Wie eine zweite Haut

Die neue Gotthard-Müller-Schule von Behnisch Architekten ist mit ihrer intelligenten Fassadenlösung genau am Puls der Zeit. Die Gebäudehülle wirkt nämlich nicht nur als ästhetisch ansprechende und identitätsstiftende Verkleidung in Richtung Außenwelt, nach innen dient sie als Möbel und Sitzgelegenheit in warmen Holztönen. Ganz nebenbei haben die Architekten dann auch noch eine technisch raffinierte, nahezu unsichtbare dezentrale Lüftungsanlage integriert. Mehr geht nicht.

Wie eine zweite Haut

Die neue Gotthard-Müller-Schule von Behnisch Architekten ist mit ihrer intelligenten Fassadenlösung genau am Puls der Zeit. Die Gebäudehülle wirkt nämlich nicht nur als ästhetisch ansprechende und identitätsstiftende Verkleidung in Richtung Außenwelt, nach innen dient sie als Möbel und Sitzgelegenheit in warmen Holztönen. Ganz nebenbei haben die Architekten dann auch noch eine technisch raffinierte, nahezu unsichtbare dezentrale Lüftungsanlage integriert. Mehr geht nicht.

 

Die neue Gotthard-Müller-Schule von Behnisch Architekten

 

Als Behnisch Architekten 2016 den Wettbewerb für den neuen Schulcampus im südlich von Stuttgart gelegenen Filderstadt, gewannen, ging es dem Auslober darum, das bestehende Schulareal architektonisch aufzuwerten sowie an die Anforderungen des neuen pädagogischen Konzeptes mit Ganztagesbetrieb anzupassen. Entstanden ist daraufhin ein Neubau für die zweizügige Grund- und Gemeinschaftsschule inklusive Erweiterungsflächen für die Realschule, eine gemeinschaftlich genutzte Mensa und ein attraktiver Schulcampus. Die Besonderheit des Entwurfs liegt neben dem vielfältigen Raumangebot vor allem auch in der innovativen Konzeption der Fassade begründet.

 

Die neue Gotthard-Müller-Schule von Behnisch Architekten

 

Der Entwurf von Behnisch Architekten setzt – wie gewohnt – auf eine organische, freie Bauform, die sich maßstäblich ganz selbstverständlich in die bestehende, heterogen bebaute Umgebung einfügt. Die Terrassierung des Baukörpers differenziert sein Volumen – und lässt den Neubau eine harmonische Beziehung zu den Nachbargebäuden eingehen. Die Geschosse treten durch markante, weiß gehaltene Bänder stark horizontal in Erscheinung. Die Zartheit der Absturzsicherungen und die zurückversetzten Räumlichkeiten verstärken diesen Effekt noch. Die Gebäudeform schafft fließende und differenzierte Außenräume, die für eine Verwebung von Landschaft und Gebautem sorgen. Ineinander übergehende Freiräume, Schulhöfe mit Bepflanzungen sowie die „Agora“, die auch als ein Freilichttheater genutzt werden kann, sind als gemeinschaftsfördernde Landschaftselemente angelegt.

 

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Die dem Neubau zugrundeliegende Idee ist die eines lebendigen Schulcampus. Zufällige Begegnungen und spontane Möglichkeiten, sich untereinander auszutauschen, prägen den räumlichen Fluss. Lehrende und SchülerInnen sollen aktiv in ungezwungene Interaktion treten können. Vielfältige Lernlandschaften und offene Raumstrukturen mit kommunikationsförderndem Charakter entsprechen dem pädagogischen Leitfaden für individualisiertes, kooperatives und soziales Lernen. Als zentraler Anlaufpunkt und horizontale Blickachse fungiert das Foyer, an das die Mensa, die Schulbibliothek und andere soziale Räume angeschlossen sind. Von hier aus gelangen die SchülerInnen auch über ein Gartengeschoss in die „Agora“, einen abgesenkten Tiefhof mit einladenden Sitzstufen, der zum Entspannen und befreiten Austausch in den Pausen einlädt. Vertikale Bezugsachse des gesamten Gebäudes ist das offene, lichtdurchflutete Atrium, anhand dessen die SchülerInnen über großzügig gestaltete Treppenläufe die oberen Geschosse erreichen. Auf jeder Etage wiederum weiten sich die Flure, Bänke und Nischen bilden einen kommunikativen Gemeinschaftsraum, bevor sich das Gebäude entsprechend seiner Nutzung weiterverzweigt.

 

Die neue Gotthard-Müller-Schule von Behnisch Architekten

 

Die Gotthard-Müller-Schule ist gemäß ihres modernen pädagogischen Konzepts äußerst offen, kommunikativ und divers gestaltet. Sogenannte Lernhäuser bündeln unterschiedliche Lern- und Klassenräume und sorgen für Orientierung. Im dritten Obergeschoss befinden sich nicht nur die Fachräume für die bildende Kunst, eine großzügige Terrasse stellt das Highlight der gesamten Schülerschaft dar: hier kann der Unterricht – zumindest in den warmen Monaten – jederzeit im Außenraum stattfinden, Ausblick auf die umgebende Landschaft der Filderebene inklusive.

