigere Richtung entwickeln. Ohne gesetzliche Vorgaben stecken sie aber natürlich weniger Ressourcen in eine diesbezügliche Forschung, weil sie nicht wissen, ob sie damit auch reüssieren werden.

Was macht für Sie ein Produkt nachhaltig, effizient bzw. smart?
Seine Inhaltsstoffe. Wichtig sind Kriterien wie die Humantoxizität, die Auswaschung von bedenklichen Stoffen in den Boden bzw. ins Wasser und ob ein Produkt rückgebaut werden kann. Beispielsweise Verbundwerkstoffe lassen sich später schwierig trennen, das würden wir vermeiden.

Um welche Entwicklung führt in den nächsten Jahren kein Weg herum?
Mehr Sanierung. Wir werden auch vermehrt die spätere Umnutzbarkeit von Gebäuden bedenken und dementsprechend planen müssen. Außerdem müssen Materialien so eingesetzt werden, dass sie ihre Stärken ausspielen können und nicht um jeden Preis. Stahlbeton ist ein sehr wesentliches Produkt – aber oft ließe sich auch Holz oder Lehm einsetzen.

Natürlich sollte viel mehr auf nachwachsende Rohstoffe gesetzt werden. Hier braucht es eine Kostenwahrheit bei den Materialien. Diese ist heute nicht gegeben, da Dinge wie Wasser- und Energieverbrauch, Umwelt- und Luftverschmutzung bzw. spätere Entsorgung nicht miteinberechnet werden – das führt dazu, dass Styropor sehr billig ist, Produkte wie z.B. Stroh jedoch viel teurer. Damit haben nachwachsende Rohstoffe derzeit immer schlechte Karten, den Preis bezahlen wir aber alle.

www.pos-architecture.com