Süße Erinnerungen

Die ortsansässigen Architekten von Dodi Moss verwandelten eine alte Süßwarenfabrik im Herzen Genuas in ein innovatives Gemeindezentrum für das stark industriell geprägte Stadtviertel Cornigliano im westlichen Bereich der italienischen Hafenstadt. Das Projekt soll die tiefgreifenden ökologischen und sozialen Veränderungen, die der Stadtteil über die vergangenen zwei Jahrhunderte durchlebt hat, weiter in die Zukunft tragen.

Süße Erinnerungen

Die ortsansässigen Architekten von Dodi Moss verwandelten eine alte Süßwarenfabrik im Herzen Genuas in ein innovatives Gemeindezentrum für das stark industriell geprägte Stadtviertel Cornigliano im westlichen Bereich der italienischen Hafenstadt. Das Projekt soll die tiefgreifenden ökologischen und sozialen Veränderungen, die der Stadtteil über die vergangenen zwei Jahrhunderte durchlebt hat, weiter in die Zukunft tragen.

 

 

Am Tag heben sich die elegant übereinander gestapelten Volumina des neuen Gemeindezentrums in Genuas Stadtteil Cornigliano in zarten Grau- und Weißtönen selbstbewusst von den umgebenden Backsteinbauten ab. In der Nacht leuchten die einzelnen Gebäudeteile als einladender Anziehungspunkt in sanftem Licht hinaus in die industriell geprägte Umgebung. Das identitätsstiftende Bauwerk stammt aus der Feder des Architektur- und Planungsteams Dodi Moss. Mit ihrer integrativen Auffassung von der Gestaltung von öffentlichem Raum schien das Projekt prädestiniert für die Architekten mit Sitz in Genua und Pisa. Deren Ansatz: eine gewisse Ethik der Qualität und des Fachwissens sowie das Verständnis, keine Disziplin vom Planungsprozess auszuschließen. Eine Auffassung, die der Projektpartner SAB teilt.

 

 

Das Planungsgebiet, auf dem sich die ehemalige Dufour-Süßwarenfabrik befand, stellt einen der ersten Versuche der Stadt zur Wiederbelebung des Viertels Cornigliano dar. Dem kontrastreichen, von der Schwerindustrie geprägten Viertel mangelt es heute, in Zeiten der Umstrukturierung, an qualitätsvollen, öffentlichen Räumen. Das neue Gemeindezentrum soll samt Mehrzweckhalle, Tanz- und Billardsaal, Flächen für Kultur- und Freizeitangebote sowie überdachten Außenbereichen künftig eine entscheidende Rolle im Rahmen der Bemühungen um eine tiefgreifendere Umgestaltung des Quartiers dienen.

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Das Konzept von Dodi Moss und SAB baut im Sinne der Konservierung der früheren industriellen Identität auf den ursprünglichen Strukturen auf, wobei das Areal zum Zweck der Zugänglichkeit und des Wohlbefindens derart umgestaltet wurde, dass ein niedrigschwelliger öffentlicher Raum für den sozialen Austausch und die Freizeitgestaltung für die Nachbarschaft entstanden ist. Damit kommt Cornigliano seiner Funktion als attraktive Sommerresidenz der Aristokratie ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts heute wieder etwas näher. Damals begann zuerst der Bau zahlreicher Residenzen, das Stadtbild jenseits des Flusses Polcevera am Fuße der Hügellandschaft über dem Ligurischen Meer zu verändern, wobei die Bautätigkeiten nach dem Ersten Weltkrieg in der Errichtung des größten Stahlwerkes in Westeuropa an der Küste gegenüber des bewohnten Zentrums gipfelten. Es folgte eine Urbanisierung des hügeligen Gebietes, die eine Bebauung mit Wohngebäuden niedriger Qualität mit sich brachte.

 

 

So wandelte sich das bürgerliche Viertel Cornigliano zum Arbeiterviertel, dessen Bewohner mit der Energiekrise der 1970er-Jahre bald ohne Arbeit dastanden. Anfang der 2000er-Jahre wurde das Werk schließlich stillgelegt und die Verwandlung des Stadtviertels eingeläutet. Die Wiederbelebung aufgelassener Industriegebiete konnte nicht nur die Abwanderung stoppen und die Wohnungspreise stabilisieren, man erkannte auch das große kulturelle, ökologische und historische Potenzial des Ortes. Eines der herausragenden Beispiele einer gelungenen Umstrukturierung stellt in diesem Zusammenhang das neue Gemeindezentrum dar.