 

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Neben der wohl durchdachten Gestaltung der räumlichen Strukturen war den Planern aber auch die sinnliche Wahrnehmung des Schulbaus ein Anliegen. Es ist hinlänglich bekannt, dass Licht, Farben, Raumklima und Oberflächen auf unsere Stimmung sowie unser Wohlbefinden einwirken und somit die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit maßgeblich beeinflussen. Um den einzelnen Lernhäusern eine unverwechselbare Eigenständigkeit zu verleihen, setzten die Architekten daher auf eine individuelle Farbgebung der Wandflächen. “Die einzelnen Farben symbolisieren die Aufteilung der unterschiedlichen Klassenstufen. Dabei differenziert die Komposition aus verschiedenen Farbtönen das Erscheinungsbild und schenkt der Schule eine unverwechselbare Identität”, erklärt Stefan Rappold, Partner bei Behnisch Architekten. Kräftige Orange-, Gelb-, Grün- und Erdtöne sorgen für eine lebendig-anregende Stimmung. In den Klassenräumen dominieren warme und wertige Materialien wie Linoleum und Holzwerkstoffe. Großzügige, transparente Verglasungselemente unterstreichen wiederum das offene Konzept, erlauben Einsichten in das Klassengeschehen und unterstützen so die pädagogische Arbeit.

 

Die neue Gotthard-Müller-Schule von Behnisch Architekten

 

Von außen betrachtet überzeugt die Fassade nicht nur in optischer Hinsicht – sie kann auch mit einer besonderen, technischen Funktionalität punkten. Die Gebäudehülle ist nämlich weit mehr als rein thermischer Abschluss von innen nach außen. Als multifunktionaler Alleskönner ist die Barriere bildende und schützende “Haut” der Schule nicht nur Stauraum und Sitzmöbel in einem, auch technische Einbauten wurden nahezu unsichtbar integriert. 2016 pandemiologisch noch kein Thema und trotzdem seit langem die Krücke vieler (Schul)Gebäude – eine effiziente Lüftungsanlage, die auch die Wärmeregulierung mit einschließt. Hinter gelochten Holzelementen befindet sich als Antwort auf diese Problemstellung ein dezentrales Lüftungssystem mit integrierter Heizung und Kühlung. “Das Haus beginnt sozusagen mit architektonisch relevanten Bauteilen zu „atmen“, lässt die Luft scheinbar unsichtbar ins Innere, ohne dass technische Installationen in Erscheinung treten. Als ästhetische Außenverkleidung haben wir als Pendant zum Innenraum gelochte, farbige Metallplatten eingesetzt”, beschreibt Rappold die Funktionsweise der Fassade. Die Außenfassade wechselt zwischen raumhohen transparenten und geschlossenen Flächen und greift die Farbigkeit der Innenräume auf. Eine zusätzliche, vertikale Holzverschalung lässt je nach Blickwinkel ein spannungsreiches Wechselspiel der Farben entstehen – am deutlichsten wahrnehmbar, wenn man sich entlang der Fassade bewegt.

 

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In Summe ergeben diese Maßnahmen einen sozial wie energetisch nachhaltigen Gebäudebetrieb, der auf der maximalen thermischen Eigenfunktion des Gebäudes basiert. Der hohe Nutzerkomfort gründet auch in diversen Passiv-Maßnahmen wie einer kompakten Gebäudegeometrie, einer passiven Nutzung der thermischen Gebäudemasse sowie einer in Bezug auf Tageslicht und solare Gewinne optimierten Gebäudehülle. Im Gegenzug konnte die technische Gebäudeausrüstung auf diese Weise minimiert werden.

 

Die neue Gotthard-Müller-Schule von Behnisch Architekten

 

Entstanden ist ein moderner, offener Schulcampus, der zum Lernen und Verweilen einlädt. Innen- und Außenraum treten so selbstverständlich in Beziehung, dass auch Barrieren zwischen Lehrenden und SchülerInnen zusammenzuschrumpfen scheinen. Den Rahmen  wiederum bildet ein innovatives Fassadenmöbel mit versteckten technischen Finessen. Ein Ort, an dem man sich in seiner Haut wohlfühlen darf.

 

 

Gotthard-Müller-Schule
Filderstadt-Bernhausen, Deutschland

Bauherr: Stadt Filderstadt
Planung: Behnisch Architekten
Mitarbeiter: Projektleiteitung: Stefan Rappold, Kyra Willems, Florian Waller
Statik: Pfefferkorn Ingenieure, Stuttgart
Landschaftsplanung: Behnisch Architekten, Andreas Peyker, Nadine Waldmann

Grundstücksfläche: 11.017 m2
Nutzfläche Neu: 4.689 m2
Planungsbeginn: 2016
Bauzeit: 2018-2020

www.behnisch.com

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: David Matthiessen