Schwarz-weißes Duo

In Cascina Merlata im Nordwesten von Mailand entsteht auf einer Fläche von 900.000 Quadratmetern eines der größten Wohnungsprojekte Europas. Nach einem Masterplan von Antonio Citterio Patricia Viel (ACPV) und dem Büro Caputo Partnership setzt das neue Quartier ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen, soll zum ersten Null-Emissions-Stadtteil der nord­italienischen Metropole werden und außerdem leistbaren Wohnraum bieten. Mit zwei Sozialwohnungsbauten realisierten C+S Architects nun den jüngsten Zuwachs.

Schwarz-weißes Duo

In Cascina Merlata im Nordwesten von Mailand entsteht auf einer Fläche von 900.000 Quadratmetern eines der größten Wohnungsprojekte Europas. Nach einem Masterplan von Antonio Citterio Patricia Viel (ACPV) und dem Büro Caputo Partnership setzt das neue Quartier ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen, soll zum ersten Null-Emissions-Stadtteil der nord­italienischen Metropole werden und außerdem leistbaren Wohnraum bieten. Mit zwei Sozialwohnungsbauten realisierten C+S Architects nun den jüngsten Zuwachs.

 

 

Das längliche Grundstück mit dem Arbeitstitel R11 befindet sich am nördlichen Eingang des Areals und sollte ursprünglich mit einem einzelnen, umzäunten Gebäude bespielt werden. Im Zuge der Entwurfsphase schlugen die Architekten mit Sitz in Treviso und London stattdessen zwei eigenständige Baukörper und ein offenes Layout vor, welches den umgebenden Stadtraum nicht ausschließt, sondern mit ihm interagiert. Das Ergebnis sind zwei Wohntürme, die einen öffentlichen, gemeinsam genutzten Platz aufspannen. Dieser soll nach dem Vorbild eines „Campo Veneziano“ eine identitätsstiftende Wirkung haben und zum verbindenden Element werden. Er wird von einem kleinen Park in nördlicher Richtung und dem Expo Village der Weltausstellung in Mailand 2015 im Süden begrenzt. Über mehrere Rampen mit ca. 5 % Neigung gleicht die Piazza den Niveauunterschied von zwei Metern der beiden Nachbarparzellen barrierefrei aus und fungiert gleichzeitig als urbanes Empfangstor auf dem Cascina Merlata-Gelände. Die polygonale Fläche ist komplett in Prun – einem hellen Kalkstein – ausgeführt. Dadurch erhält der Platz ein monochromes Aussehen, welches seine Rolle als Übergang zwischen dem grünen Park und dem von Asphalt geprägten Stadtraum unterstreicht. Kreisförmige Elemente wie kleinere Sitzgelegenheiten und größere Bänke zonieren den Freiraum. Sie machen ihn je nach Bedarf zum ruhigen Aufenthaltsort und Treffpunkt im Freien oder Spielplatz für Kinder und Skater.

 

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Die beiden Sozialwohnungsbauten flankieren den öffentlichen Außenbereich. Wie aus einem Guss erwecken sie den Eindruck, als hätte sie erst der Platz dazwischen in zwei separate Volumen unterteilt. Mit 12 und 14 Etagen beinhalten die Türme insgesamt eine Nutzfläche von fast 10.000 m2, die sich auf  103 Wohnungen verteilt. Im Erdgeschoss befinden sich jeweils eine Eingangshalle, administrative Bereiche mit Sport-, Müll- und Fahrradabstellräumen sowie Waschküche und Lager. Zum Herzstück werden hybride Gemeinschaftsflächen, die zwischen den privaten Einheiten den Wohnraum ergänzen und erweitern. Zwei unterirdische Parkdecks, Technikräume und Keller komplettieren das Programm von R11. In Verlängerung des östlichen Turms gibt es im Freien außerdem einen Kinderspielplatz, der in bunten Farben gestaltet ist. Diesen entwarfen die Architekten in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit der lokalen Stiftung Housing Sociale. Alle Wohnungen wurden nicht nur in Rekordzeit verkauft, sondern auch entsprechend der Nachhaltigkeitskriterien für das Viertel umgesetzt: Sie verfügen über ein Fernwärme-basiertes Heizsystem und eine in den Fußboden integrierte Kühlung, die mittels Geothermie gespeist wird. Eine mechanische Lüftungsanlage und Photovoltaik sollen Emissionen und Verbrauch des Projekts auf ein Minimum reduzieren und runden das energetische Konzept energieeffizient ab.