 

 

Um das Angebot und die Infrastruktur in einem einzigen Gebäude organisieren zu können, wurden einige bestehende Gebäude abgetragen sowie ein Neubau ergänzt. Das Konzept der vier bestehenden Satteldachtrakte wurde in Form von zwei weiteren, ähnlich anmutenden Gebäudeteilen fortgeführt. Außerdem wurde ein Durchgang geschaffen, der neben der Verbindung der Innenräume einen nahtlosen Übergang zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil des Geländeareals ermöglicht. Das Gemeindezentrum selbst erstreckt sich über zwei Etagen, wobei das Erdgeschoss in massiver Bauweise in Stahlbeton ausgeführt und das Obergeschoss als leichte Stahlkonstruktion konzipiert wurde. Semitransparente Polykarbonatpaneele umschließen die oberen Bereiche und verleihen dem Ensemble nicht nur sein charakteristisches Aussehen, sondern rücken auch das Gestaltungselement Licht in den Fokus des Betrachters.

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Die bis dato in baufälligen Fertigteilhäusern auf dem Parkplatz untergebrachten Räumlichkeiten wie der Lesesaal, die Bibliothek, eine Bar sowie Mehrzweckräume und ein Saal für Debatten, Versammlungen und Freizeitaktivitäten finden nun – großzügig und qualitätsvoll gestaltet – Raum in dem neu geschaffenen Volumen. Dazu gibt es eine Dachterrasse, die im Sommer als zusätzlicher öffentlicher Raum genutzt werden kann. Das gelungene Spiel aus massiv und schwebend, offen und geschlossen verleiht dem gesamten Komplex eine spielerische Leichtigkeit, ohne dabei an Bodenhaftung zu verlieren. Das historische Erbe darf in diesem Zusammenhang spürbar bleiben, der Blick ist indessen eindeutig in die Zukunft gerichtet.

 

 

Ein besonderes Augenmerk richteten die Architekten auch auf die Umgestaltung der Außenanlagen. Während auf der Südseite Parkflächen und durch eine Platane und ein großes Blumenbeet von der Straße abgetrennte schattige Rückzugsorte geschaffen wurden, führt eine überdachte Loggia vom straßenseitig orientierten Eingangsbereich zu den Freiflächen hinter dem Gebäude. Die Aufenthaltszonen wurden erhöht zum Straßenniveau ausgeführt und so vom Verkehr abgeschirmt. Neben verschiedenen Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten umfasst das Areal auch eine Bar sowie ein Fitnessstudio, das von der städtischen Fassade und einer direkten Sichtbeziehung zur Hauptstraße profitiert.

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Vom Innenraum aus eröffnen großzügig dimensionierte Fenster eine direkte Beziehung zum vorgelagerten Platz, der während der Sommermonate auch für Tanzaktivitäten genutzt werden kann. Ein großer Ginkgo Biloba-Baum markiert an dieser Stelle einen weiteren Begegnungsraum innerhalb des umfassenden Systems an variablen und einladenden Gemeinschaftszonen, die das neue Herzstück Corniglianos bilden und das Umfeld in Bezug auf die Freizeitqualität erheblich aufwerten. Das neue Gemeindezentrum hat damit das Potenzial, als identitätsstiftender Mittelpunkt und als Leuchtturmprojekt die weitere Verwandlung des Quartiers im Sinne der Bewohner weiter voranzutreiben.

 

 

Neues Gemeindezentrum
Genua Cornigliano, Italien

Bauherr: Società per Cornigliano Spa
Planung: Dodi Moss und SAB Srl
Mitarbeiter: Design coordinators: Matteo Rocca, Egizia Gasparini
Landschaftsarchitektur: Dodi Moss: Egizia Gasparini, Valentina Dallaturca, Ettore Zauli
Statik: Vincenzo Puja (SAB Srl) Mauro Sassu, Mario Lucio Puppio (Dodi Moss)

Grundstücksfläche: 2.880 m2
Neu: 474 m2
Bestand: 630 m2
Parken: 490 m2
Außenflächen: 1.430 m2
Planungsbeginn: 2018
Bauzeit: 02/2021 – 09/2022
Fertigstellung: 09/2022
Baukosten: Neubau 1.700 Euro/m2
Gesamt 1.9 Mio. Euro           

www.dodimoss.eu

 

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Anna Positano, Gaia Cambiaggi | Studio Campo