 

 

Die Geometrie der beiden Wohntürme entwickelte das italienische Planerteam so, dass jedes Appartement über einen direkten Blick ins Grüne verfügt. Während die Außenseiten beider Baukörper – wie auch die Nachbargebäude – dunkel gehalten sind, findet sich an den zur Piazza gerichteten Fassaden der cremeweiße Farbton des zentralen Platzes wieder und betont einmal mehr den Einschnitt und Durchgang zwischen den beiden Volumen. Den Sockelbereich kleidet derselbe Kalkstein wie die öffentliche Freifläche. Darüber sind sämtliche Ansichten zweischichtig ausgeführt. Vor die Loggien legt sich ein regelmäßiges Netz mit quadratischen Öffnungen. Dieses ist geschossweise abwechselnd leicht nach links oder rechts verschoben und verleiht den beiden Wohntürmen mit seinen Vor- und Rücksprüngen eine dynamische Optik. Raumhohe Fensteröffnungen wechseln sich mit Loggien und farblich abgestimmten Brüstungsgeländern sowie Jalousien ab und komplettieren das subtil rhythmisierte Design.

 

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Die äußerste Schicht der Fassade besteht aus weißen, bzw. schwarzen Glasmosaikfliesen des italienischen Traditionsunternehmens Sicis aus Ravenna. Sie haben jeweils ein Format von 1,5 x 1,5 cm und umhüllen die differenzierten Ansichten wie ein zart schimmernder Vorhang. Bei den quadratischen Steinen handelt es sich jeweils um Unikate mit einem einzigartigen Relief. Deshalb reflektiert das kleinteilige Mosaik das Licht je nach Tageszeit und Witterung unterschiedlich und verleiht den Baukörpern neben Textur und Tiefe einen unverwechselbaren Charakter. Abgesehen von Kalkstein und den kleinen Glasfliesen wählten die Planer ausschließlich langlebige und recycelbare Materialien.

 

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Ihre Raffinesse offenbaren die beiden Wohntürme in Cascina Merlata aufgrund der facettenreichen Planung und jeder Menge Liebe zum Detail erst auf den zweiten Blick. In Zeiten der Teuerung ging es mit R11 in erster Linie darum, kostengünstigen Wohnraum in Mailand zu schaffen. C+S Architects konzentrierten sich bei der Umsetzung der beiden Neubauten aber nicht nur auf die Ökonomie, sondern vor allem auf die Qualität des Projekts. Mit den schlichten und doch kraftvollen Kubaturen setzten sie klare städtebauliche Akzente, ohne dabei auf die Nutzer und deren Bedürfnisse zu vergessen. Besonders auffällig ist dabei die Interpretation der öffentlichen Freiflächen: Sie laden zum Durchqueren und Verweilen ein, schaffen neue Verbindungen in dem zukunftsweisenden Stadtquartier am Rande der norditalienischen Metropole und werden gleichzeitig zum vielseitigen, urbanen Begegnungsraum für Jung und Alt, der zwischen Mietern und Stadtbewohnern vermittelt.

 

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Wohntürme R11
Mailand, Italien

Bauherr: Investire, EuroMilano
Planung: C+S Architects
Statik: SCE Project
TGA-Planung: Ariatta Ingegneria dei sistemi
Glasmosaikfassade: Sicis

Grundstücksfläche: 22.500 m²
Nutzfläche: 9.600 m²
Planungsbeginn: 2012
Baubeginn: 2019
Fertigstellung: 2021
Baukosten: 18 Mio. Euro

web.cipiuesse.it/en/

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Alessandra Bello